«I Am Mother» - Mutter, Tochter, fremde Frau

In beklemmender Kammerspielatmosphäre erzählt das Science-Fiction-Drama «I Am Mother» von einem kleinen Mädchen, dessen einziger Kontakt ein fürsorglicher Roboter ist.

Filmfacts: «I Am Mother»

  • Start: 22. August 2019
  • Genre: Science-Fiction/Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 113 Min.
  • Kamera: Steve Annis
  • Musik: Dan Luscombe, Antony Partos
  • Buch: Michael Lloyd Green
  • Regie: Grant Sputore
  • Darsteller: Clara Rugaard, Hilary Swank, Rose Byrne, Luke Hawker, Maddie Lenton, Jacob Nolan
  • OT: I Am Mother (AUS 2019)
Vor rund fünf Jahren begeisterte das mit gerade einmal 15 Millionen US-Dollar auf die Beine gestellte Science-Fiction-Drama «Ex_Machina» nicht bloß Publikum und Kritiker, es verhalf außerdem Alicia Vikander zu ihrem endgültigen Durchbruch und konnte sich bei der Oscar-Verleihung in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“ gegen Großkaliber wie «Mad Max: Fury Road», «Der Marsianer» und «Star Wars» durchsetzen. Inszenatorisch ähnelt «I Am Mother», der in den USA direkt zu Netflix wanderte und in Deutschland trotzdem in die Kinos kommt, dem reduzierten Konzept von «Ex_Machina». Auch hier stehen lediglich zwei, maximal drei Figuren im Fokus der sehr beengten Szenerie eines einzigen Gebäudes und die Spannung ergibt sich vor allem aus dem Zusammenspiel zwischen ihnen, dem gegenseitigen Ausspähen der Stärken und Schwächen sowie zurückgehaltenen Informationen, die erst ganz allmählich an die Oberfläche geraten und die aufgebaute Welt später in sich zusammenstürzen lassen.

An diesem Punkt enden die Ähnlichkeiten aber auch schon, denn wo sich Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland («Auslöschung») als perfider Menschenbeobachter erwies, der nicht nur aus seinen Figuren das Optimum an Doppelbödigkeit herauskitzelt, sondern auch die Erwartung des Zuschauers mit Cleverness und Überraschungen immer wieder aufzubrechen wusste, setzt «I Am Mother»-Autor Michael Lloyd Green in seinem Langfilmdebüt auf plumpen Symbolismus, dem Regisseur Grant Sputore nichts entgegenzusetzen hat, außer hübsch anzusehende Hochglanzbilder.



Irgendwo in einem Bunker...


Ein Teenager-Mädchen, genannt „Tochter“ (Clara Rugaard), lebt in einem unterirdischen Hochsicherheitsbunker und wird von einem humanoiden Roboter namens „Mutter“ (im Original gesprochen von Rose Byrne) aufgezogen. Der Androide wurde entwickelt, um die Erde nach der Auslöschung der Menschheit neu zu besiedeln. Die besondere Beziehung zwischen den beiden wird bedroht, als unerwartet eine blutüberströmte fremde Frau (Hilary Swank) vor der Luftschleuse des Bunkers auftaucht und völlig aufgelöst um Hilfe schreit. Die bloße Existenz dieser Fremden stellt „Tochters“ komplette Welt auf den Kopf, und nach und nach beginnt sie, ihr einziges Elternteil als potenzielle Gefahr zu betrachten. In einem atemberaubenden Finale muss sich „Tochter“ der „Mutter“ von Angesicht zu Angesicht stellen, um die Wahrheit über ihre Welt und ihre wahre Mission herauszufinden.

In einer der ersten Szenen von «I Am Mother» sehen wir die angemessen skeptisch von Clara Rugaard («Teen Spirit») verkörperte Tochter und ihre Robotermutter bei einer Schulstunde. Es geht um die gleichermaßen moralische wie ethische Frage, ob man einen Menschen töten sollte, um das Wohl vieler Menschen sicherzustellen, oder ob man niemals auch nur eine einzelne Person opfern dürfte und dafür im Zweifelsfall den Tod vieler anderer in Kauf zu nehmen hat. Ein klassisches Gedankenexperiment wie es wohl viele Schülergenerationen bereits durchspielen mussten. Ferdinand von Schirach hat mit dieser Fragestellung sein umstrittenes Theaterstück «Terror» gefüllt, dem er 2016 einen nicht minder skandalumwitterten Film folgen ließ. Und auch der gleichermaßen potthässliche wie über alle Maßen plumpe «The Philosophers» hielt sich im Jahr 2014 an einem an diese Fragestellung angelehnten Gedankenexperiment auf, ohne es auch nur in irgendeiner Form weiterzudenken. Beide Filme behandeln ihre Gedankenexperimente zu einseitig und vermitteln dadurch ein falsches Bild vom weiten Feld des philosophischen Diskurses.

Immerhin: Im Falle von «I Am Mother» bleibt diese Fragestellung auf eine Schulstunde beschränkt. Gleichsam ist sie ein klassischer Treppenwitz: Natürlich wird der Film im weiteren Verlauf noch auf dieses Gedankenexperiment zurückkommen und natürlich wird sich das gesamte Mysterium rund um den geheimen Bunker, der Mutter und Tochter von der verseuchten Außenwelt beschützen soll, irgendwann in der Beantwortung dieser einen Frage erklären.

Auf philosophischen Theorien aufgebaut


Selbstverständlich muss dieses wenig subtile Foreshadowing noch längst nicht den Todesstoß für «I Am Mother» bedeuten. Erst recht nicht, da Regisseur Grant Sputore in seiner ersten Spielfilmarbeit unter Beweis stellt, dass er ein gutes Gespür dafür hat, mithilfe weniger Mittel eine grundspannende Atmosphäre aufzubauen. Auch dank des sehr reduzierten Settings, das lediglich aus laborähnlichen Räumen und kargen Gängen besteht und in dem sich insbesondere die hervorragend animierte Mutter so leise vorwärts bewegt, dass man nie weiß, ob sie wirklich fort ist, oder vielleicht hinter der nächsten Ecke lauert, sind die Karten von Anfang an klar verteilt. Wir entdecken die Welt durch die Augen von Tochter und nehmen Unsicherheiten und eine mit zunehmendem Alter steigende Skepsis aus ihrer Perspektive wahr. Manchmal sind das nur Details im Dialog zwischen ihr und Mutter, die andeuten, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Etwa wenn der Roboter Fragen nach Tochters Herkunft und der Welt „da draußen“ ausweicht. Etwas deutlicher wird das schon, wenn das erste Mal ein Lebewesen von außen in den Bunker eindringt und Mutter kurzen Prozess mit ihm macht – die arme Maus!



Auf der einen Seite bedeutet das natürlich, dass «I Am Mother» längst nicht so lang damit hinterm Berg hält, dass hinter der Schutz versprechenden Fassade eigentlich etwas ganz Anderes steckt. Zum Vergleich: Bei «Ex_Machina» wusste man nie, ob sich der finale Konflikt innerhalb der vier Wände abspielen wird, oder ob es sich eigentlich um einen viel größeres, im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegendes Problem handelt. Auf der anderen Seite erhält Sputore die Spannung so lange es geht aufrecht, stellt Mutters gutmütige Fassade immer wieder auf die Probe, bis er die harmonische Fassade nach rund einem Drittel der Spielzeit endgültig aufbricht und Hilary Swank («Das Glück an meiner Seite») Einzug in den Bunker gewährt.

Der Moment, in dem Tochter der fremden Frau Zuflucht im Bunker gewährt, erinnert grob an den ersten Teil der «The Purge»-Saga, in der ein junger Mann in letzter Sekunde einem Unbekannten dabei hilft, Schutz im eigenen Haus zu finden, während draußen der Mob tobt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist die soeben zu sich eingeladene Person selbst ein Opfer von „denen da draußen“ und man hat soeben ein gutes Werk getan. Oder man hat jetzt erst recht ein Problem. Hier unterliegt «I Am Mother» ein wenig dem typischen «Tatort»-Dilemma: Es genügt schon ein Blick auf die Uhr, um zu erkennen, wann sich hier wie welche Geheimnisse offenbaren werden und somit auch, dass das plötzliche Auftauchen der Frau sicher noch weitreichende Folgen auf das Mutter-Tochter-Gefüge haben wird. Je weiter «I Am Mother» voranschreitet, desto mehr wird das Science-Fiction-Drama zum Abzählreim; nicht mit Opfern, sondern mit möglichen Wendungen. Passiert das eine nicht, kann nur das andere passieren, gehen die Figuren nicht diesen Weg, können sie nur jenen gehen.

Lediglich die Frage danach, wer bis zum Schluss übrig bleiben wird, versorgt den Film bis ganz zum Schluss mit genügend Nährkraft, damit ihm nicht vollends die Puste ausgeht. Bis zu einer gewissen Phase innerhalb des Films punktet «I Am Mother» dabei immer noch mit einer ziemlich beklemmenden Atmosphäre. Doch spätestens wenn sich die Hinweise in eine bestimmte Richtung verdichten und sich der Film sogar aus der Bunker-Szenerie hinaus begibt, bricht die Geschichte unter ihren kruden Theorien und philosophischen Allgemeinplätzen zusammen. Das hat gerade auf der Zielgeraden so einige hanebüchene Wendungen zufolge, über die man am besten gar nicht erst nachdenkt, um dem Drehbuch auch nur irgendetwas abzukaufen.

Fazit


«I Am Mother» ist ohne Zweifel atmosphärisch und behält dieses Feeling dank seiner beklemmenden Kammerspiel-Inszenierung auch die meiste Zeit über bei. Gegen das plumpe Foreshadowing und den bemüht-philosophischen Überbau, der beim kleinsten Zweifel in sich zusammenbrechen würde, kommen allerdings weder die Inszenierung noch die tollen Darstellerinnen an.

«I Am Mother» ist ab dem 22. August in den deutschen Kinos zu sehen.
22.08.2019 14:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/111574