«Cats»: Was für ein Katzenjammer

Das Filmjahr endet mit einem Tiefpunkt: «Cats» sieht grauenvoll aus, ist schleppend langsam und einfach anstrengend.

Filmfacts «Cats»

  • Regie: Tom Hooper
  • Produktion: Debra Hayward, Tim Bevan, Eric Fellner, Tom Hooper
  • Drehbuch: Lee Hall, Tom Hooper; basierend auf dem Musical von Andrew Lloyd Webber, welches wiederum auf "Old Possum's Book of Practical Cats" von T. S. Eliot basiert
  • Cast: James Corden, Judi Dench, Jason Derulo, Idris Elba, Jennifer Hudson, Ian McKellen, Taylor Swift, Rebel Wilson, Francesca Hayward
  • Musik: Andrew Lloyd Webber
  • Kamera: Christopher Ross
  • Schnitt: Melanie Oliver
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Das Musical «Cats» hat keinen wirklichen Plot – es ist eine Aneinanderreihung von Liedern, in denen sich Figuren vorstellen, die bloß ganz zum Schluss davon aufgebrochen wird, dass eine der Figuren dafür auserkoren wird, im Himmel ein neues Leben beginnen zu dürfen. Dann folgt noch ein Epilog darüber, dass wir im Publikum nun hoffentlich gelernt haben, wie man Katzen zu behandeln hat. Will man gemein sein, ist «Cats» also ein sinnloses Produkt der 80er-Jahre und Andrew Lloyd Webbers massivem Ego, das ihm eingeredet hat, er käme damit schon durch. Will man freundlich sein, ist «Cats» ein knalliges Showspektakel, das auf das klassische strukturelle Gerüst verzichtet, um stattdessen athletische Performer in kreativ-schrillen Kostümen in unmittelbarer Nähe zum Publikum ein regelrechtes Happening veranstalten zu lassen.

So oder so: «Cats» ist nicht gerade darauf angelegt, als narrativer Film zu funktionieren. Steven Spielberg spielte trotzdem mit dem Gedanken, und ließ eine Zeichentrickadaption entwickeln, deren Konzeptzeichnungen eine wahre Augenweide haben erhoffen lassen – und vielleicht hätte sich «Cats» so in das Medium Film retten lassen. Aber so sollte es nicht kommen: Spielberg gab die «Cats»-Adaption in den 1990er-Jahren auf. Stattdessen nahm sich nun Tom Hooper dem Stoff an. Der Regisseur von «The King's Speech» und «Les Misérables» schlägt in seiner Verfilmung allerdings einen extrem sonderbaren Weg ein: In seiner «Cats»-Version schmeißt er sämtlichen schrillen Glanz sowie die knallig-bunte Extravaganz der Kostüme und der Schminke hinfort, die wichtige Elemente der Bühnenfassung waren. Stattdessen versucht Hooper, den rauschartigen, stilisierten Pomp der Vorlage durch Buchstäblichkeit zu ersetzen: Wo auf der Bühne Tänzerinnen und Tänzer in verrückten Spandexanzügen Katzen interpretieren, will der Film «Cats» uns in die wortwörtliche, geheime Welt der Katzen ziehen.

Zirkusartige Theatralik durch filmische Weltenbildung zu ersetzen, ist bei einem Stoff wie «Cats» sehr gewagt, insbesondere wenn man bedenkt, dass Hooper nur vage Hand ans Storytelling anlegt. «Cats» ist noch immer eine Aneinanderreihung von Songs, in denen sich Figuren vorstellen, bevor am Ende eine der Katzen für eine Himmelfahrt auserkoren wird und ein Epilog dem Publikum rätselhaft ins Gesicht singt, wie man mit Katzen umzugehen hat. Nur, dass in Hoopers Filmversion die scheue Katze Victoria, die im Musical ballettartige Tänze aufführt, eine Art Beinahe-Protagonistin ist und nun bei fast jeder Gesangs- und Tanznummer dem Geschehen hinterher tappst und strohdoof aus der Wäsche guckt. Und dass Hooper einen vollkommen inkonsequenten Sub-"Plot" einfügt, in dem der fiese Kater Macavity andere Katzen wegzaubert.

Mit einer Spannungskurve, die einer makellosen horizontalen Linie gleicht, und ohne den Bühnen-Faszinationsfaktor "Da singen und turnen Leute direkt vor meiner Nase", kann «Cats» als narrativer Film schlicht kaum funktionieren, und Hoopers erzählerische Änderungen sind eher irritierend, denn förderlich. Doch das größte Verbrechen ist wohl, wie verklemmt-ernst Hooper diesen Katzenwahnwitz nimmt. Viele Szenen sind mit dramatischer Schwere inszeniert (mehrmals kopiert Hooper die Nahaufnahmen aus Anne Hathaways Solo in «Les Misérables»), und in Hoopers Filmfassung legen sogar manche der verspielteren, schmissigeren Songs nur mit angezogener Handbremse los. Hooper will wohl mit aller Macht, dass wir erstaunt und mitleidend diesen Katzen dabei zuhören, wenn sie verraten, dass sie gerne Milch trinken oder gerne Mäuse jagen oder gerne Sachen vom Tisch schubsen (jede Katze in «Cats» hat nur einen Charakterzug, und oft verwechselt «Cats» Charakterzüge mit Tätigkeiten oder Interessen). Nur wie soll man mitleiden, wenn diese eindimensionale Persönlichkeiten so abscheulich grotesk-hässliche Wesen sind?

Denn in seiner Unfähigkeit, das Abstrakte der Bühnenvorlage als bewusstes Element zu erkennen, hat Tom Hooper beschlossen, seinen Cast in der Postproduktion mittels Digitaltricks in Katzen zu verwandeln. Naja, besser gesagt: In Katzenmenschhorrorwesen, denn das zumeist äußerst überzeugend animierte Katzenfell bedeckt Wesen mit menschlichen Gesichtern, Händen und Füßen. Dieses Irgendwas ist ein Produktionsdesign-Totalausfall, der in den besten Fällen (bei Ian McKellen, Danny Collins und Naoimh Morgan) seltsam, aber duldbar aussieht. In vielen Fällen sind die Figuren allerdings absonderlich und halbgar, in einigen Fällen sind sie völlig lächerlich (vor allem bei Judi Dench) und manche Katzenmenschen sehen einfach von Anfang bis Ende wie Ausgeburten der Hölle aus (etwa Robbie Fairchild, der wegen des Designs seines Digitalfells durchweg dreinblickt als würde er einfach alles um ihn herum hassen).

Seit der US-Pressevorführungen hat sich eine kleine «Cats»-Fangemeinde aufgebaut, die den Film auf ironische Weise gerade daher feiert und Hoopers Kinomusical mit der gehässigen Faszination anblickt, mit der Gaffer auf schwere Unfallstellen schauen. Aber für diese Herangehensweise an «Cats» braucht es ein wirklich sehr spezielles Komikzentrum, denn dieser "Wie sehen diese Katzen bitte nur aus?!"-Effekt nutzt auch ganz schnell ab, so dass sie gegen Ende der über 100 Filmminuten zwar nicht akzeptabel werden, jedoch einfach nicht mehr auf morbide Weise faszinieren. Und da es «Cats» in Hoopers Vision an dem mitreißenden Schwung mangelt, den so manch anderes plotarme Musical zu bieten hat und als "Schau, ich unterhalte auch ohne nennenswerte Story!"-Argument ausspielen kann, versackt auch die ironische "Genieße ich es halt als Trash"-Herangehensweise an «Cats» recht zügig im Katzenstreu.

«Cats» ist viel eher ein deprimierendes Debakel als ein Sprungbrett für ein zünftiges Auslach-Kinofest. Denn die meisten Castmitglieder spielen zu engagiert und entfesselt, als dass man sich wirklich über ihr Spiel lustig machen könnte (nur sehen sie zu entstellt aus und werden von Hooper zu verkrampft in Szene gesetzt, als dass sich ihre Darbietungen wirklich feiern ließen). Um nur zwei Beispiele zu nennen: Jennifer Hudson heult Rotz und Wasser, während sie hervorragend singt – aber ihre Rolle sieht aus, als hätte man ihr schon vor Stunden den Gnadenschuss geben müssen. Taylor Swift betritt den Film im letzten Drittel mit einer extrem unterhaltsamen "Schnauze, ihr Loser – TayTay spricht jetzt!"-Selbstüberzeugung und -Leinwandpräsenz – aber obwohl ihr Song mit einem der raren bewusst-surrealen Anblicke des Films beginnt, nimmt ihre Nummer nie derart Fahrt auf wie in der Bühnenvorlage und wie es Swifts Schauspiel geradezu verlangt.

Und nimmt man das Design der Hauptfiguren (und somit den überwältigenden Löwenanteil dessen, was Hooper in «Cats» überhaupt zeigt) kurz aus der Gleichung, bleibt noch immer ein ungleiches Chaos: Die Größenverhältnisse sind absolut inkonsequent. Gemeinhin sollen die Figuren in Katzengröße durch eine Menschenwelt stolzieren, jedoch werden die Katzen in zahlreichen Shots von den Kulissen überschattet, als seien sie Mäuschen, und genauso oft sind sie auf einmal menschengroß. Ob Katzen nun Schnurrhaare haben oder nicht, ist auch eher Zufallssache und während die sirenenhaft lockenden Neonlichter in einigen Sequenzen dem Geschehen eine gefällige Farbästhetik verleihen, gibt es genügend Shots, in denen selbst die haptischen Kulissen wie billige Effekte aussehen, da Kameramann Christopher Ross das Geschehen brutal überbelichtet und Hooper es massiv mit dem Weichzeichner übertreibt.



Die unstete Klang- und Bildästhetik von «Cats» versaut selbst einige der sehr rar gesäten, gelungenen Momente des Films. Gruppen-Tanzszenen sind interessant choreografiert, da hier wieder auf den Gedanken "Wir interpretieren Katzen"-Gedanken gesetzt wird, statt auf die klobige Buchstäblichkeit vieler Soloszenen. Allerdings sind in diesen Sequenzen die Digitaltricks besonders schwach und das Arrangement der instrumentalen Untermalung geradezu abstrus: Manchmal bricht der orchestrale Soundtrack weg und es gibt quakende Synthie-Klänge wie aus einem 80er-Jahre-Slasher oder aus dem Original-«Tron».

In der deutschen Synchronfassung kommt erschwerend noch das Problem hinzu, dass beschlossen wurde, die nur mäßig populären deutschen «Cats»-Bühnentexte zu verwenden und mit ihnen die Lieder einzudeutschen. Diese sind, wenig überraschend, überhaupt nicht darauf angelegt, lippensynchron mit der englischen Fassung zu sein – und bei den vielen Nahaufnahmen, auf die Hooper setzt, hat sich das mit der Synchronität in der Synchronfassung endgültig erledigt. Dem deutschen Stimmcast kann man allerdings keinerlei Vorwürfe hinsichtlich ihrer Darbietung machen: Der Synchroncast singt spitze. Ein Grauen bleibt «Cats» trotzdem.

Fazit: So müssen alle Musicalfilme auf Leute wirken, die Musicals hassen: «Cats» ist zähflüssiger, melodramatischer Unsinn, der obendrein in den Augen schmerzt.

«Cats» ist in vielen deutschen Kinos zu sehen.
26.12.2019 12:49 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/114647