Die Kritiker: «Polizeiruf 110 - Tod einer Journalistin»

Im Kohlestrom-Land Polen "ist etwas Unglaubliches am Laufen". Ein Richter wird gefügig gemacht, eine Journalistin abgemurkst und Olga Lenski brennen die Brennstäbe durch.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Maria Simon als Olga Lenski
Lucas Gregorowicz als Adam Raczek
Maciej Stuhr als Lukasz Franczak
Dagmar Leesch als Katharina Franczak
Max Herbrechter als Eric Gerling
Antje Traue als Anne Gerling
Christian Beermann als Martin Schiller

Hinter der Kamera:
Produktion: Real Film Berlin GmbH
Drehbuch: Stephan Rick (auch Regie), Silja Clemens und Thorsten Wettcke
Kamera: Florian Foest
Produzentin: Heike Streich
Daphne Caruana Galizia, Jamal Khashoggi, Ján Kuciak: Der neue «Polizeiruf 110» zieht für seine Parabel auf eine ermordete Journalistin die richtig erschreckenden Vorbilder heran: „Wenn die Information stimmt, ist etwas Unglaubliches am Laufen“, war einer ihrer letzten Sätze, den sie gerade noch als ominöse Botschaft an den entfremdeten Vater (und Kollegen) absetzen konnte, bevor ihr irgendwo zwischen Frankfurt an der Oder und Stettin das Genick gebrochen wurde.

Die heiße Sache, zu der sie umfangreiche Nachforschungen anstellte, führt direkt in einen Riss durch die polnische Gesellschaft – und die konsequente Themenüberfrachtung, mit der dieser Film sein ganzes Arsenal an inhaltlicher Haltung in Windeseile verschießt: Ein deutsch-französisches Konsortium plant die Errichtung eines Atomreaktors auf dem platten Land in Polen. Um die öffentliche Meinung nicht zu sehr gegen das Projekt aufzuwiegeln, hält die Betreiberfirma ein unliebsames Gutachten zu angeblichen Sicherheitsmängeln des geplanten Reaktors unter Verschluss und zwingt die Verfasser zum Schweigen. Die gelenkte polnische Justiz hadert zwar mit ihren rechtsstaatlichen Überzeugungen, hat dem geballten staatlichen Gestaltungswillen aber trotz aller Ideale nichts entgegenzusetzen.

Weil die allegorische Darstellung dieser Konflikte ein hohes Maß an intellektueller Schärfe, sachlicher Informiertheit und narrativer Konsequenz voraussetzen würde, bleibt dieser Abriss in den besten Momenten angedeutete Backstory, in den schlechteren suggestives Brimborium. Stattdessen hangelt sich der Plot an tumben Entführungen, uninspirierten Geiselnahmen und abgestandenen Revierkämpfen zwischen der deutsch-polnischen Polizeieinheit und dem verschrobenen Journalistinnenvater entlang. Das Für und Wider zum Thema Nuklearenergie ist dann auch in zwei – immerhin konzentrierten – Sätzen abgehandelt: „Wie man nach Fukushima noch ein Atomkraftwerk bauen kann“, denkt Olga Lenski (Maria Simon) allzu deutschtümelnd-süffisant vor sich hin, bevor der polnische Kollege (Lucas Gregorowicz) entgegnen darf: „Wär‘ Ihnen Kohle lieber?“

Der Sonntagabend scheint nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, um über den Energiemix im polnischen Stromnetz (wo über 80 % der Elektrizität aus Braunkohle stammt), positive und negative Kühlmittelverlustkoeffizienten und meterdicke Containment-Gebäude zu sprechen. Die Oberflächlichkeit – beim Thema Atomkraft wie beim Thema polnische Justiz – ist Konzept, und das insinuierte Raunen ein beliebter Treiber der anvisierten Entrüstung: Wenn beim Publikum ein paar Brennstäbe durchbrennen, will der Film wohl sein Ziel erreicht wissen.
Das Erste zeigt «Polizeiruf 110 – Tod einer Journalistin» am Sonntag, den 29. Dezember um 20.15 Uhr.
28.12.2019 11:20 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/114584