«Stumptown»: Cobie Smulders kennt keine Gnade

Die ABC-Serie ist einer der besten Neustarts der aktuellen Saison – und ein nahezu mustergültiges Beispiel, wie moderne Network-Serien ihre Fall-der-Woche-Dramaturgie aufpeppen können.

Cast & Crew

Produktion: Don't Tell Mom, The District und ABC Studios
Schöpfer: Jason Richman
basierend auf den gleichnamigen Graphic Novels von Greg Rucka, Matthew Southworth und Justin Greenwood
Darsteller: Cobie Smulders, Jake Johnson, Tantoo Cardinal, Cole Sibus, Adrian Martinez, Camryn Manheim, Michael Early u.v.m.
Executive Producer: Greg Rucka, Matthew Southworth, Justin Greenwood, Kristin Newman, Marc Buckland, Ruben Fleischer, David Bernad, David Zabel, James Griffiths und Jason Richman
Die meisten Kritiker sind sich einig: Mit ihren diffizilen, horizontalen Plots, psychologisch vielschichtigen Charakterstudien und epischen Erzählsträngen haben Cable und Streaming den guten alten Network-Serien schon vor langer Zeit den Rang abgelaufen: Letztere gelten als schematisch niedergeschrieben und formelhaft runtergekurbelt, ideenlose Procedurals, die getreu dem alten Seriengesetz jede Woche genau dasselbe bieten, mit abgestandenen Konflikten, immer denselben Gesichtern und austauschbaren Figuren.

Doch gerade an letzterem Punkt könnte eine ambitionierte Autorenschaft ansetzen und auch im Fall-der-Woche-Korsett des Network-Fernsehens für frischen erzählerischen Wind sorgen. Dem ABC-Neustart «Stumptown» gelingt das in der aktuellen Season so gut, dass er fast als Musterbeispiel dienen könnte.

Schon in der allerersten Sequenz befreit sich Hauptfigur Dex Parios (Cobie Smulders), eine zupackende, furchtlose, clevere Marines-Veteranin aus einem Kofferraum und stranguliert ihre Entführer mit ein paar geschickten Kniffen unter Zuhilfenahme eines Sicherheitsgurts, bevor sie sie an die Behörden übergibt. Es folgt ein kurzer Abstecher nach Hause, wo sie sich um ihren Bruder mit Down Syndrom kümmert, bevor sie sich im örtlichen Indianerkasino die Kohle für den nächsten Monat erspielen will. Mit begrenztem Erfolg: Mittlerweile steht sie bei dem Etablissement mit einem fünfstelligen Betrag in der Kreide.

Doch die Betreiberin ist eine alte Bekannte: Dex war vor vielen Jahren mit ihrem Sohn liiert gewesen. Er war ihr ins Militär gefolgt und wenig später einem Anschlag im Irak zum Opfer gefallen. Sonderlich gut sind die beiden Frauen nicht aufeinander zu sprechen: Die Alte hatte die Liaison mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Doch jetzt hat sie einen Auftrag für Dex, mit dem sie ein bisschen ihre Schulden abarbeiten könnte: Ihre Enkelin, die Tochter von Dex‘ totem Ex-Partner, ist entführt worden.

Bei der waghalsigen Suche nach der Verschwundenen gerät Dex unter anderem in die missliche Lage im Kofferraum der beiden Ganoven. Doch die Feuertaufe gibt Dex‘ Leben nach dem jahrlangen Mäandrieren zwischen Casino-Verlusten, mageren Bezügen aus der Kriegsversehrtenhilfe und Abenden in der Bar des besten Freundes eine neue Zielrichtung – und der Serie ihre Prämisse: Dex wird Privatdetektivin und löst von nun an Woche für Woche einen neuen Fall.



Dass dieses Element bald horizontaler wird, ist ein kluger Schachzug der Autoren, um sich von der beliebigen Crime-Procedural-Masse abzuheben. Doch den wirklichen Unterschied zum Gros an austauschbaren Network-Serien markiert freilich die gekonnt geschriebene und einnehmend gezeichnete Hauptfigur: Sie ist kein bloßes Vehikel, das man durch Explosionen schleust und der man zum Menscheln einen behinderten Bruder gibt. Stattdessen funktioniert sie als mit psychologischem Interesse erzählter Charakter, kohärent, aber widerspruchsbehaftet: schlagfertig und trotzdem reflektiert, offenherzig und doch traumatisiert, liebevoll und doch ein tough cookie. Kurz: eine moderne Frauenfigur, die weder ihre Modernität noch ihre Weiblichkeit offensiv bewerben muss.
07.11.2019 11:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/113484