«A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» – Spielzeuge, wollt ihr ewig Besitztum sein?

Drei Langfilme, mehrere Kurzfilme und zwei TV-Specials sind nicht genug: Pixar führt die «Toy Story»-Geschichte fort. Und gegen sämtliche Erwartungen ist Teil vier kein herzloses Ausschlachten des Franchises.

Filmfacts «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando»

  • Regie: Josh Cooley
  • Produktion: Jonas Rivera, Mark Nielsen
  • Drehbuch: Stephany Folsom, Andrew Stanton
  • Musik: Randy Newman
  • Kamera: Patrick Lin, Jean-Claude Kalache
  • Schnitt: Axel Geddes
  • Laufzeit: 100 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Wohl niemand hat nach diesem Film gefragt. «Toy Story 3» hat 2010 die «Toy Story»-Reihe perfekt abgerundet. Kaum ein Auge blieb trocken, die Kritik überschlug sich mit Lob, es regnete Branchenpreise und das Einspielergebnis war schwindelerregend. Man hätte es gut sein lassen können. Aber die Pixar Animation Studios wollten sich nicht von der Spielzeugwelt trennen, die das Fundament für ihren Erfolg darstellt. Und so folgten Kurzfilme sowie Fernsehspecials rund um die Cowboypuppe Woody, die Space-Ranger-Actionfigur Buzz Lightyear und ihre Freunde. Auch Gerüchte um einen vierten «Toy Story»-Kinofilm kamen rasch auf – begleitet vom kollektiven Aufstöhnen von Filmfans und Kritikern weltweit.

Doch Pixar zog es durch. Die Produktionsgeschichte verlief nicht gerade glatt. Studio-Kreativchef John Lasseter dankte erst vom Regiestuhl ab und dann, einige Negativschlagzeilen über seinen gewissenlosen Umgang mit Mitarbeiterinnen später, von all seinen Posten im Disney-Konzern. Rashida Jones und ihr Schreibpartner Will McCormack waren zeitweise für's Drehbuch zuständig, verließen Pixar aber noch vor Lasseters Abgang, weil sie es mit ihm nicht aushielten. Der US-Kinostart musste zweimal verschoben werden.

Sehr früh in diesem Film, der vermeintlich nie hätte sein sollen, legen sich aber sämtliche Zweifel: Kindergartenkind Bonnie bastelt sich aus einem Plastikgöffel, Kulleraugen, einem zerbrochenen Eisstiel und Pfeifenreiniger ein neues Spielzeug, das sofort ihr allerliebstes Lieblingsstück in der ganzen, weiten Welt wird – Forky. Und Forky … will nicht existieren. Er will kein Spielzeug sein. Er will einfach nur in den Müll. Woody, das Herz der bisherigen Filmreihe, befindet aber: Forky muss seinen Selbsthass ablegen. Er hat zwar nie darum gebeten, lebendig zu werden, nun aber ist er da und er macht Bonnie glücklich, einfach dadurch, dass er existiert. Und das ist schon immens wertvoll.

Es ist nicht nur eine sehr spitz formulierte, rührend übermittelte Botschaft darüber, dass unsere Selbsteinschätzung uns zuweilen bitter betrügen kann. Es ist auch ein metafiktionaler Kommentar über diesen Film. «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» mag, anders als Forky, nicht schäbig aussehen. Die 200-Millionen-Dollar-Produktion entwickelt die gewohnte «Toy Story»-Bildsprache konsequent technologisch weiter. Die leicht cartoonig-hellen Oberflächen sind detaillierter als zuvor, Staubpartikel und filigrane Lichtebenen lassen die animierten Schauplätze greifbarer denn je erscheinen. Aber: So, wie niemand «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» haben wollte, will Forky nicht sein. Aber jetzt sind Forky und «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» da. Also machen wir halt was Berührendes daraus ...


Beziehungen


Die «Toy Story»-Filme haben bis dato einen schwierigen Spagat bewältigt: Sie blieben kindgerecht und sind dennoch mit ihrem Ursprungspublikum mitgewachsen. Teil eins handelt von Eifersucht, die durch ein neues Familienmitglied provoziert wird – einige der Kinder sollten dies durch Patchworkfamilien oder schlicht durch ein neues Geschwisterchen selber erfahren haben. «Toy Story 3» dagegen handelt von Verlustängsten, den Sorgen sowie Freuden des Loslassens und vom Abschiednehmen – deutlich komplexere Emotionen, dennoch blieb das Ganze, wie die Vorgängerfilme, für Kinder als animierter Spielzeugspaß zugänglich. «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» setzt dies fort – fragmentierter, aber insofern auch aufregender, als dass sich verschiedene Plotelemente für eine jeweils andere Deutungsweise eignen.

So begegnet Cowboypuppe Woody im Laufe des Films seiner alten Flamme wieder, der Lampenverzierung Porzellinchen. Die Gespräche zwischen ihnen sind flott geschrieben, voller kleiner verbaler Spitzen und mit einem schwer zu widerstehendem Charme – die Dialoge vermitteln glaubwürdig das Gefühl, dass zwei alte Bekannte nach langer Trennung vom Ton her prompt da wieder ansetzen, wo sie einst aufgehört haben, jedoch mit Witz und Neugier abklopfen, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Mangels eigener Erfahrungen dürfte das Kinderpublikum dies so nehmen wie es ist. Für Ältere weckt der raffiniert geschriebene Rapport zwischen Woody und Porzellinchen diverse Assoziationen. Die wohl deutlichste: Sie klingen wie ein Ex-Pärchen. Und während Woody sich seit der Trennung durch weitere Familienkonstellationen geschlagen hat (er sah Andy erwachsen werden und ist nun für Bonnie da, die ihm aber rasch entgleitet), fing Porzellinchen ein lockeres Singleleben an, ohne feste Bindungen.

Diese Entscheidung veränderte Porzellinchen, so dass sie eine neue Wirkung auf Woody hat – womit «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» auch davon handelt, wie es ist, wenn sich Zwei wiederfinden, Einer von ihnen aber jahrelang statisch blieb, und Eine sich weiterentwickelte. Und auch wenn die Pixar-Filmschaffenden diesen Plotfaden, der auch etwas von "Dating als Single-Dad" mit sich bringt, mit allerlei spielzeugspezifischer Situationskomik würzen und diesen Plotfaden im letzten Akt mit cartooniger Slapstickaction vorantreiben, ist er durchweg mit Herzlichkeit und emotionaler Konsequenz versehen.

Generationen


«A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» ist aber auch ein Film über den Generationenkonflikt: Woody, der als Cowboyspielzeug seine Blütezeit in den 50ern hatte, aber seinen Status als Chef der Spielzeugbande bis ins neue Jahrtausend rettete, ist ein Babyboomer. Er ist zwar, schließlich wird er nun einmal im Original von Tom Hanks gesprochen und ist der freundliche Protagonist einer Pixar-Filmreihe, ein vergleichsweise sensibler und umsichtiger Babyboomer. Trotzdem hängt er an seinem Vorherrschaftsstatus, ist bestimmte Rollengefüge in der Spielzeugbande gewohnt und wurde schon in den vergangenen Filmen fuchsig, wann immer der ihm gewohnte Gang der Dinge in Frage gestellt wurde. Gleichwohl ist Woody wenigstens willens, zu lernen.

«A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» stellt ihn vor seine größte "Prüfung". In einer Welt, in der nicht mehr sein geliebter Andy, sondern die sehr hibbelige Bonnie den Fokus der Spielzeugwelt darstellt, verliert er als Cowboypuppe an Zugkraft. Bonnie hat andere Interessen. Und als sie sich nach Rückhalt und Unterstützung sehnt, such sie dies nicht mehr bei ihm. Ein neues Spielzeug steht im Rampenlicht: Forky. Die Verkörperung der Generation Y. Er hinterfragt alles, was Woody als gegeben ansieht. Er macht sich viel mehr Sorgen über seine Rolle in der Welt und die in seinen Augen zerbrechliche Zukunft als Mr. "Ach, bisher hat doch auch alles geklappt"-Cowboy.

Anders als in der realen Welt, in der die Babyboomer unentwegt die Generation Y als nervliche Wracks bezeichnen, die einfach nur mal richtig anpacken und ihr Wischiwaschigewinsel einstellen sollen, während Generation Y verzweifelt auf mehreren Hochzeiten tanzt, um unterbezahlt und überarbeitet das eigene Leben, die mit schlecht gemischten Karten aufgebaute Karriere und das Schicksal der Welt zu retten versuchen, verläuft der Konflikt in «A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» friedlicher. Pixar dekliniert den Generationenkonflikt spitzfindig, aber auch mit märchenhaftem Optimismus durch, zeigt, wie es laufen könnte oder gar sollte, statt eine Dystopie zu skizzieren. Und damit wird diese «Toy Story» ihrem Grundkern gerecht: Pixar ist wie ein Kind, das seine Sorgen, Ängste und Hoffnungen (unterbewusst?) beim Geschichtenerzählen mit seinen Spielzeugen verarbeitet. Und wir dürfen dieser kreativen Selbsttherapie erstaunt zuschauen.

«A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando» ist ab dem 15. August 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.
13.08.2019 18:23 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/111394