Sportjournalist Tobias Escher: 'Momentan habe ich die Lust am Fußball etwas verloren'

Wie viele freie Sportjournalisten muss Bestseller-Autor Tobias Escher, der unter anderem für Spielverlagerung und den Spiegel arbeitet, Umsatzeinbußen verkraften. Wir haben mit ihm über die Comeback-Pläne der Bundesliga gesprochen und Vorteile wie auch mögliche Gefahren analysiert.

Zur Person: Tobias Escher

Tobias Escher, Jahrgang 1988, arbeitet als Fußball-Analytiker, unter anderem für Spiegel Online, die RocketBeans und Spielverlagerung. Texte von ihm erscheinen auch in der Welt und bei Zeit Online. Er hat auch mehrere Bücher veröffentlicht, darunter Werke wie "Vom Libero zur Doppelsechs".
Herr Escher, mal plump gefragt: Wie geht es einem Sportjournalisten in diesen Zeiten, in denen es ja keinen bis kaum Live-Sport gibt?
Es gab gewiss schon rosigere Zeiten. Mein täglich Brot verdiene ich damit, als freier Autor Fußballspiele zu analysieren. Wenn es keine Fußballspiele gibt, habe ich auch nichts zu analysieren. Entsprechend habe ich seit dem Beginn der Krise 80 Prozent meines Umsatzes verloren. Ich falle unter die vielen Tausenden Menschen, die ohne Bundesliga ihrer Arbeit nicht nachgehen können: Kameramänner, Bierverkäufer, Ordner – und auch freie Sportjournalisten.

Auch nochmal generell gefragt: Hat dieses Virus denn Ihre Sicht auf den Fußball verändert? Hat er an Bedeutung verloren oder sogar gewonnen?
Momentan – da bin ich ehrlich – habe ich die Lust am Fußball etwas verloren. Viele Kolleginnen und Kollegen vertreiben sich die freie Zeit damit, Fußball-Klassiker der WM- oder Bundesliga-Geschichte zu schauen. Es fühlt sich nicht richtig an, Fußball zu schauen, während es der Welt um einen herum so schlecht geht. Aus meiner Erfahrung sind sich der meisten bewusst, dass der Fußball eine Freizeitveranstaltung ist – eine aus meiner Sicht wunderbare, aber sie ist eben nur sekundär, wenn es hart auf hart kommt wie in diesen Zeiten.

Es sieht sehr stark danach aus, dass die Bundesliga die erste große Sportliga in Deutschland wird, die wieder spielen kann. Befürworten Sie das?
Grundsätzlich finde ich das Vorgehen der Bundesliga richtig, nach Mitteln und Wegen zu suchen, den Spielbetrieb möglichst schnell wieder aufzunehmen. Anders als die Teams im Handball, Basketball oder auch in der Dritten Liga ist die wichtigste Einnahmequelle der Bundesligisten die TV-Vermarktung. Bei manchen Klubs stammen 50 Prozent der Einnahmen aus der TV-Vermarktung. Es ist eine einfache Rechnung: Werden keine Spiele im TV gezeigt, verdienen die Klubs kein Geld. Da Spiele vor Publikum bis mindestens September, höchstwahrscheinlich sogar bis 2021 nicht möglich sind, werden Spiele ohne Publikum stattfinden müssen, damit die TV-Partner bedient werden können. Das finde ich richtig, um den Vereinen und den vielen Arbeitnehmern in und um die Klubs finanziell eine Perspektive zu bieten.

Sehen Sie auch Probleme und Gefahren auf die Gesellschaft zukommen?
Was ich kritisch sehe, ist die Geschwindigkeit und auch Penetranz, mit welcher die Bundesliga versucht, möglichst früh den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. Das derzeit debattierte System sieht in den kommenden zwei Monaten 20.000 Corona-Tests für Spieler, Trainer und Schiedsrichter vor. Zudem soll nicht die ganze Mannschaft in Quarantäne müssen, sobald ein Spieler positiv getestet wurde. Ich sehe bei beiden Punkten eine Doppelmoral: Während der Normalbürger sich nicht einfach so testen lassen kann und bei dem kleinsten Kontakt mit einem Corona-Fall in Quarantäne muss, sollen für den Fußball andere Regeln gelten. Warum gerade für den Fußball diese Ausnahmeregelungen gelten sollen, erschließt sich mir nicht. Es ist ein Wirtschaftszweig – aber eben nur einer von vielen. Meine Meinung lautet: Geisterspiele ja – sobald die Kontaktbeschränkungen aufgehoben wurden und wenn Quarantäne-Bestimmungen eingehalten werden.

Sobald der Ball wieder rollt, werden Fans die Spiele live schauen wollen. Diese laufen aber im Bezahlfernsehen, bei Sky und DAZN. In normalen Zeiten treffen sich die Fans zum Fußballschauen – bei Freunden, in Kneipen, an öffentlichen Plätzen. Genau dieses „Rudelgucken“ will man dieser Tage aber nicht haben. Doch wie will man es verhindern? Die Antwort im Konzeptpapier der Deutschen Fußball-Liga, kurz: DFL, fällt dünn aus: Die Fans sollen aufgefordert werden, allein zu schauen.
Sportjournalist Tobias Escher
Muss die Bundesliga in dieser besonderen Situation nun präsenter im Free-TV sein?
Das ist ein weiterer gewichtiger Punkt: Sobald der Ball wieder rollt, werden Fans die Spiele live schauen wollen. Diese laufen aber im Bezahlfernsehen, bei Sky und DAZN. In normalen Zeiten treffen sich die Fans zum Fußballschauen – bei Freunden, in Kneipen, an öffentlichen Plätzen. Genau dieses „Rudelgucken“ will man dieser Tage aber nicht haben. Doch wie will man es verhindern? Die Antwort im Konzeptpapier der Deutschen Fußball-Liga, kurz: DFL, fällt dünn aus: Die Fans sollen aufgefordert werden, allein zu schauen. Ansonsten sei die Task-Force für dieses Problem nicht zuständig. Wäre ich Politiker, würde ich die Bundesliga auffordern, zumindest die letzten beiden Spieltage im Free-TV zu zeigen. Nur so lässt sich verhindern, dass sich Fans nicht gemeinsam treffen, um die entscheidenden Spiele um Meisterschaft oder Abstieg zu schauen.

Eigentlich wären in rund zwei Wochen die TV-Rechte an der Bundesliga vergeben worden (geplant war mal der 11. Mai). Das ist nun nach hinten geschoben. Mir ist klar, dass die Frage spekulativ ist, daher: Glauben Sie, Corona beeinflusst den Ausgang dieser Vergabe?
Ganz eindeutig. Kein Wirtschaftsunternehmen der Welt kann derzeit realistische Einschätzungen abgeben, wie das Geschäft in fünf Wochen, geschweige denn fünf Monaten oder fünf Jahren aussieht. Viele Unternehmen werden konservativ reagieren und Ausgaben herunterschrauben. Gerade DAZN ist aktuell schwer betroffen von der Krise, viele Fans kündigen ihre Abos. Aber auch Sky dürfte kein Gewinner der Krise sein; im Falle einer Rezession verzichtet so manch ein Kunde auf das teure Abo. Es besteht die Chance, dass ein außenstehendes, von der Krise nicht so gebeuteltes Unternehmen überraschend zuschlägt; die Deutsche Telekom etwa oder Amazon. Zunächst dürfte die Bundesliga aber auf Zeit spielen und die Rechtevergabe weiter verzögern.

Wir sehen also, dass wir uns um die Bundesliga an sich keine allzu großen Sorgen machen müssen. Durch die TV-Gelder sind die Vereine vorerst abgesichert. Das trifft aber nicht auf alle Sportarten zu. Gerade im Kleinen sind die Probleme vielfältig. Gibt es Sportarten, die Sie massiv bedroht sehen oder wird sich alles nach einer Zeit irgendwie wieder einpendeln?
Alles hängt davon ab, wie lange die Coronakrise den Alltag im Griff hat. Sportarten wie Basketball oder Handball haben das Glück, keine so hohen Gehaltskosten zu haben. Sie können Spieler und Angestellte in Kurzarbeit schicken. Aber auch hier wird es eng, wenn nicht irgendwann in diesem Jahr der Spielbetrieb wieder starten kann. Ganz brutal wird es für Individualsportler: Wenn Sponsoren anfangen abzuspringen, geht es hier schnell um ihre Existenz.

Sie sind ja, Herr Escher, auch den Bohnen seit längerer Zeit treu, treten dort auch bei der "Bohndesliga" auf. Wie hat sich Ihre Arbeit dort verändert?
Auch bei den Rocketbeans merkt man die Krise natürlich. Die meisten Mitarbeiter arbeiten im Home-Office, die Stimmung im Unternehmen ist doch eine andere. Unsere Show «Bohndesliga» hat vier Wochen Pause gemacht. Nun geht es aber weiter.

Ich kann Sie natürlich nicht entlassen, ohne auch ein bisschen von Ihrer sportlichen Expertise zu profitieren... Da es mir aber ungewiss erscheint, nach dem nächsten Europameister zu fragen, zumal ja auch keiner sicher weiß, ob es die EM 2021 absolut sicher geben kann, geht meine Frage noch weiter in die Zukunft: Wer wird Weltmeister, wenn der Ball dann im Winter in Katar rollt?
Frankreich. Das heißt, sofern der Ball bis dahin wieder rollt…

Danke für das Gespräch, Herr Escher.
28.04.2020 11:20 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/117808