«Snowpiercer» – mäßig spannende Filmadaption mit Längen

Nach einer zweijährigen Durststrecke ist «Snowpiercer» endlich als Serie bei Netflix angelaufen – und hat von Anfang an mit den Tücken des seriellen Erzählens zu kämpfen.

Am Ende der Kreativität


Cast & Crew

  • Darsteller: Jennifer Connelly, Daveed Diggs, Alison Wright, Mickey Sumner u.a.
  • Regie: James Hawes, Sam Miller
  • Idee: Josh Friedman & Graeme Manson
  • US-Sender: TNT
Es ist gerade einmal sieben Jahre her, dass der südkoreanische Regisseur und Drehbuchautor Bong Joon-ho die französische Graphic Novel „Le Transpereneige“ („Schneekreuzer“) verfilmt hat. Bereits fünf Jahre später versuchte sich TNT an einer Serienadaption, die erst auf Juni 2019 verschoben wurde und nun im wöchentlichen Rhythmus auf Netflix ausgestrahlt wird. Wozu ein Film, der noch so frisch im Gedächtnis ist, unbedingt eine serielle Neuauflage brauchte, erschließt sich nicht ganz. Die ersten beiden Teile lassen jedenfalls nicht auf eine Fortsetzung der packenden Action-Gesellschaftskritik von 2013 hoffen, sondern setzen sechs Jahre nach der Abfahrt des eintausendundein Waggon langen Snowpiercers an.

Die Grundlagen der Eiswelt der Zukunft werden dem Zuschauer in einem kurzen, animierten Comicstrip an die Hand gegeben, der ansprechend umgesetzt ist und in einer Liveactionszene mündet. Verzweifelte und verängstigte Menschen stürmen ohne Rücksicht auf Verluste die hinteren Waggons der Schienen-Arche, um dem sicheren Kältetod zu entgegen. Hunderte gelangen zwar in den Zug, werden aber seitdem wie Vieh zusammengepfercht, geprügelt, gedemütigt und versklavt. Kein Wunder also, dass es unter den „Tailies“ genannten Mitreisenden brodelt. Leider hat es sich an dieser Stelle im Grunde auch schon mit den Innovationen. Die folgenden Minuten laufen fast identisch zu denen des Films ab und auch optisch hat sich nicht allzu viel verändert. Sowohl die Sets, als auch die Kostüme und sogar die Dialoge wirken wie ein mäßig geglückter Neuaufguss des Films. Da hat es die Serienumsetzung des SciFi-Klassikers «12 Monkeys» 2015 wesentlich besser geschafft, den Filmstoff in ein vollkommen neues inhaltliches uns visuelles Gewand zu kleiden.

Abzüge in der A- und B-Note


Es ist nicht so, dass «Snowpiercer» optisch nicht grundsolide Serienkost liefern würde. Die einzelnen Zugabschnitte sind durchaus ansprechend und abwechslungsreich anzusehen. Die Eleganz der ersten Klasse, die von Royals, ehemaligen Industriemagnaten und anderen Superreichen belegt wird, hebt sich dramatisch von den dunklen Viehwaggons ab, in denen es vor Dreck starrt und in denen die Menschen sich von eklig schwarzen Proteinballen und Ratten ernähren. Die Dekadenz der Elite wird sogar noch auf die Spitze getrieben, wenn sich eine elegant gekleidete Dame darüber beschwert, dass ihre adeligen Nachbarn in der Sauna singen würden. In solchen Augenblicken blitzt für einen kurzen Moment der kritische Ansatz des Originals auf, der in seiner Machart ein wenig an die viel zu früh abgesetzte SYFY-Serie «Ascension» erinnert.

Leider kratzen die Drehbücher jedoch nur an der Oberfläche. In den ersten Minuten scheint alles auf den aus dem Film bekannten brutalen Klassenkampf hinauszulaufen, dem allerdings die beißende Ironie des Originals fehlt. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn der Spannungsbogen aufrechterhalten würde. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund versucht sich Serienerfinder Grame Manson mit einer Mordgeschichte vom Vorbild abzuheben. Die gefälligen Leistungen des neuen Hauptdarstellers Daveed Diggs (spielt den Ex-Cop Andre Layton) und seiner Antagonistin Jennifer Conelly (als die wahre Macht des Zuges Melanie Cavill zu sehen) können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier zugunsten der seriellen Erzählweise gemauschelt und gedehnt wird, was das Zeug hält. Im Großen und Ganzen plätschern Laytons Ermittlungen nämlich vor sich hin und hinterlassen einen eher nichtssagenden, fast schon faden Eindruck. Es ist nur schwer vorstellbar, dass eine Kriminalgeschichte im Dystopiegewand über mehrere Folgen hinweg so unterhalten kann. Wer will schließlich einem langatmig inszenierten Mordplot folgen, wenn die Idee des Schneekreuzers doch so viel Konfliktpotential und narrative Möglichkeiten bietet?

Fazit: «Snowpiercer» ist solide in Szene gesetzt, keine Frage. Motivierte Schauspieler, das gelungene, optisch ansprechende Setting und die routinierte Kameraführung bieten eigentlich die besten Voraussetzungen für ein spannendes Serienevent. Die langweilige Inszenierung bremst den anfänglichen Enthusiasmus jedoch viel zu schnell aus und lässt keine echte Spannung aufkommen. Zudem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde auch diese Story letzten Endes in einem mehr oder weniger glaubwürdigen Komplott kulminieren, an dessen Ende sich Layton zum Führer der Revolution aufschwingt. Die Frage ist, was der Writers Room daraus macht und ob der Stoff genug Spannung bietet, um den Zuschauer auf Dauer bei der Stange zu halten. Bislang schöpft «Snowpiercer» sein offensichtliches Potential jedenfalls nicht annähernd aus und fällt eher in die Kategorie „kann man mal gesehen haben, muss man aber nicht.“

Die ersten beiden Teile von «Snowpiercer» sind seit dem 25. Mai 2020 auf Netflix abrufbar. Die weiteren Folgen der ersten Staffel werden im wöchentlichen Rhythmus zu sehen sein.
28.05.2020 10:00 Uhr  •  Reinhard Prahl Kurz-URL: qmde.de/118621