«Sunny»-Showrunner Manuel Meimberg: 'Deutsche Fiktion ist diverser geworden'

Mit der aus «GZSZ» bekannten Hauptfigur Sunny Richter hat sich Manuel Meimberg auf eine Reise begeben - und 20 Folgen eines TV Now-Originals unter Corona-Bedigungen produziert. Wieso Sunny wohl lieber weiter Taschen produziert hätte, wie sich Brix Schaumburg eingesetzt hat, welche Rolle Social Media spielt...

Zur Person: Manuel Meimberg

Der Bielefelder ist 45 Jahre alt, begann seine Autoren-Karriere als Storyliner bei Formaten wie «Unter uns» oder «Verschollen», hob dann «Alles was zählt» aus der Taufe. Zuletzt arbeitete er unter anderem an «Tempel», einer Webshow namens «Bongo Boulevard» und schrieb Episoden für den Krimi «SOKO Leipzig». Für «Familie Braun» gewann er 2017 einen International Emmy Award.
Herr Meimberg, am Donnerstag startet «Sunny» linear bei RTL und bei TVNOW: Für die Serie nehmen Sie Sunny aus der «Gute Zeiten, schlechte Zeiten»-Welt und wollen damit natürlich die Fans von «GZSZ» catchen…
Im Grunde genommen hat die Serie außer der Hauptfigur nichts mit dem «Gute Zeiten, schlechte Zeiten»-Kosmos zu tun. Es war mir auch von Beginn an wichtig, dass wir festhalten, dass es sich bei «Sunny – Wer bist du wirklich?» nicht um ein Spin-Off von «GZSZ» handelt. Mittlerweile finde ich es aber ganz gut, dass die Fans der Serie «Sunny» mit dieser gewissen Erwartungshaltung entgegenfiebern – so werden wir sie bestimmt positiv überraschen können.

Aber die Tatsache, dass Sunny Richter Ihre Hauptfigur ist, ist doch ein klarer strategischer Move.
Klar, ist das eine sinnvolle Strategie. Dass Sunny die Hauptfigur sein wird, war der Ausgangspunkt der Idee. Und sicher war es auch eine Idee, dass man aus einer der großen Marken von RTL eine weitere Serie strickt.

Wir sind das erste fiktionale TV Now-Original – die erste ganz echte Dramaserie für dieses Portal. Bei der Produktion war das von Vorteil, weil es natürlich noch wenige Erfahrungen gab und mir somit auch kaum gesagt wurde, dass XY früher in solcher und solcher Form schon gut funktioniert hat.
Showrunner Manuel Meimberg
Es ist nun eine fast täglich erscheinende Serie für TVNOW – natürlich bleibt aber den Zuschauern on demand überlassen, in welcher Geschwindigkeit geguckt wird. War das für Sie herausfordernd?
Herausfordernd? Ich habe es als Gefühl von Freiheit empfunden. Wir sind das erste fiktionale TV Now-Original – die erste ganz echte Dramaserie für dieses Portal. Bei der Produktion war das von Vorteil, weil es natürlich noch wenige Erfahrungen gab und mir somit auch kaum gesagt wurde, dass XY früher in solcher und solcher Form schon gut funktioniert hat. Ich hatte von Beginn an eine Vision und die wollte ich auch umsetzen. Das hat geklappt.

Wieso fiel die Wahl auf Sunny und nicht auf Emily oder Lilly?
Tatsächlich stand das schon fest, als ich zu dem Projekt kam. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass der Sender eine Geschichte mit Valentina Pahde machen wollte. Sie ist bei «GZSZ» in den vergangenen Jahren zu einem Publikumsliebling mit vielen Fans geworden und hat eine große Social-Media-Reichweite.

Sunny war zuletzt in der Serie recht zerrissen. Hatte Schicksalsschläge, gescheiterte Beziehungen, Kontakt zu Drogen. Wie haben Sie Sunny kennengelernt?
Da ich «GZSZ» nur sehr selten schaue, musste ich sie wirklich erst kennenlernen. Sie wissen ja, dass es bei solchen Produktionen zu jeder Szene One-Liner gibt. Da wird ganz knapp erklärt, was in einer Szene passiert. Ich habe von der «GZSZ»-Produktion alle One-Liner zu Szenen mit Sunny bekommen und habe mich dann einen halben Tag lang hingesetzt und das gelesen. So entstand dann auch der Titel „Wer bist du wirklich?“. Sie haben Recht, dass Sunny sehr zerrissen und auf der Suche nach sich selbst ist. Sie stellt dabei viel in Frage. So sind die Themenwelten und der Themenkern der neuen Serie entstanden.

Sunny geht in der Serie vom Berliner Kiez nach München, um eine Fotografen-Masterclass zu besuchen. Sagen wir es so: Wenn sie wüsste, was sie da erwartet, dann wäre sie in Berlin geblieben?
Ja, das merkt sie schon am Ende der ersten Folge. Wenn sie das gewusst oder einen Trailer der Serie vorher gesehen hätte (lacht), wäre sie vielleicht lieber in Berlin geblieben und hätte weiter Taschen produziert.

Ist «Sunny – Wer bist du wirklich?» eine abgeschlossene Miniserie?
Spannende und witzige Frage. Sie wissen ja, dass wir für die Produktion drei Monate lang alle zusammengewohnt haben und somit in Quarantäne waren. Als wir Bergfest hatten, also nach sechs Wochen, haben wir uns ein Boot gemietet und sind in Potsdam über die Seen geschippert. Wir haben dabei ein bisschen Wein getrunken, es war ein sommerlicher Tag. Und irgendwann haben wir begonnen zu überlegen, was in Staffel zwei passieren könnte. Ich war immer der Meinung, die Serie ist nach 20 Folgen zu Ende. Aber dann kam eine Idee, die mich umgeworfen hat – und direkt danach noch eine. Wir haben letztlich wohl um die sechs Stunden Brainstorming betrieben. Sagen wir es so: In meinem Kopf ist die zweite Staffel halb-fertig. Nichtsdestotrotz geht Sunny zurück zu «GZSZ».

Sie haben die Quarantäne angesprochen. Im Hauptcast sind neun Darsteller. Wie groß war denn der Jubel, als diese erfuhren: Glückwunsch, Sie haben jetzt drei Monate in unserer Villa, aber somit auch in Abgeschiedenheit gewonnen…
Das ist eine verrückte Geschichte. Ich erinnere mich noch sehr genau an unseren letzten Casting-Tag. Das war in einer Zeit, in der Corona in Deutschland noch eher belächelt wurde. Wir haben uns damals mit der Frage begrüßt, ob wir uns schon nicht mehr umarmen dürfen. Und dann ging alles ganz schnell: Corona wurde größer, es kam der Lockdown. Einen ganzen Tag lang habe ich dann nur Schauspieler*innen angerufen, um ihnen zu sagen: ‚Glückwunsch, du hast die Rolle‘, aber ‚Glückwunsch, du müsstest mit uns in Quarantäne‘. Ich habe gedacht, dass die Hälfte abspringt, aber es sind alle dabeigeblieben.

Eines hat mich dabei besonders gefreut: Brix Schaumburg, der Transmann, hat zugesagt, obwohl seine Frau zu dieser Zeit schwanger war und das Kind während unserer Produktion auf die Welt kam. Er hatte sich zwei Tage mit seiner Frau beraten und sie hatte ihm empfohlen, zu uns in Quarantäne zu gehen. Es war Brix einfach wichtig, das Thema – er wird bei uns ja auch ein Transmann sein – zu erzählen.

Zur Ausstrahlung

RTL zeigt am 1. Oktober die ersten beiden Folgen der neuen Serie ab 20.15 Uhr - für zahlende TV Now-Kunden steht gleich eine dritte parat. Am Freitag, 2. Oktober folgt bei TV Now die vierte Folge. Ab der Folgewoche veröffentlicht TV Now immer vier Folgen pro Woche von «Sunny».
In «Sunny» trifft die Hauptfigur auch auf ihre Mutter – Vanessa Richter nimmt somit ihre alte «GZSZ»-Rolle wieder auf. Doch in der Beziehung kriselt es…
Sie haben ein schwieriges Verhältnis. Sunny hat auch in «GZSZ», sie wurde einst ja außerhalb der Serie und in Taiwan geboren, nie über die Beziehung zur Mutter gesprochen. Ich habe das so gedeutet, dass sie das nicht wirklich wollte. Bei «Sunny» werden wir alle Figuren über Rückblenden näher kennenlernen. Darüber wird dann auch mehr über Sunnys Kindheit und Jugend und somit über die Probleme mit ihren Eltern klar.

Sie haben früher lange für «Alles was zählt» geschrieben, jetzt machen Sie den – ich sag‘ mal ‚inoffiziellen «GZSZ»-Ableger‘. Wie haben sich Daily Soaps zuletzt gewandelt?
Das ist schwer zu sagen, weil ich Daily Serien auch aus zeitlichen Gründen kaum verfolge. «Sunny – Wer bist du wirklich?» ist zudem nicht mit einer Daily zu vergleichen, sondern es ist eine moderne Streaming-Serie. Sie haben gefragt, wie sich tägliche Serien in letzter Zeit gewandelt haben. Ich kann sagen, wie sich die Fiktion im Deutschen Fernsehen gewandelt hat: Sie ist – in den Themen und in der Besetzung – diverser geworden. Zumindest ein bisschen. Noch lange nicht divers genug finde ich, aber auch da wollte ich bei «Sunny» zeigen, in welche Richtung man gehen muss: Bunter besetzen, abwechslungsreicher. Eine Hauptfigur bei «Sunny» ist schwarz. Eine ist trans. Eine asiatisch. Eine lesbisch. Sind das alles Themen der Serie? Nein, aber es bildet die Lebenswirklichkeit in Deutschland ab. Und eine Serie so zu besetzen, wie sich Deutschland anfühlt – das ist für mich auch modernes Erzählen.

Danke für das Gespräch.
30.09.2020 10:00 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/121672