Das Känguru-Debakel und warum Kleinkunst im Kino (fast) immer schiefgeht

Dieser Tage startet die Verfilmung der Bestseller-Buchreihe «Die Könguru-Chroniken» in den deutschen Kinos. Das Ergebnis ist ein Desaster. Und damit ist Kleinkünstler Marc-Uwe Kling nicht allein. Warum ist das so?

Satirisch schwach durchdacht, konzeptionell völlig konfus bis beleidigend-ärgerlich und angesichts des politischen Tagesgeschehens dumm bis leichtsinnig: «Die Känguru-Chroniken» ist kurz vor unverantwortlich. Das hat die Vorlage nicht verdient.
Quotenmeter-Kritiker Sidney Schering über «Die Känguru-Chroniken».
Der Duden beschreibt den Begriff „Kleinkunst“ als „in kleinen künstlerischen Darbietungen oder Schöpfungen, besonders in kabarettistischen Darbietungen, bestehende Kunst“. Gibt man den Terminus bei Wikipedia ein, erhält man Folgendes: „Die Kleinkunst ist ein Genre der darstellenden Künste, insbesondere des Theaters und der Musik, das seinen Namen aufgrund seines begrenzten personellen, räumlichen und materiellen Aufwands erhalten hat.“ Dazu gehören unter anderem Kabarett und Comedy, Zauberei, Figurentheater, Puppenspiel und – die wohl neueste Form – der Poetry Slam. Zusammengefasst lässt sich sagen: Alles, was man auf einer Bühne aufführen kann, lässt sich der Rubrik „Kleinkunst“ unterordnen. So auch die episodenhaften «Känguru-Chroniken», mit denen Kabarettist und Autor Marc-Uwe Kling erst einmal durch Theater getourt ist, eh er einen Podcast, schließlich Bücher, darauf basierend Hörbücher und nun eben einen Film initiiert hat.

Alles nahm seinen Anfang damit, dass Kling in Lesungen kurzgeschichtenartige Anekdoten aus der Perspektive des titelgebenden Beuteltiers zum Besten gab. Ein riesiger Publikumserfolg; kurzweilig, pointiert, amüsant. Und genau deshalb ein solcher Renner. In den folgenden Veröffentlichungsformen behielt der Autor diese Struktur bei. Ein roter Faden existiert in seinen Geschichten nur sehr lose, etwa in Form wiederkehrender Figuren oder Bezugnahmen auf vergangene Ereignisse. Im Film nun geben der Drehbuchautor Kling respektive Regisseur Dani Levy diese Struktur auf. Das Känguru wird zur Hauptfigur eines Neunzigminüters, dessen Handlung fortlaufend ist. Und das ist ein Problem, denn Marc-Uwe Kling mag zweifellos ein guter Kurzgeschichtenautor sein. Seine Spielfilmhandlung dagegen besitzt keine durchgehende Erzähldynamik. Stattdessen hangelt sich der Film von bemüht pointierter Episode zu Episode. Dazwischen: Leerlauf. Abgesehen davon, dass «Die Känguru-Chroniken» als Film auch noch viele weitere Probleme haben, ist da eine Frage: Hätte die Leinwandadaption vielleicht besser funktioniert, wenn man die bewährte (Hör-)Buch- und Podcast-Struktur beibehalten und keinen klassischen Langfilm, sondern stattdessen mehrere kurze Sketche inszeniert hätte?



«Die Bullyparade» – Aus dem Fernsehen auf die Leinwand


Natürlich lässt sich auf diese Frage keine allgemeingültige Antwort finden. Doch es lässt sich ein Blick auf all diejenigen Beispiele werfen, die wahlweise funktioniert haben oder aber krachend gescheitert sind. Die Komödien von Michael Bully Herbig, basierend auf seiner jahrelang hocherfolgreichen Sketch-Comedy «Bullyparade» sind dafür ein perfektes Beispiel. Gewiss ist Bully mit seinen Kompagnons Christian Tramitz und Rick Kavanian nicht leibhaftig durch Deutschlands Theater getourt. Trotzdem steht die von ihm in der Show präsentierte Comedyform beispielhaft für das, was sich auf den deutschen Kleinkunstbühnen Tag für Tag abspielt. Im Falle der ProSieben-Show haben das nur eben ein paar Millionen Leute mehr gesehen.

2001 erfolgte für einige der beliebtesten «Bullyparade»-Charaktere schließlich der Sprung ins Kino – und wurde mit knapp zwölf Millionen Zuschauern zum bis heute erfolgreichsten deutschen Film aller Zeiten. Drei Jahre später folgte mit «(T)Raumschiff Surprise – Periode 1» der zweite «Bullyparade»-Ableger. Selbe Form, andere Figuren, ein ähnlich großer Erfolg. Das Geheimnis dahinter: Herbig und sein Team trafen nicht nur einen humoristischen Nerv beim Publikum. Neben den bewährten Zutaten aus ihrer Showvorlage wiesen die beiden Filme auch noch ein tonal absolut dazu passendes Drehbuch auf. Kaum ein Moment ohne Pointe, viel Liebe für die bekannten (!) – und nicht etwa wie im Falle des «Känguru-Chroniken» bislang eher abstrakten – Figuren und ein bis heute beispielloses Production Value (wer sich dieser Tage das «(T)Raumschiff» anschaut, käme nie auf die Idee, dass die Trickeffekte bereits 16 Jahre auf dem Buckel haben).

Mit 2,3 Millionen Zuschauern war «Lissi und der wilde Kaiser» 2007 zwar immer noch kein Flop – erst recht nicht an heutigen Verhältnissen gemessen. Die Übertragung vom Realsetting ins Animationsfach tat dem bekannten Stoff allerdings nicht gut. Die Nähe zur Vorlage wurde zu theoretisch. Die Sache mit der «Bullyparade» im Kino hatte sich vorerst erledigt. Bis Herbig und sein Team 2017 noch einmal zu ihren Ursprüngen zurückkehrten. Für «Bullyparade – Der Film» legten sie gewissermaßen ein Best-Of vor; in Form einer Sketch-Show, in der jeder beliebte Charakter noch einmal seinen großen Auftritt erhalten sollte. Immerhin 1,9 Millionen Zuschauer ließen sich davon begeistern. Mit Sicherheit vor allem aus Nostalgie-Gründen. Hat das Konzept funktionier?: Aus kreativer Sicht schon. Aus wirtschaftlicher Sicht nur bedingt.

Comedians im Kino – Muss das sein?


Neben Michael Bully Herbigs Chaoten-Truppe wagten noch andere Sketch-Comedians den Weg in Richtung Lichtspielhaus. Mitte der Zweitausender gab es in Deutschland eine Zeit, in der diverse Stand-Up-Komiker plötzlich in einem eigens auf sie zugeschnittenen Film zu sehen waren. Angefangen bei «Morgen ihr Luschen! – Der Ausbilder-Schmidt-Film» mit Komiker Holger Müller alias Ausbilder Schmidt in der Hauptrolle über «Männersache» mit Mario Barth bis hin zu «Agent Ranjid rettet die Welt», in dem Kaya Yanar in einigen seiner bekanntesten Bühnen-Alter-Egos zu sehen war. All diese Filme eint die einhundert prozentige Vermarktung über den USP des bekannten Komikers, die in den Filmen vor allem ihre bekannten Bühnennummern abwandeln und nun eben im Rahmen einer Filmhandlung vortragen dürfen.

Einen bleibenden Eindruck hat keiner dieser Filme hinterlassen. Nicht nur, weil der Produktionsaufwand für diese Werke stets möglichst klein gehalten wird, sondern auch, weil derartige Komödien ein großes Adressatenproblem besitzen: Den eingefleischten Fans der Kleinkünstler bieten sie selten mehr als das, was man nicht schon auf der Bühne von ihnen erlebt hat. Und wer Yanar, Barth und Co. schon auf der Bühne nicht ausstehen kann, der wird kaum einen Kinofilm mit ihnen schauen wollen. Und wer sich nun fragt, was eigentlich mit Otto ist, der die Idee vom Comedy-Star-Kinofilm ja quasi etabliert hat: Das ostfriesische Original hat in seinen Filmen kaum eine Nähe zu seinen Bühnenprogrammen erkennen lassen. Somit war und ist Otto bei seinen Kino-Auftritten eben vor allem Schauspieler, der seine Brötchen ansonsten als Stand-Upper auf der Bühne verdient.

Weshalb die Bühne als Setting so wichtig ist


Hinzu kommt, dass das reduzierte Setting in der Stand-Up-Comedy immer auch einen Großteil zur Faszination beiträgt. Wenn Komiker, Poetry Slammer und Bühnenmagier ihre Kunst von Angesicht zu Angesicht mit dem Publikum vollführen, dann entsteht dadurch eine Verbundenheit mit dem Zuschauer. Der Künstler wird nahbar und das von ihm dort oben gerade Vorgetragene – auch aufgrund der Frage, wie derjenige sich das alles merken und er so spontan agieren und reagieren kann – entwickelt seinen ganz besonderen Reiz. Zwischen Zuseher und Kinofilm dagegen befindet sich die Leinwand. Und das Gezeigte entstand nach mehrmaligem Proben und war in der Regel auch nicht der erste von vielen Takes, sodass die Unmittelbarkeit verloren geht.

Die einzigen Komiker, deren Bühnen-Entertainment sich auf Dauer auch auf dem Bildschirm durchgesetzt hat, sind vermutlich Laurel und Hardy alias Dick und Doof (Foto links aus dem Biopic «Stan & Olli»), wenngleich die Bühnen-Bildschirm-Adaption hier andersherum stattfand. Auf das Konto des Comedy-Duos gehen vornehmlich Kurzfilme – in ihrer Karriere drehten die beiden insgesamt 80 davon, bei Langspielfilmen kommen sie dagegen auf 27. Nach ihrer Fernseh- und Kinokarriere tourten die beiden mit ihren bekanntesten Nummern noch einmal durch landesweite Theater. Noch heute erfreuen sich ihre Auftritte in Wiederholungen großer Beliebtheit. Insbesondere, weil ihr auf Slapstick basierter Humor zeit- und alterslos ist. Um im Filmmedium mit Kleinkunst Erfolg zu haben, muss man also entweder den Ursprüngen treu bleiben, oder gleich in ganz neuen Dimensionen denken. Und natürlich braucht jeder noch so sichere Kleinkunst-Selbstläufer vor allem eines: ein gutes Drehbuch.

Und die Moral von der Geschicht‘: Sei Bully oder verfilme Kleinkunst nicht!
05.03.2020 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/116316