Warum «Verbotene Liebe» Daily-Deutschland fehlt

Über etwas mehr als 20 Jahre durften Fans der einstigen Edel-Soap miterleben, wie in Düsseldorf gelebt, geliebt und natürlich leidenschaftlich intrigiert wurde. 2015 fiel dann endgültig die letzte Klappe. Und seitdem klafft in Daily-Deutschland eine Lücke.

Das Soap-Motto des Jahres 1995 könnte gelautet haben: Aller guten Dinge sind vier. Denn nachdem 1992 zunächst «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» bei RTL und das kurz danach gestartete Format «Marienhof» in der ARD Pionierarbeit geleistet hatten, folgte 1994 noch «Unter uns» (wieder für Deutschlands bekanntesten Sender aus Köln), bevor im darauffolgenden Jahr im Ersten Deutschen Fernsehen «Verbotene Liebe» das Licht der TV-Welt erblickte. Und so sollte es erst einmal für viele Jahre bleiben, bevor unter anderem das ZDF und Sat.1 nachhaltig für frischen Wind im Daily-Geschäft sorgen sollten.

Doch das „Urquartett“ schien lange unantastbar zu sein – und selbst Quotendellen fielen scheinbar nicht sonderlich ins Gewicht. Tägliche Produktionen sind schließlich ohnehin immer im Wandel begriffen – dies zeigt sich einmal mehr in Bezug auf den Cast, einmal mehr hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung. Spätestens mit dem Wechsel in das aktuelle Jahrzehnt konnte man jedoch sehr deutlich eine Soap ausmachen, die für alle Welt deutlich sichtbar mehrere Facelifts – inklusive neuem Intro – über sich ergehen lassen musste: «Marienhof». Das Aus der Daily konnte dennoch nicht abgewendet werden: 2011 fiel die letzte Klappe.

Und im ersten Moment sah es sogar so aus, als könne «VL» als großer Gewinner aus diesen Entwicklungen hervorgehen, denn Das Erste gönnte dem Vorabenddauerbrenner (bis dato 25 Minuten/Folge) ab diesem Moment beinahe doppelt so viel Sendezeit, sprich: die Programmfarbe des Slots blieb erhalten. Manch ein Fan sieht darin im Übrigen bis heute den entscheidenden Schritt, der letztlich vier Jahre später zur Einstellung der Serie führte. Doch viele der von den Machern im Kontext der unausweichlichen Neuausrichtung getroffenen Entscheidungen waren nachvollziehbar und zeugten von einem klaren Plan: So nutzte man die Gunst der Stunde, um – aus Sicht der langjährigen Fans – „endlich“ das As aus dem Ärmel zu schütteln, auf das diese im Grunde seit 2001 gehofft hatten: Das Comeback von Clarissa von Anstetten, einer der wohl besten Antagonistinnen, die TV-Deutschland je gesehen hat.

Dass die Gräfin natürlich wieder von Isa Jank verkörpert wurde, versteht sich von selbst. Sie zunächst nicht nach Düsseldorf (Hauptdrehort war nebenbei bemerkt von Tag 1 an Köln) zurückkehren und stattdessen einige Monate auf Mallorca verweilen zu lassen, ließ zudem die Vorfreude der Treuesten der Treuen steigen, denn die warteten selbstredend nur auf eines: die nächste Runde im ewig jungen Duell „Clarissa vs. Tanja“. Das von Miriam Lahnstein gespielte zweite große «Verbotene Liebe»-Biest hatte zuvor zwar schon einen Abstecher auf die Baleareninsel gemacht, die Drehbuchautoren spielten allerdings gekonnt mit den Erwartungen der Zuschauer und zögerten das erste echte Aufeinandertreffen der beiden bewusst hinaus. Dramaturgisch alles stimmig – vorausgesetzt man gibt den sich brav geduldenden Zuschauerinnen und Zuschauern dann auch, worauf sie sich gefreut hatten. Und exakt an diesem Punkt könnte man ansetzen, um zu verstehen, warum die im Rahmen einer grandiosen Modenschau erfolgende Rückkehr der ikonischen Figur zu keinem dauerhaften, spürbaren Anstieg der Quoten beitrug:


Den Kontrahentinnen waren – gemessen an der Qualität ihrer früheren Auseinandersetzungen – regelrecht die Krallen zum Ausfahren abhandengekommen. Die eine, Tanja, zeigte sich nach ihrem Wiedereinstieg 2004 spätestens mit der Geburt ihres ersten Kindes immer häufiger wesentlich nahbarer als gewohnt und ja, für das Geschäft war sie nach wie vor bereit, viel zu tun, von der eiskalten Killerin von einst war jedoch irgendwann nur noch wenig übrig. Die Hoffnung der Fans: Mit dem Auftauchen ihrer alten Erzfeindin würde die aktuelle Gräfin Lahnstein und ehemalige Gräfin Anstetten wieder zu alter Form auflaufen. Nur: Auch Clarissa entdeckte ihre weiche Seite – als Großmutter, richtig gehört: als Oma! Selbstverständlich waren diese Entwicklungen auf der einen wie auf der anderen Seite schlüssig und fügten sich organisch in die Gesamtgeschichte ein, waren aber an einem solch entscheidenden Moment für die weitere Ausrichtung des Formats problematisch. Nun soll allerdings auch kein falscher Eindruck entstehen: Die beiden ließen keine Gelegenheit aus, um der jeweils anderen zu schaden und zur alleinigen Chefin von „Ligne Clarisse Lahnstein" zu werden, doch es fehlte eben diese Kompromisslosigkeit, dieses „Alles-auf-eine-Karte-Setzen".

Was noch bedauerlicher ist: Man hätte mit Leichtigkeit diese so populäre, sich durch einen ausgeprägten Hass auszeichnende Beziehung zum ersten echten „Intrigen-Dreieck" Deutschlands ausbauen können, denn in dem Clarissa-losen Jahrzehnt betrat schließlich eine Person die Bühne, die in vielerlei Hinsicht als legitimer Nachfolger der Grand Dame der Gemeinheiten durchgeht: Ansgar Graf von Lahnstein (Wolfram Grandezka). Auf dem Papier sah auch alles danach aus, als hätte man die Schachfiguren alle exakt so platziert, dass besagter Schritt der unausweichliche nächste Zug hätte sein müssen. Und irgendwie erfolgte er auch, nur leider etwas halbherzig. Der gerissene Geschäftsmann war es schließlich, der die ewige Rivalin seiner doppelten Ex-Frau ausfindig und sie als ideale Verbündete im Kampf gegen Tanja – und all die Mitglieder seiner Familie, die ihn am Erreichen seiner Ziele hinderten – ausgemacht hatte. Dass es natürlich zu wechselseitigen Bündnissen kommen würde, lag auf der Hand, und zu denen kam es auch, jedoch blieben die ganz großen, die denkwürdigen Momente aus. Was hingegen blieb, war das uneingelöste Versprechen Clarissas nach ihrer abermaligen „Abreise“, eines Tages in die Rheinmetropole zurückzukehren und sich zu rächen.

Allerspätestens ab diesem Moment Anfang 2013 verlor sich die Glamour-Soap mehr und mehr im Klein-Klein. So konnte man in vielen Fällen gar nicht mehr von echten Intrigen sprechen, da es sich oftmals eigentlich nur um kurzfristige „taktische Manöver“ – gern auch innerhalb der Familie von Lahnstein – handelte und die eine große dramatische Geschichte fehlte. Als man diese über Familie Berg, Alexa (Henrike Fehrs) und deren Vater (Bernd Reheuser), nachzureichen versuchte, fühlte es sich dann bedauerlicherweise auch genau so an: Das Pacing stimmte einfach nicht und darüber hinaus sprach wenig dafür, dass sich hieraus eine neue langanhaltende Rivalität entwickeln würde. Hinterher ist man selbstredend immer schlauer und beweisen lässt sich diese These ebenfalls nicht, nur: Die Daily, die man von der Tonalität womöglich am ehesten mit «Verbotene Liebe» vergleichen könnte, ist «The Bold and The Beautiful» («Reich und Schön»), eine der weltweit bekanntesten, langlebigsten (seit 1987 on air) und erfolgreichsten „Soap Operas“ überhaupt. Und dort dreht sich alles seit jeher um die Forresters und die Logans – und gelegentlich auch um weitere „Clans“ wie die Spectras oder Spencers.

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Das Argument „Cast-Größe“ kann hier nur bedingt als Erklärung herhalten, da Branchenkenner stets betonen, dass ein festes Team aus 20 Schauspielerinnen und Schauspielern ideal für ein solches Format sei. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass sich die Zusammensetzung ändern müsste – und zwar auf Kosten einiger Akteure, die eben nicht der Uperclass angehören. Und diese Gruppe hat selbst «VL» nie zu sehr ausgedünnt. Sicherlich einerseits, weil die Macher in einem Kosmos, in dem Luxus in sämtlichen Facetten vorhanden ist, viel Wert darauf legen, diesen durch die Abbildung des „normalen Alltags“ vieler Menschen angemessen zur Geltung kommen zu lassen. Andererseits aber auch schlicht deshalb, weil ebenjene den Zuschauerinnen und Zuschauern ein viel größeres Identifikationspotenzial bieten. Und ja, schaut man in Kommentarbereiche auf Fanseiten, in Mediatheken oder unter Trailern fällt immer wieder auf, wie wichtig es für viele hierzulande ist, dass das Dargestellte in irgendeiner Form einen Realitätsbezug hat. Und dieser wäre in einer nahezu ausschließlich von Mitgliedern der feinen Gesellschaft handelnden Produktion weitaus schwieriger herzustellen.

Diese Balance zwischen der Welt des Adels und der der einfachen Bevölkerung hat «Verbotene Liebe» im Prinzip auch von Anfang an gut hinbekommen, was allerdings ebenfalls damit zusammenhängt, dass die Antagonisten in den ersten Jahren – wie beschrieben – mit härteren Bandagen gekämpft haben. Diese heftigen Auseinandersetzungen hatten jedoch sehr häufig auch spürbare Konsequenzen für die Betroffenen, weil die kreativ Verantwortlichen sich der Tragweite des Dargestellten sehr bewusst waren – ebenso wie der Tatsache, dass sich dieses Rad der Intrigen nicht ewig weiterdrehen lässt, ohne komplett unglaubwürdig zu werden. Da hätten wir ihn also wieder: den Realitätsbezug. Folglich war es aus Sicht der Drehbuchautoren auch logisch, Tanja nach ihrer „Rückkehr von den Toten“ ab einem bestimmten Punkt nach und nach zumindest etwas „anständiger“ werden zu lassen. Denn andernfalls wären die Stimmen derer, die sich regelmäßig nach dem Termin ihres Haftstrafenantritts erkundigt hätten, sicherlich lauter und lauter geworden.

Rückblickend ist es aber durchaus legitim, zu fragen, ob dieses Daily Drama, das so gut wie kein anderer deutscher Genrevertreter „Drama konnte“, nicht – spätestens, als sich abzeichnete, dass ein Aus ein durchaus realistisches Szenario war – hätte mutiger und mit mehr Risiko erzählt werden müssen. Immerhin wurde das Prinzip „Larger than life“ bei dieser Serie immer schon großgeschrieben. Warum es also nicht richtig ausreizen? So hätte auch der Letzte erkannt, wie klar sich «Verbotene Liebe» von den übrigen „Seifenopern“ abgrenzen lässt. Denn «Marienhof» war beispielsweise noch einmal bodenständiger als «Unter uns», «Alles was zählt» hat zwar die Steinkamps, allerdings auch sehr viel Sport, während «GZSZ» sich längst als „Großstadttitel“ etabliert hat. Die Unverwechselbarkeit des Formats durch etwa den Einbau einer weiteren reichen Familie, die nicht als schlichter Ersatz für die aktuelle (gängige Praxis bisher) gedacht war, wäre auf diese Weise noch mehr betont worden und hätte mutmaßlich nach einiger Zeit auch wieder zur „Relevanzsteigerung“ von «VL» geführt.


Als dann schließlich von Senderseite verlautbart wurde, sich von dem 18.00h-Platzhirsch ebenfalls von einst trennen zu wollen, mobilisierte dies noch einmal zahlreiche Fans und die zuständigen Kreativen bei UFA Serial Drama dazu, zu versuchen, das scheinbar Unvermeidliche doch noch abzuwenden. Und tatsächlich: Es gelang ihnen auf diese Weise, das eigentlich bereits besiegelte Ende dieser Ära immerhin hinauszögern zu können: Im Februar 2015 wurde aus der Daily nämlich eine Weekly. Der ohnehin schon im Vergleich sehr hochwertige Look wurde im Zuge dessen nochmals optimiert und es wurde fortan fokussierter erzählt. Das Ergebnis konnte sich definitiv sehen lassen und war ein klarer Schritt in die richtige Richtung, „All-in“ – im oben erläuterten Sinne – ging man jedoch auch diesmal nicht. Dass man sich angesichts der geringeren Schlagzahl in Zukunft aber noch das eine oder andere mehr als in der jüngeren Vergangenheit getraut hatte, ist nicht gerade unwahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind allerdings genau genommen längst in den Brunnen gefallen, denn Sendeplätze müssen bekanntlich „gelernt“ werden, und das ist bei einer wöchentlichen Ausstrahlung selbstverständlich anspruchsvoller als bei einer täglichen. Doch das eine, was «Verbotene Liebe» nicht mehr hatte, war Zeit, weshalb Ende Juni 2015 die endgültig letzte Folge 4664 ausgestrahlt wurde.

Und natürlich kann man nun anführen, dass der neue „Das Erste“-Vorabend – vor allem durch sein Flaggschiff «Wer weiß denn sowas?» – enorm an Zugkraft gewonnen hat, weshalb man dem Sender nur bedingt etwas vorwerfen kann – zumal man sich ja nochmals von dem neuen Modell überzeugen hat lassen. Richtig ist allerdings auch, dass keine der verbliebenen täglichen Soaps oder Dailynovelas «VL»-Fans aktuell eine echte Heimat bieten kann, da die fiktiven Geschichten in und um Düsseldorf sich deutlich von denen der Mitbewerber unterschieden und der Blick auf „Schöne und Reiche“ das oft zitierte „Vergessen der Alltagssorgen“ und „Eintauchen in eine andere Welt“ noch einmal auf eine völlig andere Weise ermöglicht haben, als dies beispielsweise bei «Unter uns» möglich ist, das seine Zuschauerinnen und Zuschauer nahezu ausschließlich mit potenziellen, in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit denkbaren Szenarien konfrontiert.

Sat.1 hat mit «Alles oder Nichts» einen ersten respektablen Versuch unternommen, eine Serie zu etablieren, die am ehesten als würdiger «Verbotene Liebe»-Nachfolger durchgehen würde – und ist aus unterschiedlichen Gründen, die noch zu bereden sein werden, damit gescheitert. Dennoch sollte man jeden, der auch nur mit dem Gedanken spielt, sich als Nächstes dieser Herausforderung zu stellen, gut zureden. Eine solche Produktion hat nämlich nach wie vor großes Potenzial, auch wieder verstärkt, jüngere Menschen zu erreichen – vielleicht aber eher auf einem der großen Streamingportale, die – Mediatheken und YouTube beweisen es (s. etwa «SdL») – für Daily-Formate wie geschaffen zu sein scheinen.
18.11.2019 21:00 Uhr  •  Florian Kaiser Kurz-URL: qmde.de/113737