Die Kritiker: «Über die Grenze - Rausch der Sterne»

Nachdem Leni Herold eine Vergewaltigung, den Mord an ihrem Vater und eine Fehlgeburt hinter sich gebracht hat, bekommt in der neuen Folge ihr Dienststellenleiter sein eigenes Trauma.

Es sollte ein beschaulicher Abend werden, in einem Sterne-Restaurant in der Provinz, wo ein von kulinarischer Exzellenz getriebener Koch die erstaunlichsten Gerichte kredenzt, mit deren filigraner Molekularstruktur ein eher grobschlächtiger Gast wie Kommissar Niko Sander (Carlo Ljubek) natürlich heillos überfordert ist. Doch unverhofft werden Sanders anderweitige Kompetenzen in jener Nacht dringend gebraucht, als eine vermummte und zugedröhnte Meute das Lokal überfällt, die schweineteuren Trüffel mitgehen lässt und zum Schluss durch die Reihen der Gäste marschiert, um noch ein paar Portemonnaies abzustauben. Dabei haben sie die Rechnung ohne Sanders Begleitung (Picco von Groote) gemacht, die ihren Verlobungsring nicht kampflos aufgeben will und in einem günstigen Moment der Täterin die Maske vom Gesicht reißt. Die dreht durch und erschießt im Affekt einen wahllosen Unbeteiligten, bevor Sander sie zur Strecke bringt. Der Rest der Bande kann fliehen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Carlo Ljubek als Niko Sander
Anke Retzlaff als Leni Herold
Philippe Caroit als Yves Kléber
Bernhard Piesk als Tino Loher
Noémie Kocher als Ségolène Combass
Picco von Groote als Franziska Roth
Aaron Karl als Michel Leroy

Hinter der Kamera:
Produktion: Polyphon Pictures GmbH
Drehbuch: Michael Rowitz (auch Regie) und Carsten Unger
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Produzentin: Sabine Tettenborn
Nachdem sich die letzten drei Folgen ausgiebig den Traumata von Leni Herold (Anke Retzlaff) gewidmet haben, hat nun auch endlich ihr Dienstvorgesetzter einmal ordentlich was zu verarbeiten: Und getreu dem angenehm zurückhaltenden, authentischeren, psychologischeren Ansatz, mit dem sich «Über die Grenze» diesem Thema bisher gewidmet hat, setzt auch „Rausch der Sterne“ auf angenehm subtile Darstellungen und eine eingängige Kontrastierung zwischen Nico Sanders dienstlicher Abgeklärtheit und seiner persönlichen Zerrüttung, in der er sich Blutflecken auf die Hände halluziniert.

Seine eigene, von Gewalt geprägte Kindheit lässt ihn bald mit der jungen Frau sympathisieren, der er an jenem Abend das Leben genommen hat: Schon als kleines Kind war sie von Heim zu Heim weitergereicht worden, und die Fotos in ihrer Jugendamtsakte zeigen ihren völlig malträtierten Körper. Subtil und unprätentiös widmet sich der Film exemplarisch den sozialen Grundursachen aus den allgemeinen Niederungen des Banlieues-Lebens und abstrusen Amphetaminmischungen. Menschen aus Milieus, die Nicolas Sarkozy zu seiner Zeit als Innenminister noch öffentlich als racaille verunglimpft hat, werden hier nicht auf ihre Identität als Verbrecher reduziert, sondern dienen als Ausgangspunkt zur ernsthaften Reflexion ihrer persönlichen Tragik und sozialen Ungerechtigkeit.

Obwohl manche Wendung allzu vorhersehbar gerät – und ein unnötig plakativer, unpsychologischer Schlusspunkt den Gesamteindruck etwas eintrübt, – macht „Rausch der Sterne“ doch einen weiträumigen Bogen um die ansonsten von diesem Sendeplatz gewohnten klischeehaften Figurenzeichnungen und Handlungsabrisse, und nimmt klugerweise seinen eng getakteten Plot zum Anlass, ein paar Mal über den Tellerrand zu blicken.

Hin zu den gesellschaftlichen Verfehlungen, die mittelbar, aber erschreckend unaufhaltsam dazu führen, dass junge Menschen irgendwann mit gezogenen Pistolen Lokale leerräumen, und zu einer angenehm authentisch geführten und intim geschriebenen Begegnung zwischen Undercover-Leni und einem besessenen Sternekoch, die zudem angenehm kunstvoll die zahlreichen Sinneseindrücke reflektiert, die „Rausch der Sterne“ hinterlassen will. Trotz weitgehend generischer Whodunnit-Struktur sieht man solchen Krimis gerne zu.

Das Erste zeigt «Über die Grenze – Rausch der Sterne» am Donnerstag, den 20. Februar um 20.15 Uhr.
20.02.2020 11:20 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/116038