TikTok - Die schlimmste Social-Media-App der Welt?

Die App, deren Nutzerzahlen seit den vergangenen Jahren explodieren, stand schon das ein oder andere Mal in der Kritik – und das nicht ohne Grund.

Kaum einer App wurde in der letzten Zeit so großes mediales Interesse zuteil wie dem chinesischem Videoportal TikTok. Seit der Umbenennung von musical.ly in TikTok im August 2018 wuchs die Reichweite der App rasant. Inzwischen wurde sie bereits über zwei Milliarden Mal heruntergeladen. Aufsehen erregt momentan der Streit der US-Regierung mit dem Konzern ByteDance, dem Entwickler der App. Sicherheitsbedenken und die Kontrolle der Plattform durch die chinesischen Behörden hatten den US-Präsidenten zum Handeln bewegt. Nach einer misslungenen Übernahme des US-Geschäfts von TikTok durch Microsoft drohte bereits die zeitnahe Sperrung in den USA. Nun laufen weitere Verhandlungen, um diese Sperre doch noch abzuwenden. Im Gespräch steht die Gründung einer Gesellschaft namens TikTok Global, an der Oracle 12,5 Prozent und Walmart 7,5 Prozent innehaben soll. 80 Prozent verbleiben bei ByteDance, wobei wiederum 40 Prozent der Anteile in den Händen amerikanischer Investoren liegen. Doch die chinesische Regierung zeigt sich nicht begeistert von diesem Deal, denn die Bedingungen „verletzen Chinas nationale Sicherheit, Interessen und Würde“. Die Frage um die Zukunft der App scheint somit noch lange nicht geklärt.

Doch sind die Vorwürfe gerechtfertigt, die TikTok Zensur vorwerfen? In der App wird man hauptsächlich mit Unterhaltungsvideos konfrontiert, Videos zu politisch kontroversen Themen sind dagegen kaum auffindbar. Großes Aufsehen erregte Ende des vergangenen Jahres ein Video der Schülerin Feroza Aziz. Getarnt als Beauty-Tutorial macht sie nach ein paar Sekunden auf die Konzentrationslager in China aufmerksam. Das Video generierte zahlreiche Aufrufe, war jedoch kurze Zeit später gelöscht und der Account der Schülerin gesperrt. Schnell wurde der Vorwurf laut, dass TikTok Inhalte zensiert, die der chinesischen Regierung nicht gefallen. Durch medialen Druck unter anderem durch die New York Times wurde die Sperrung schließlich wieder aufgehoben.

Eine Quelle bei TikTok veröffentlichte gegenüber netzpolitik.org die Funktionsweise des Moderationssystems von TikTok. Denn ein Moderator entschiedet nicht einfach, ob das Video online bleibt oder gelöscht wird, sondern teilt jedes Video in eine von sechs Kategorien ein. Vollkommen harmlose und lustige Videos werden gefeatured, erhalten also sogar einen Boost durch den Algorithmus, um besonders oft angezeigt zu werden. Normale, nicht weiter auffällige Videos fallen unter die Kategorie „General“ und werden nur eventuell in einigen Ländern eingeschränkt. Die nächste Stufe „Not recommended“ sorgt dafür, dass das Video nicht mehr im „For you“-Feed erscheint und so nur durch gezieltes Suchen zugänglich wird. Bei der Kategorie „Not for Feed“ wird das Video zusätzlich in den Suchergebnissen abgestuft. In der Stufe „Visible to self“ bleibt das Video zwar faktisch online, ist allerdings nur für den Uploader sichtbar. Der letzte Schritt ist schließlich die Löschung.

In einer Acht-Stunden-Schicht sollen 1.000 Videos einsortiert werden. Ohne eine einzige kurze Pause entfallen somit auf jedes Video weniger als 29 Sekunden. Aus diesem Grund schaffte es Feroza Aziz vermutlich auch vorbei an der Zensur, da sie das Video als Beauty-Tutorial tarnte. Bei der Moderation wurde es somit als harmlos eingestuft und wurde mehr Nutzern empfohlen als von der Plattform gewollt. Wie erwähnt kann es in der Kategorie „General“ zum Sperren in einzelnen Ländern kommen, dem sogenannten Geo-Blocking. Inhalte aus dem LGTBQ+ Bereich oder bereits eine Regenbogenflagge in der Profilbeschreibung führen dazu, dass die Videos oder Profile in islamischen Ländern nicht angezeigt werden. Auch zu den Protesten in Hongkong waren in der chinesischen TikTok-Version kaum Videos auffindbar. Inzwischen ist auch die «Tagesschau» auf der App vertreten und gibt Kurzzusammenfassungen ihrer Nachrichten. Darin werden auch die Proteste in Hongkong thematisiert und dennoch erzielen die Videos mehrere hunderttausend Aufrufe. Grund dafür ist auch hier, dass das Profil der «Tagesschau» in der chinesischen Version nicht auffindbar ist.

Auch wenn TikTok also wiederholt abstreitet, Inhalte aufgrund ihrer politischen Ausrichtung zu entfernen, werden keine Aussagen darüber getroffen, ob bestimmte Videos in ihrer Reichweite eingeschränkt werden. Das Problem dabei ist nun, dass TikTok somit die Inhalte der Plattform ganz gezielt leitet. Erhält man für ein Video, das sich mit politischen Themen beschäftigt, kaum Aufrufe, nimmt der Nutzer an, dass solche Videos nicht gefragt sind. Dahingegen scheint der Upload von lustigen Videos viel verlockender, da mit ihnen größere Aufmerksamkeit generiert wird. Medien beeinflussen durch ihre Inhalte, welche Themen in den Köpfen ihrer Zuschauer präsent sind. Auf diese Weise sorgt TikTok gezielt dafür, dass kritische Auseinandersetzung mit politischen Themen in den Köpfen der Rezipienten nach hinten wandert und das Thema insgesamt an Wichtigkeit verliert.

Zusätzlich wurde in dem Zusammenhang bekannt, dass TikTok die Moderatoren angewiesen hatte, auch Videos von Menschen mit Behinderungen, übergewichtigen Personen oder auch Menschen mit fehlenden Zähnen oder sichtbaren Narben in ihrer Reichweite zu beschränken. Als Grund dafür wurde die höhere Anfälligkeit für Mobbing aufgeführt. Um den Nutzern also nicht dem Cyberbullying auszusetzen, ist die Lösung der Plattform, diese Videos möglichst wenigen Nutzern anzuzeigen. Innerhalb der kurzen Moderationszeit sollen die Moderatoren also entschieden, ob ein Nutzer in diese Kategorie fällt. Darunter werden in dem Regelwerk explizit Richtlinien wie „entstelltes Gesicht“, „Autismus“ oder „Downsyndrom“ genannt.
12.10.2020 11:27 Uhr  •  Laura Friedrich Kurz-URL: qmde.de/121879