Popcorn und Rollenwechsel: Also parodierte Zarathustra

Filmkolumnist Sidney Schering über den Morgen der Parodie. Oder ist es die Dämmerung?

„Du gehst wo rein? «Beilight - Bis(s) zum Abendbrot»? Das ist ‘ne Parodie, das kann nur Müll sein“, hieß es vergangene Woche in meinem Bekanntenkreis. Er traf eine Aussage, die nur zum Teil korrekt ist. Selbstverständlich war «Beilight - Bis(s) zum Abendbrot» Mist. Aber nicht, weil es sich dabei um eine Parodie handelt, sondern weil es ein Film der geistlosen Fließbandhumoristen Aaron Seltzer und Jason Friedberg ist. Parodien hingegen können sehr wohl gut sein, und dass es tatsächlich immer mehr Menschen gibt, die dies bestreiten, ist nur ein weiterer Grund, weshalb man auf Seltzer und Friedberg ein Kopfgeld aussetzen sollte. Parodien können viel mehr sein als in Pappkulissen hastig von witzbefreiten Teilzeitschauspielern nachgestellte Filmszenen, in deren Mitte plötzlich jemand den Titel eines anderen Films fallen lässt, kotzt oder eine Rap-Nummer beginnt. Oder alles zusammen.

Eine gute Parodie nimmt ihre Zielscheibe ernst und verleiht ihr im richtigen Moment ein vollkommen unerwartetes Element. Oder sie überzieht durchgehend die Eigenheiten des Originals und gibt es so der Lächerlichkeit preis. Und die wohl schwierigste Parodie-Schule ist die des Komödien-Trios Zucker-Abrahams-Zucker. Viele versuchten ihren Stil zu kopieren, darunter auch die besagten Dilettanten Seltzer und Friedberg, kaum jemandem gelang es: Die Macher von «Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug» nehmen die visuelle und dramaturgische Sprache eines Films oder eines Filmgenres und impfen ihr zahllose abgedrehte Albernheiten ein. Dies erfordert ein auf den Punkt gebrachtes Fingerspitzengefühl und die richtige Balance zwischen Banalität und unerwarteter Genialität, um komisch zu sein. Zucker-Abrahams-Zucker beherrschen dies, alle anderen fallen auf Seltzer/Friedberg-Niveau herab.

Ein in seiner endgültigen Form noch etwas jüngerer Stil innerhalb der Parodiekunst ist dagegen etwas, das ich gerne Genrekonzentrat nennen möchte. Vollkommen überdrehte Produktionen wie «Crank» und «Planet Terror» packen sich die Erwartungen, die das Publikum an ihr (Sub-)Genre stellt, potenzieren diese bis zur Lächerlichkeit und schmeißen alles andere aus dem Drehbuch heraus. Am Ende erhält man beispielsweise ein Actionfilm, der nur aus vermeintlich ernst ausgespielten Action-Klischees besteht. Nur dass man hier durchaus über diese Klischees lachen soll. Es steht zu debattieren, ob dies wirklich Parodien sind, da sie von weiten Teilen des Publikums problemlos als ernsthafte Genrevertreter verstanden werden können, aber für mich geht dieses Konzept als Parodie auf. Solche Filme sind in ihrer Grobschlächtigkeit, ihrer Berserker-Mentalität paradoxerweise subtil, da sie unterhalb des Radars einiger Zuschauer Kritik über die eigene Kunstform üben. Wer einen dummen, lauten Actionfilm sehen will, sieht «Crank» und amüsiert sich prächtig. Wer sehen will, wie die Konventionen dieser Filme bis zur Perversion überpenetriert werden, sieht «Crank» und amüsiert sich prächtig, weil er sich ganz heimlich über das lustig macht, was er die ganze Zeit glorifiziert. Das wäre auch die Einstellung gewesen, die «The Expendables» für mich nochmal ein Stückchen besser gemacht hätte.

Die Filmparodie ist in ihrem Facettenreichtum eine unverdient unterschätzte Kunstform. Allein schon die stets geäußerte lapidare Aussage, in einer Parodie werde etwas durch den Kakao gezogen und lächerlich gemacht, ist ganz genau genommen ein Irrtum. Viele Parodien verstehen sich zugleich als Hommage an ihre Opfer. Das ist, von solchen Genrekonzentraten wie «Hot Fuzz» abgesehen, zwar seltener bei ausgedehnten Parodie-Produktionen der Fall, kommt dafür aber umso häufiger vor, wenn Serien oder Filme sich nur über die Dauer einer einzelnen Sequenz ins Fach der Parodie begeben.

Ein Film, der unzählige Male parodiert wurde, bei der sich die kritisierenden Parodien allerdings bestenfalls an einer Hand abzählen lassen, ist Stanley Kubricks «2001: Odyssee im Weltall». Dieser Klassiker von 1968 wird häufig als der beste Science-Fiction-Film aller Zeiten bezeichnet und noch heute begeistert (und verwirrt) er Cineasten wie am ersten Tag. Fast jeder, der nicht einsiedlerisch in einer Höhle lebt und dort jeglichen Kontakt mit fiktionalen Medieninhalten vermeidet, wird mit Teilen dieses Kulturgutes in Berührung gekommen sein. Meist jedoch ohne es zu merken. Denn nach höchst wissenschaftlichen Forschungen zu urteilen, die ich mir gerade aus den Fingern sauge, kommen auf jeden «2001»-Zuschauer fünfzig Menschen, die irgendwann eine Parodie auf den Film gesehen haben, nicht aber das Original.

So wie ich das beobachte, profitiert «2001: Odyssee im Weltall» unter allen als gut anerkannten Filmen am meisten von seinen Parodien. «Matrix» wird häufig parodiert, doch die meisten Kenner dieses Films hätten ihn sich auch ohne diese Verballhornungen angesehen. Für «2001: Odyssee im Weltall» hingegen rühren nunmehr Generationen von Film- und Serienmachern die Werbetrommel, indem sie ihm humoristisch Tribut zollen. Sei es das heiß diskutierte, verwirrende Ende, der ikonische schwarze Monolith, HAL 9000 (der Prototyp nahezu jeder kalt kalkulierenden Maschine in der Filmgeschichte) oder der legendäre Anfang mit Kubricks eigener Nacherzählung des „Morgen[s] der Menschheit“. Und wo eine Referenz auf «2001: Odyssee im Weltall» ist, ist auch «Also sprach Zarathustra» nicht fern, Richard Strauß' sinfonische Dichtung, basierend auf einem Text des Philosophen Friedrich Nietzsche.

Man hört das Lied in der Werbung, als Begleitmusik vermeintlich bahnbrechender Technologien oder der durch Frühstück herbeigeführten Verwandlung vom morgenmuffelnden Tier zum arbeitsfähigen und fitten Menschen. Ein Affe, der Homer Simpson zum Verwechseln ähnlich sah, erfand zu diesem Stück das Nichtstun (im Kontrast zur Erfindung der Waffe in «2001: Odyssee im Weltall»), der Angry Video Game Nerd bestaunte zu Strauß den wohl größten Netzstecker der Konsolengeschichte, in «Zoolander» begleitet diese Musik die Bewältigung einer der weltschwersten Aufgaben: Das Einschalten eines Apple-Computers. Ja, der Film startete in den Kinos, bevor Steve Jobs die Welt beherrschte. Heute käme so ein Joke garantiert nicht mehr durch…

Es wäre ein leichtes, diese Liste stundenlang weiterzuführen. Ich ging zum Beispiel noch gar nicht auf die Anspielungen in «WALL•E» ein. In diesem Pixar-Film werden die humorvollen Referenzen auf «2001: Odyssee im Weltall» nicht nur als schneller Gag für die Filmkenner im Publikum eingesetzt, sondern auch um der behandelten Thematik weitere Tiefe zu verleihen. Vor allem funktionieren diese Momente dank des guten Drehbuchs selbst dann, wenn man Kubricks Meilenstein nicht gesehen hat. Das lässt sich nicht über jede «2001: Odyssee im Weltall»-Parodie sagen.

Was dagegen allen gemein ist: Sie sind Verbeugungen vor Stanley Kubrick. Die Filmschöpfenden zeigen den Cineasten im Publikum, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben und säen in den unwissenden Zuschauern Neugier. Kinder wachsen mit den Simpsons auf, kratzen sich eines Tages am Kopf, schauen perplex aus der Wäsche, trotten zum Computer, suchen ein wenig herum, stoßen darauf, dass diese seltsame Szene, deren Nachahmungen sie so oft gesehen haben aus «2001: Odyssee im Weltall» stammt – und dann wollen sie ihre Bildungslücke schließen. Es ist eine Szene, wie man sie nicht besser zu «Also sprach Zarathustra» inszenieren könnte. Der Beweis, wie aus der Kunstform Parodie, die viele als reine Verballhornung betrachten, ein Hilfsmittel der Filmkultur wird. Wie aus Nichtwissenden Kenner eines Kunstwerkes werden.

Vielleicht sollte jemand Seltzer und Friedberg mit einem gewissen Monolithen verprügeln. Einen Versuch ist es wert, womöglich werden aus diesen Affen mit Schreibmaschine plötzlich echte Comedy-Autoren. Wenn nicht: Im schlimmsten Fall haben wir danach etwas blutigen Matsch auf dem Teppichboden eines Büros in Hollywood. Wen juckt das schon?
13.09.2010 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/44497