«The Boys» – Staffel zwei: Härter und besser?

Reichlich Zorn und Wut erzeugte die Entscheidung der Verantwortlichen bei so manchem Fan die zweite Staffel «The Boys» gestückelt zu veröffentlichen. Trotzdem die richtige Entscheidung?

Ausnahmsweise auf die klassische, aus dem linearen Fernsehen gewohnte, episodenhafte Ausstrahlung zu setzen, rief zum Start der zweiten Staffel «The Boys» einen wütenden Social-Media-Mob hervor. Die Ein-Sterne-Bewertungen auf der eigenen Plattform folgten sogleich.

Nach vollständiger Sichtung dieser Staffel könnte man fast vermuten, dass diese Strategie ein bewusstes psychologisches Experiment des Autoren und Regisseurs Eric Kripke war, der mit diesen Reaktionen genau das bekam, was er wollte. Es passt schon fast zu gut ins Bild, dass relativ zu Beginn der Staffel der Neuzugang „Stormfront“ (Aya Cash) unserem Lyblingspsychopathen Homelander erklärt, was sich im Social-Media-Zeitalter am besten verkaufen lässt, nämlich Gefühle, insbesondere eben Zorn und Wut. Sie sind die Grundthematik dieser Serie, von der sich ein Großteil der Protagonisten auf beiden Seiten antreiben und leiten lässt.

Wenig überraschend wurde versucht mit Staffel zwei alles größer und besser zu machen. Dachte man nach der ersten Staffel zumindest der Gewaltgrad haben den Punkt des visuell Darstellbaren bereits erreicht, so belehren uns diese acht Folgen eines Besseren. Explodierende Köpfe, das Abtrennen von Extremitäten sowie die exzessive Darstellung von Brandleichen gehören zum guten Ton, womit man auch mit dieser Staffel zartbesaitete Zuschauer sicherlich nicht für sich gewinnen dürfte. Glücklicherweise ist die Gewaltdarstellung mittlerweile so übertrieben, dass sie nur noch schwer ernstgenommen werden kann und häufig absichtlich ins absurd-komische übergeht, etwa wenn beispielsweise ein Motorboot in einen gestrandeten Wal hineinfährt. Im Gegensatz hierzu steht der prüde Umgang mit Nacktheit, die trotz durchgeknalltem Superheldensex fast inexistent ist und damit ein typisch amerikanisches Kontrastbild zur expliziten Gewalt darstellt. Staffel zwei ist gespickt mit einer Vielzahl solcher Klischees, die wohl teilweise bewusst und teilweise unbewusst eingesetzt werden. Dass man die Frage, wie man die Darstellung des bitterbösen, sadistischen Psychopathen „Homelander“ als Feindbild noch toppen kann, mit der Einführung der von Aya Cash porträtierten Nazibraut „Stromfront“ beantwortet, passt hervorragend in diese pointierte Ansammlung amerikanischer Wertvorstellungen und Feindbilder.

Man kann zwar durchaus unterstellen, dass es sich mit der Nazithematik bzw. dem Umgang mit Faschismus und anderen gesellschaftskritischen Themen etwas zu einfach gemacht wurde, allerdings ist «The Boys» nicht gerade für Subtilität bekannt und zumeist funktioniert diese Herangehensweise hervorragend. Auch wenn Aya Cash schauspielerisch nicht ganz an den hervorragenden Antony Starr heranreicht, der die Ambivalenz seiner verrückt-bösen Supermankopie in Staffel zwei praktisch perfektioniert hat, so nimmt man ihr die eiskalte Rassistin jederzeit ab. Neben der Einführung einer sektenartigen Kirche als Eins-zu-eins-Kopie von Scientology, deren Handlungsstrang aber eher ins Leere läuft, hat man sich ausgiebig dem initial angesprochenen Thema Social-Media gewidmet und dabei die menschliche Abhängigkeit und die allzu einfache Manipulation, der die Menschheit tagtäglich durch die sozialen Netzwerke ausgesetzt ist, aufgezeigt. Visualisiert wird dies am Beispiel Homelanders, der sich vor nichts mehr zu fürchten scheint, als online bloßgestellt und diskreditiert zu werden. Selbst für einen schier übermächtigen Superhelden ist es wichtig so viele Klicks und Likes wie möglich zu generieren, egal mit welchen Mitteln, um dessen innere Leere zu Füllen.

Als Kontrast hierzu dienen die titelgebenden „Boys“ um Billy Butcher (Karl Urban) und Hughie Campbell (Jack Quaid), die sich kaum weniger darum scheren könnten, was die Gesellschaft von Ihnen hält. Campbell und dessen Freundin Starlight (Erin Moriarty) gehören dabei zum kleinen Kreis der Charaktere innerhalb der Serie, die einen Hauch von Menschlichkeit versprühen und dem Zuschauer eine kleine Verschnaufpause von der übrigen Schar an Soziopathen bieten.

Insgesamt ist es gelungen mit Staffel zwei nahtlos an Staffel eins anzuknüpfen und diese sogar noch ein Stück weit zu verbessern. Wem die zahllosen Gewaltorgien nicht auf den Magen schlagen, kann sich entspannt zurücklehnen und sich trotz teils schwachen Plots über mehr als acht Stunden hinweg bestens unterhalten lassen. Wenn gewünscht sogar in einem Rutsch, denn alle Folgen sind mittlerweile bei Amazon Prime abrufbar.
17.10.2020 10:00 Uhr  •  Marc Schneider Kurz-URL: qmde.de/121971