«Schlüter sieht's»: Die Sopranos 2010?

Mit «Boardwalk Empire» produziert HBO einen potenziellen Nachfolger für die «Sopranos».

Vor vier Wochen berichtete ich an dieser Stelle über das angeblich „reichste Network der Welt“ HBO mit seiner Vergangenheit und Zukunft. Dabei erwähnt wurde auch das neue Großprojekt des Pay-TV-Imperiums namens «Boardwalk Empire», das Mitte September in den USA startet. Doch schon vor der ersten Ausstrahlung überhaupt sprengt die Serie einige Rekorde: Laut einem Bericht der Variety in der vergangenen Woche kostete die Produktion des Pilotfilms über 18 Millionen Dollar – der großen Außenkulisse wegen, die im New Yorker Staddteil Brooklyn hochgezogen wurde. «Boardwalk Empire» nimmt derzeit visuell, produktions- und distributionstechnisch Dimensionen an, die es nie zuvor bei einer Pay-TV- oder Kabelserie gegeben hat.

Das Format spielt zur Zeit der Prohibition in der verruchten Stadt Atlantic City und thematisiert die illegalen Geschäfte und den aufgrund des Alkohol-Verbots florierenden Handel mit den geistigen Getränken, schönen Frauen und risikoreichen Glücksspielen. Einige Protagonisten der Serie sind Enoch „Nucky“ Thompson (basierend auf Enoch L. Johnson) als korrumpierter Polit-Boss der Stadt, Al Capone als Anführer seines Verbrechersyndikats oder auch Arnold Rothstein, der mit seiner Jüdischen Mafia das organisierte Verbrechen in eine neue Ära führt.

Es klingt alles ein wenig wie bei den «Sopranos» – HBO’s bis heute erfolgreichster Serie, zugleich eine der besten im Fernsehen überhaupt. Wenn die beiden Formate auch in völlig unterschiedlichen Zeiten spielen und andere Prämissen haben, so fokussieren sie sich auf dasselbe Grundthema, nämlich das illegale, organisierte Geschäft. Nicht ohne Grund ist Terence Winter, Screenwriter und Producer von «The Sopranos», auch der kreative Kopf hinter «Boardwalk Empire». Und HBO setzt alles daran, das Risiko eines Flops zu minimieren und die Chancen für einen weltweiten Megaerfolg, wie damals bei besagten «Sopranos», zu maximieren: Hollywood-Legende Martin Scorsese, der jüngst mit dem Blockbuster «Shutter Island» seinen größten kommerziellen Erfolg feiern durfte, ist Regisseur der Pilotepisode und in die weitere kreative Entwicklung der Serie involviert.

Und da das Format nun einmal «Boardwalk Empire» heißt, brauchte es auch ein 100 Meter langes Boardwalk-Set, das die Produktionskosten auf genannte 18 Millionen Dollar in die Höhe schnellen ließ. Die Kosten für alle zwölf Folgen der ersten Staffel belaufen sich dem Variety-Artikel zufolge auf durchschnittlich 5 Millionen Dollar – ein bis zwei Millionen mehr als gewöhnlich. Die hohen Produktionskosten haben schon einmal zwei HBO-Serien das Leben gekostet: «Deadwood» und «Rome» wurden eingestellt, weil sie – ähnlich wie nun «Boardwalk Empire» – zu hohe Kosten von über 5 Millionen pro Episode beanspruchten. Doch die Zeiten ändern sich: HBO ist derzeit erfolgreicher als je zuvor und hat mit «True Blood» einen Zuschauerhit, der nur noch von den «Sopranos» getoppt wurde. Dies und immer weiter steigende Abonnentenzahlen ließen es überhaupt dazu kommen, dass «Boardwalk Empire» in den Ausmaßen realisiert werden kann, wie es nun der Fall ist.

Ein weiterer Rekord, den die Serie schon vor ihrer ersten Ausstrahlung gebrochen hat, ist die internationale Distribution: Schon jetzt wurde «Boardwalk Empire» in 160 Länder verkauft, so oft wie bei keiner HBO-Serie zuvor – und das noch vor dem Start. In Deutschland wird der Pay-TV-Kanal TNT Serie das Format schon Anfang 2011 zeigen. Die Verlängerung für eine zweite Staffel ist nur noch Formsache: HBO vertraut sehr oft auf seine neuen Serien und verlängert sie schon sehr frühzeitig für weitere Folgen. Sollte «Boardwalk Empire» also nicht vollends floppen – was bei den anlaufenden riesigen Promotionen sehr unwahrscheinlich ist – wird das Format auch mittelfristig zu sehen sein. HBO tritt damit endgültig aus dem Schatten der vergangenen Erfolge heraus und könnte in eine neue Ära eintreten: Mit aktuellen und potenziellen Hits wie «True Blood», «The Pacific», «Treme» und «Boardwalk Empire» ist die Grundlage dafür geschaffen, dass HBO wie Anfang der 2000er neue Maßstäbe in Sachen Storytelling und Drama setzt. Die Früchte dieser Arbeit darf der Zuschauer in den nächsten Monaten und Jahren genießen. Es ist eine gute Zeit, HBO- und Serien-Fan zu sein.

Der Aufbau des Boardwalk-Sets im Zeitraffer:


Ein Trailer zu «Boardwalk Empire»:
12.08.2010 00:00 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/43831