Popcorn und Rollenwechsel: Das 3D-Geheimtipp-Festival

Manche rümpfen bei 3D mit der Nase, andere haben voller Bedauern den Aufsprung auf den 3D-Zug verpasst, als die notwendigen Geräte noch leicht zu beziehen waren. Alle anderen feiern mit.

Es ist schon ein Kuriosum der Heimkinoära, in der wir uns befinden: 3D-Fernseher und 3D-Blu-ray-Player sind längst aus den Ausstellungsräumen der Elektroläden dieses Landes verschwunden. Und auch bei den üblichen Versandhäusern muss man sich anstrengen, um neue 3D-Fernseher zu finden, die nicht schwindelerregende "Ich vereine sämtliche Trends der vergangenen zehn TV-Jahre in einem einzelnen Luxuspaket"-Preise haben. Trotzdem erscheinen weiterhin viele aktuelle Animationsfilme und kostspielige Popcorn-Filme als 3D-Blu-ray – ein Markt für das heimische 3D-Kino muss also noch bestehen, selbst wenn die Einstiegshürde für neu gewonnene 3D-Fans in die Höhe geschnellt ist.

Es gibt also noch Gleichgesinnte, die eine gelungene 3D-Illusion zu schätzen wissen. Und an die möchte ich mich nun richten. Egal, ob ihr Anregung braucht, ein paar eurer Scheiben mal wieder in den 3D-Blu-ray-Player zu schmeißen, oder ob ihr Lust habt, eure 3D-Sammlung zu vergrößern und daher Einkaufstipps benötigt.

Die Regeln für diese Geheimtipp-Party: Keine Computeranimationsfilme (die sind ja zumeist sehr naheliegende Kandidaten für gelungenes 3D) und keine Post-«Avatar»-Blockbuster in der Größe eines Marvel- oder «Star Wars»-Films. Und natürlich gilt: Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll bloß einen Anfang darstellen …

Aus der Zeit vor «Avatar – Aufbruch nach Pandora» …
Für einen dringenden Geheimtipp müssen 3D-Begeisterte leider einen Import wagen – aber es lohnt sich: Das Musical «Küss mich, Kätchen» wurde 1953 mit in einer quirligen, gewitzten 3D-Adaption beehrt. Jahrzehntelang war nur die 2D-Fassung des Films zu finden, doch mittlerweile wurde wenigstens in manchen Ländern auch die restaurierte 3D-Fassung auf Blu-ray veröffentlicht. Zwar wurde das Bild nicht derart aufgefrischt wie bei späteren Einträgen in dieser Liste, jedoch spielt die Inszenierung dem 3D-Effekt sehr gut in die Karten. Zweifelsohne sehenswert!

Nur ein Jahr später traute sich auch Alfred Hitchcock an 3D heran, und zwar mit «Bei Anruf Mord». Der Meister der Spannung wurde vom Studio dazu gedrängt, in 3D zu drehen – und es ist erstaunlich, wie atmosphärisch und hervorstechend das 3D dennoch ist. Ein Hitchcock schluderte halt nicht – selbst dann, wenn er gegen seinen Willen etwas tat.

Aus der Zeit zwischen den 3D-Booms stammt derweil James Camerons «Terminator 2», der 2017 in einer aufwändigen 3D-Konvertierung noch einmal ins Kino entlassen wurde. Und die führt vor, wie stark eine Restauration sein kann, wenn man sich nur richtig reinhängt: Schön aufpoliert und mit einer förmlich haptischen Bildtiefe wischt «Terminator 2» selbst rein auf der technischen Ebene mit sehr vielen 3D-Blockbustern dieser Tage den Boden auf.

Und wenn wir schon bei vergleichsweise neuen Konvertierungen sind: Statt sich Jon Favreaus ausdruckslosen, unästhetischen, unnötig langgezogenen und öfters unfreiwillig komischen «Der König der Löwen» von 2019 anzuschauen, empfehle ich ganz klar die 3D-Konvertierung des Original-Zeichentrickfilms. «Der König der Löwen» von 1994 wurde in liebevoller Kleinstarbeit in die dritte Dimension gehoben. Und so hat er mit Szenen wie "Der ewige Kreis" oder dem in einer wie für 3D-Illusionen geschaffenen, verwinkelten Höhle abspielenden "Seid bereit" einige echt atemberaubende Augenblicke zu bieten, in denen das gezeichnete Bild über zahlreiche 3D-Effekte junger, computeranimierter Filme hinweg segelt.

Übersehenes aus der Zeit nach «Avatar – Aufbruch nach Pandora» …
Keine 3D-Empfehlungsliste ist komplett ohne zwei Dokumentationen legendärer deutscher Regisseure: Da wäre Werner Herzogs «Die Höhle der vergessenen Träume», die eindrucksvolle Erkundung der südfranzösischen Chauvet-Höhle mit ihren einzigartigen Malereien und ebenso beklemmenden wie bezaubernden Fels- und Kristallformationen. Und dann wäre da selbstredend noch die womöglich berühmteste aller 3D-Dokumentationen, «Pina», Wim Wenders visuell imposante, poetische Verneigung vor der berühmten Choreographin Pina Bausch.

Um einen totalen Richtungswechsel zu wagen, werfe ich liebend gern als Action-Schmankerl «Need for Speed» in die Runde. Scott Waughs an den Kinokassen unverdient untergegangene Videospieladaption ist eine kernig-spaßige Parade aus Angebergehabe, Rumgeplänkel und minutiös geplanten Stunts, in denen noch echte Autos echt knapp aneinander vorbei düsen oder mit Wumms in etwas hinein krachen. Das 3D ist auf beste Weise plastisch und unterstreicht das Autogeschepper in diesem Film formidabel. Den Misserfolg dieses Films werde ich wohl nie verstehen.

Und wo wir gerade bei Zerstörungswut sind: «Final Destination 5» ist nicht nur einer der stärksten Teile in der morbiden Horrorreihe voller elaborierter Todesarten, dieser Film holt auch extrem viel aus seinem 3D-Element heraus. Egal, ob es die Zerstörung einer Autobrücke ist, ob spitze Dinge in die Kamera fliegen oder sich tief, tief im Bild das Unheil anbahnt: Dieser Horrorfilm ist böses, fies eingefädeltes Vergnügen – und da die Figurenzeichnung hier deutlich gelungener ist als zum Beispiel bei Teil vier, lässt es sich dabei allem zum Trotz mitfiebern.

Wenn's gerade etwas leichteres und positiveres sein sollte, wäre wiederum der Familienfilm «Die Karte meiner Träume» eine bezaubernde Idee. «Die fabelhafte Welt der Amélie»-Regisseur Jean-Pierre Jeunet hat hiermit eine melancholische, trotzdem aufmunternde Geschichte über ein 14-jähriges Genie entworfen, das eine wundersame Reise antritt – und die Bilderbuch-Postkarten-Welt, durch die es streift, wird in berückendem 3D eingefangen.

Das krasse Gegenteil davon wäre wohl «Love 3D» von Gaspar Noé. Doch das desolate, explizite Liebesdrama ist nicht nur grimm und dreckig – es nutzt die dritte Dimension auch intuitiv für sein visuelles Erzählen. Wo «Die Karte meiner Träume» verspielt und verschnörkelt mit der Illusion umgeht, vertieft die dritte Dimension in «Love 3D» unser Verständnis dafür, wie körperliche Nähe oder Ferne die Befindlichkeit der handelnden Figuren zum Ausdruck bringt. Also – die Auswahl ist groß genug. Worauf noch warten?
08.04.2020 14:39 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/117333