Die Kritiker: «Tatort: Vergissmeinnicht»

Inhalt
Der Hamburger Triebwerksspezialist APAT entwickelt hochmoderne Flugzeugtechnologie für die Zukunft der Luftfahrt - doch seit einiger Zeit tauchen geheime Konstruktionspläne im Ausland auf. Das Landeskriminalamt vermutet, dass es in der Firma einen Mittelsmann gibt und schleust Kommissar Cenk Batu als Pressereferenten Sinan Afra in die Entwicklungsabteilung. Verdächtig ist zunächst der Entwicklungsleiter Holger Lichtenhagen, der Zugriff auf alle relevanten Daten hat. Aus unerfindlichen Gründen macht er Batu nach wenigen Wochen zu seinem persönlichem Referenten und bittet ihn zu einem vertraulichen Gespräch.

Batu wähnt sich dem Industriespion auf den Fersen, doch das persönliche Treffen der beiden findet nie statt - Lichtenhagens Leiche wird wenige Stunden vor dem vereinbarten Termin im Hamburger Hafen gefunden. Auf der Beerdigung trifft Batu Mia Andergast, die sich ihm als Lichtenhagens uneheliche Tochter aus einer fast vergessenen Beziehung vorstellt. Und während Batu und seine Kollegen noch rätseln, ob der Tod Lichtenhagens als Mord oder Suizid gewertet werden muss, gerät der Kommissar unversehens zwischen die Fronten von Beruf und Leben und von Schein und Sein.

Darsteller
Mehmet Kurtulus («Gegen die Wand», «Nackt») ist Cenk Batu
Peter Jordan (Theaterschauspieler) ist Uwe Kohnau
Désirée Nosbusch («Der Fan», «Bei Berührung Tod») ist Mia Andergast
Luise Helm («Harte Jungs», «Königskinders») ist Nathalie Bertram
Patrick von Blume («Der kleine Mann», «Das Wunder von Berlin») ist Thomas Hanau
Marie-Lou Sellem («Winterschläfer», «Sommernachtstod») ist Anne Thomsen

Kritik
Ein Spion verliebt sich nicht, schon gar nicht, wenn er als verdeckter Ermittler nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Doch was dem einen Gesetz ist, ist dem anderen höchstens Richtlinie, und so ist der dritte Fall des Hamburger Untergrundermittlers Cenk Batu gänzlich anders als seine beiden vorherigen Aufträge. War der Hamburger «Tatort» mit seinem neuen Charakter vor allem progressiv und gänzlich abseits klassischer Rollen, so wechselt man nun ins andere Extrem und zeigt einen Kommissar, der sich für die Liebe über Vorschriften und dienstliche Anweisungen hinwegsetzt.

Wie beim überwiegend positiv kritisierten Debüt führte auch beim aktuellen «Tatort» Richard Huber die Regie, der dafür sorgt, dass der Alltag des Untergrundermittlers nicht in leuchtenden Farben der Idealisierung dargestellt wird - vielmehr zelebriert er den Irrwitz der Begleiterscheinungen. So trifft sich Batu mit seinem Vorgesetzten Kohnau mal in einer Schwulenbar, mal lautet der Treffpunkt Schweiz, der sich als entsprechender Länderabschnitt im Miniaturwunderland Hamburg entpuppt. Nicht zuletzt sorgt auch die tragische Liebesgeschichte mit Mia Andergast für anhaltende Spannung, denn was die attraktive Frau, die sich als Tochter des ermordeten Lichtenhagens ausgibt, wirklich im Schilde führt, bleibt lange unklar. Überdeutlich ist allerdings die schauspielerische Harmonie zwischen Désirée Nosbusch und Mehmet Kurtulus, zwischen Mia und Batu, denn beide sind seit sechs Jahren auch privat liiert.

Nicht von ungefähr umgibt den Film eine Aura voller Leichtigkeit und Unbeschwertheit, bevor die Handlung ins Geheimnisvolle, zum Teil Bedrohliche abfällt. Mal schreitet die Geschichte in schnellen Schritten fort, mal plätschert sie vor sich hin. Spannend bleibt es trotzdem bis zum Schluss, denn das Geflecht aus Lug und Trug, wahren und falschen Freunden sowie andauernder Manipulation von allen Seiten klärt sich nicht so schnell auf. Gelungen ist auch die thematische Balance, denn statt durchaus möglicher Technokratie setzt der Spielfilm auf die Charaktere.

Der aktuelle Hamburger «Tatort» verliert trotz temporärer anderer Ausrichtung nichts vom Charme des im Geheimen ermittelnden Kommissars, nichts von der Persönlichkeit Batus und nichts von der faszinierenden Vielschichtigkeit seines wichtigsten Charakters - im Gegenteil, denn statt Sonntagabendkrimi wird ein Thriller kredenzt, und statt essenzieller Individuumsmerkmale des Protagonisten ist der gesamte Film menschlicher und persönlicher denn je. Leichte Kost sieht anders aus - bessere Kost hingegen nicht.

Das Erste zeigt den «Tatort: Vergissmeinnicht» am 28. März 2010 um 20.15 Uhr.
27.03.2010 10:37 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/40994