Die Kritiker: «Tatort - Angriff auf Wache 08»

Take it easy, altes Haus: Für Felix Murot kommt es am kommenden Sonntag ganz dicke: Alle Gangster von O-Town haben es auf ihn abgesehen und lassen die Kugeln fliegen. Ein Genre-Film-Fest zur besten Sendezeit – und wohl unbestritten der beste «Tatort» des Jahres.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Ulrich Tukur als Felix Murot
Barbara Philipp als Magda Wächter
Peter Kurth als Walter Brenner
Christina Große als Cynthia Roth
Thomas Schmauser als Kermann
Vito Pirbazari als Charly
Paula Hartmann als Jenny Sibelius

Hinter der Kamera:
Produktion: Hessischer Rundfunk
Drehbuch: Thomas Stuber (auch Regie) und Clemens Meyer
Kamera: Nikolai von Graevenitz
Produzent: Jörg Himstedt
Wenn man sich die hessische Landschaft im Hochsommer mit ihren satten Weizenfeldern so ansieht, kann man sich bisweilen wie im Wilden Westen vorkommen – visuelle und erzählerische Möglichkeiten, die sich der neue Murot-«Tatort» für einen raubeinigen und authentischen Lone-Outpost-Actionkracher mit punktuellen Zombiefilm-Anleihen zunutze macht.

Richtig gehört: An seinem freien Tag will Felix Murot (Ulrich Tukur) eigentlich einen alten Freund besuchen, der ihm vor dreißig Jahren zu ihrer gemeinsamen BKA-Zeit mit einem beherzten Sprung in die Flugbahn einer Kugel das Leben gerettet hat. Seitdem trägt Walter Brenner (Peter Kurth) das Blei im Rücken und wurde am Rande der Dienstunfähigkeit in ein Polizeimuseum mitten im Nirgendwo abkommandiert – die Wache 08. Die wird nun zum Ziel eines konzertierten Anschlags aller Nazi-, Rocker- und Islamistenbanden der Gegend, nachdem eine Trigger-Happy-Spezialeinheit der hessischen Polizei in der vorherigen Nacht einen Zugriff zu einer regelrechten Exekution eskaliert hatte.

Neben Murot, Brenner und seiner treuen Kollegin, der schlag- und schussfertigen Verkehrspolizistin Cynthia Roth (Christina Große) finden dort auch zwei Justizbeamte und zwei Häftlinge Zuflucht, die gerade noch aus dem liegen gebliebenen Gefangenentransporter befreit werden konnten, sowie ein Mädchen, das schon an einem Eisstand folgenschwere Bekanntschaft mit den schießwütigen Unholden machen musste.

Nun heißt es nachladen, wachsam sein und den Lagerkoller im Zaum halten. Die Handys sind zerschossen, die Telefonleitung tot, die Funkgeräte funktionslose Attrappen. Der Outpost im O-Town genannten Offenbach wird zur Festung wie in besten Western-Zeiten. Thomas Stuber und sein Co-Autor Clemens Meyer verarbeiten in diesem Szenario mit sichtlicher Freude einen Einfallsreichtum, wie er auf diesem Sendeplatz ansonsten strengstens verboten ist, und verbeugen sich in einer eleganten Hommage vor all den filmischen Vorbildern, die für die ein oder andere Passage von „Angriff auf Wache 08“ Pate gestanden haben, samt einer knuffigen Referenz auf den unsterblichen S-A-I-N-T Nummer 5.

Trotz der völligen Sprengung des «Tatort»-Korsetts gerät diese Produktion derweil nie zur Parodie, sondern hat als aufrichtiger Genrefilm Bestand. Die Etappen zwischen Schießen, Nachladen und Re-Organisieren werden derweil hervorragend genutzt, um die emotional und intellektuell aufgeladene Geschichte gekonnt voranzutreiben: Sein Polizistenfreund Renner ist nicht der einzige alte Bekannte, dem Murot hier wiederbegegnen darf – im Gefangenentransporter wartet überraschenderweise der sanft sprechende, gruselig freundliche „Kannibale von Peine“ auf ihn, der der Gruppe von nun an mit seiner Lust am Töten zur Hand geht. Während zwischen den Beiden hin und wieder das alte Mörder-Polizisten-Katz-und-Maus-Spiel erneut aufflammt, kann Murot mit Renner Revue passieren lassen und alte Lebensenttäuschungen reflektieren, während die attraktive Roth mit ihrer Geistesgegenwart, Furchtlosigkeit und emotionalen Sanftheit eine besondere zwischenmenschliche Anziehungskraft auf ihn ausübt.

Mit Donna Ross‘ „Upside Down“, „My Girl“ von den Temptations, einer Mundharmonika-Interpretation des wehmütigen „I was Born under a Wandering Star“ und – ja – auch Truck Stops „Take it easy, altes Haus“ erhält dieser Film derweil die perfekte musikalische Untermalung: mal konterkarierend, mal nachdrücklich betonend, mal atmosphärisch. Und so feinsinnig und liebevoll detailversessen die Auswahl der Musikstücke und die Verfassung der geschliffenen Dialoge erfolgte, gerät auch der visuelle Teil: „Angriff auf Wache 08“ gelingt es, im Kleinen bildgewaltig zu wirken, ohne jemals ästhetisch selbstgefällig zu werden. Die Zombiefilm-Anleihen, wenn sich pünktlich zur Sonnenfinsternis blasse Gangster-Arme ihren Weg durch die Blenden der Polizeistation bahnen, bleiben ein kurzes pointiertes Zitat, die hitzegetränkten Weizenfelder ein landschaftlicher Impuls für’s Atmosphärische. Nie entgleitet den Autoren und dem Regisseur die Kontrolle über ihr Werk und seine Wirkung. Dank ihnen darf sich Felix Murot einmal mehr die Krone für den unbestritten besten «Tatort» des Jahres aufsetzen.

Das Erste zeigt «Tatort – Angriff auf Wache 08» am Sonntag, den 20. Oktober um 20.15 Uhr.
18.10.2019 11:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/112976