Die Kritiker: «Now or Never»

Eines ist von Anfang an klar: Am Ende dieses Filmes wird Rebecca (Tinka Fürst) sterben. Sie will das so. Doch statt den Tod zu betrauern, feiert «Now Or Never» das Leben. Als Komödie. Aber funktioniert das auch? Eine kleine Komödie über den letzten Tag eines Lebens?

Cast & Crew

  • Darsteller: Michael Punk, Tina Fürst, Johannes Allmayer, Sebastian Jehkul, Claudia Burckhardt, Till Butterbach, Philippe Graber, Christian Kaiser
  • Regie: Gerd Schneider
  • Buch: Belo Scharz
  • Kamera: Dominik Berg
  • Musik: Martina Eisenreich
Henry (Michael Pink) hat einen ungewöhnlichen Beruf: Er ist Sterbehelfer. Doch so wirklich würdevoll übt er diesen Beruf nicht aus. Meist ist er verkatert, die Krawatte, eigentlich ein Zeichen von Seriosität, trägt er stets halb gebunden um den Hals; so, wie er auftritt, wirkt er eher wie der Manager einer zweitklassigen Rockband, die 1999 mal einen Semi-Hit hatte und seither über Stadtfeste tingelt, sich dabei dabei aufführt, als wären sie mindestens Iron Maiden. Seinen Beruf übt er in einem Hospiz aus, das direkt auf der deutsch-schweizerischen Grenze steht. Um genau zu sein verläuft die Grenze direkt durchs Sterbezimmer. Auf der deutschen Seite erhalten die Gäste ihre palliative Behandlung. Wenn sie dann jedoch aus dem Leben scheiden, muss das Bett auf die andere Seite der Grenze geschoben werden. Hier dürfen die Gäste selbstbestimmt ihr Leben beenden, wenn sie so schwer erkrankt sind, dass es keine Hoffnung auf Heilung mehr gibt.

Schon der Prolog macht klar, dass Henry nicht der Rüpel ist, den viele in ihm sehen. Ja, er kommt zu spät zum angedachten Termin und die Art und Weise, wie er sich den anwesenden Angehörigen der älteren Dame, die sterben möchte, gegenüber verhält: Ist schon ein wenig irritierend. Schmeißt er sie wirklich raus? Ja, das macht er. In dem Moment aber, in dem er mit der Dame alleine im Raum ist, lacht diese. Ihre Nichten und Neffen hätten sich nie um sie gekümmert, als sie noch gesund war, erzählt sie ihm. Aber jetzt, ja, da gibt es etwas zu erben. Sie lacht. Und nimmt den Gifttrunk, den Henry ihr reicht.

Dieser Henry, der sehr wohl ein Gespür für die Bedürfnisse der Menschen um sich herum besitzt, den sehen seine Kolleginnen und Kollegen in ihm nicht. Er ist das Schwarze Schaf und mit dieser Aktion – dem Rauswurf der Angehörigen - hat er sich selbst einen Tritt verpasst. Feuern will ihn seine Chefin dennoch nicht, vielmehr gibt sie ihm noch eine Chance. Wegen eines sehr speziellen Falles: Rebecca.

Da sitzt also Rebecca und wartet auf ihn. Rebecca ist um die 30 und sie will heute noch ordentlich einen drauf machen. Mit Alkohol, guter Musik, Spaß. In ihrem Gehirn wuchert ein Tumor. Der hat schon vor Monaten Ausmaße angenommen, die sie längst ans Bett fesseln und ihre kognitiven Fähigkeiten hätten einschränken müssen. Dass dies nicht passiert ist, empfindet Rebecca nicht als Segen, sondern als Fluch. Sie weiß, dass sie nur noch wenige Wochen zu leben hat. Ihr Schicksal ist unabwendbar. Ebenso die Tatsache, dass ihr Tod schmerzhaft sein wird. Daher will sie diesen letzten Tag in vollen Zügen genießen. Und dann selbstbestimmt gehen.

Harter Toback mit Startschwierigkeiten


Das ist ein ziemlich harter Tobak und leider torkelt «Now or Never» anfangs mehr in die Geschichte als dass die SWR-Produktion diesen Weg sicheren Fußes beschreitet. So ergibt es keinen wirklichen Sinn, dass sich Henry ziemlich sträubt, Rebecca diesen letzten Wunsch zu erfüllen, denn dieses Verhalten widerspricht dem Henry, der zu Beginn des Filmes zwar ruppig die Angehörigen aus dem Sterbezimmer wirft, im Grunde aber in diesem Augenblick alles richtig macht – und der älteren Dame ein würdevolles Gehen ermöglicht. Hier wird ein Konflikt erschaffen, der aus dramaturgischen Gründen zwar nötig erscheint (irgendwie müssen sich Rebecca und Henry im Laufe der Handlung ja näher kommen und das funktioniert am besten, wenn man erst einmal einen Antagonismus zwischen ihnen aufbaut, den es zu überwinden gilt), der aber auch aufgesetzt wirkt. Auch die Einführung Bennos (Johannes Allmayer) rumpelt. Henry geht also widerwillig mit Rebecca auf Tour, landet in einem Club, in dem ein eher schlechter Elvis-Imitator seine Liebe zum King auf der Bühne zum Besten gibt, und trifft hier seinen Kollegen – und ehemals guten Freund – Benno, den er am liebsten von hinten sehen würde, was er ihm auch zu verstehen gibt. Dass Henry für sein Verhalten durchaus gute Gründe hat, das mag sein: Aber auch hier widerspricht das miesepetrige Verhalten dem ruppigen, aber eben doch empathischen Henry des Prologes (vor allem unter Berücksichtigung, dass der Zuschauer diesen Benno noch gar nicht kennt). Wie soll dieser Henry der jungen Frau helfen können, diesen letzten Weg zu gehen, wenn das Drehbuch schon nicht weiß, wie er eigentlich genau dargestellt werden soll? Ruppig, aber eigentlich empathisch? Ruppig, aber auch Arschloch?

Es rumpelt!


Der erste Akt rumpelt derart vor sich hin, dass es wirklich keine Freude ist, dem Geschehen auf dem Bildschirm zu folgen. Doch dann – kriegt die Geschichte (durchaus überraschend) die Kurve. Während der erste Akt keine Ahnung hat, was er sein möchte (Tragödie, Komödie?), verlegt die Story die Handlung auf die Straße und streift das Genre des Road Movies. Das mag eine billige Allegorie darstellen (die Straße des Lebens). Aber sie funktioniert! Rebecca fängt das Gerücht auf, irgendwo in einem Schweizer Bergdorf soll eine Art Wunderheiler sein Unwesen treiben. Was hat sie schon zu verlieren? Also will sie zu ihm, dazu braucht sie einen Chauffeur und wenn Henry ihr nicht hilft, wird sie die letzten Stunden ihres Leben darauf verwenden, ihm seinen Job zur Hölle zu machen. Also begibt sich Henry mit ihr auf diesen Trip. Der Gast ist König, und wenn der Gast seine letzten Stunden mit einer irrigen Hoffnung verbringen möchte: Es ist nicht an ihm, dies zu kritisieren.

Was Henry nicht weiß: Benno nimmt seine Verfolgung auf. Zusammen mit Daniel (Sebastian Jehkul), Rebeccas Ehemann, der vollkommen von Rebeccas Entscheidung, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen, überrannt wurde und sie von diesem Entschluss unbedingt abbringen will. Auch wenn ihre Ehe zuletzt ziemlich in den Seilen hing. Benno indes macht sich Sorgen um Henry. Wenn er Rebecca Sterbehilfe leisten sollte, ohne Zeugen oder zumindest einen Kamerabeweis, der belegt, dass sie freiwillig aus dem Leben scheidet, wäre dies Totschlag. So wird auch recht schnell offenbart, weshalb Henry Benno hasst: Benno war der Sterbehelfer seiner Ehefrau. Henry selbst hat einen geliebten Menschen verloren und dass sein bester Freund seiner Frau half – kann er ihm nicht verzeihen. Anmerkung: Da dies recht früh offenbart wird, ist dieser Spoiler für den Rest der Handlung an dieser Stelle verschmerzbar!

Liebe zu den Figuren


So dramatisch dies alles klingen mag, wenn man die Handlung nüchtern zusammenfasst: In dem Moment, in dem die Geschichte auf die Straße wechselt, versteht es Regisseur Gerd Schneider, einen eher lockeren Ton über die Szenerie zu legen, der (jetzt) viel Liebe zu seine Figuren offenbart, der das Leben feiert und sogar humorvolle Töne erlaubt. So entwickelt sich für Benno und Daniel die Verfolgung zu einer Tour de force, bei der ihnen unter anderem das Auto verreckt und sie auf die Hilfe des den Zuschauern bereits bekannten, untalentierten Elvis-Imitators angewiesen sind, was in einem höchst amüsanten Fiasko endet.

Und dann sind da die Gespräche zwischen Rebecca und Henry, die anfangs recht schneidend daher kommen, die jedoch mit fortlaufender Handlung mehr und mehr an Tiefe und Zuneigung gewinnen. Sogar für die Geschichte des Wunderheilers findet das Drehbuch eine versöhnliche Wendung.

Fazit: «Now Or Never» macht es den Zuschauern nicht immer leicht, ihn zu mögen. Der eher verunglückte Einstieg in die Geschichte wabbert doch einige Zeit nach; auch die Tatsache, dass sich das Drehbuch darum windet, das Geschäft Sterbehilfe zu hinterfragen – schließlich arbeitet Henry für ein gewerbliches Unternehmen: An diesem Punkt macht sich das Skript einen etwas schlanken Fuß. Doch mit Charakteren, die mehr und mehr an Konturen gewinnen, kann die Story punkten. So wie auch der eher lockere Inszenierungsstil einen wohltuenden Kontrast zur Dramatik der eigentlichen Geschichte darstellt. So schließt man die Figuren irgendwann ins Herz und um so schwerer fällt es, sie am Ende wieder loszulassen. Besonders Rebecca, für die diese Reise ihre letzte sein wird.

Ausstrahlung: Am 24. Juni 2020 im Ersten, danach in der ARD-Mediathek.
23.06.2020 15:30 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/119205