Fortnite vs. Netflix: Wie soziale Videospiele Fernsehanbieter ausstechen

Den Kampf um die Aufmerksamkeit von Nutzern müssen Fernsehanbieter auch gegen andere Branchen führen. Studien zeigen, dass insbesondere Videospiele TV-Anbietern das Wasser abgraben.

Schon im Januar 2019 sorgte eine Aussage von Netflix in einem Brief an seine Aktionäre für Stirnrunzeln. Darin schrieb der US-Dienst, man konkurriere mehr mit Fortnite (und verliere Nutzer) als mit HBO oder anderen Fernsehanbietern. Um diese Aussage interpretieren zu können, muss erst einmal klar sein, was Fortnite überhaupt ist. Dabei handelt es sich um ein Videospiel, welches insbesondere dadurch bekannt wurde, dass Spieler sich darin im Überlebenskampf mit anderen Gamern befinden. Bis zu 100 Spieler können gleichzeitig in einer virtuellen Welt gegeneinander kämpfen. Der Spieler, der bis zuletzt überlebt, hat gewonnen. Über das Internet haben Gamer aus aller Welt die Möglichkeit, gegen- bzw. miteinander zu spielen.

Wohl kein anderes Videospiel war in den vergangenen Jahren so populär wie Fortnite. Doch wie genau konkurrieren Games wie dieses nun mit Fernsehanbietern wie Netflix? Auf diese Frage warf eine Studie der National Research Group in den USA neues Licht. Eine Schlussfolgerung aus dieser Studie besagt: Spiele wie Fortnite sind eben nicht nur Videospiele, sondern auch ein Soziales Medium. Und als solches steht es im Wettbewerb mit all den anderen Plattformen, die sich in einem Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer befinden, der immer hitziger wird. Der Hintergrund ist klar: Bei immer mehr Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, aber einem gleichbleibenden Zeitbudget der Nutzer, müssen sich die Angebote, die um die Aufmerksamkeit buhlen, immer mehr ins Zeug legen.

Fortnite gräbt anderen Plattformen das Wasser ab


Wenn Personen ihre Freizeit zubringen, Fortnite oder andere Videospiele zu spielen, haben sie automatisch weniger Zeit für andere Angebote. Die angesprochene Studie wies nach, dass Fortnite-Spieler mehr Zeit mit dem Überlebens-Spiel verbringen als mit Facebook, Instagram, YouTube oder eben Netflix. Dass Netflix-CEO Reed Hastings schon im Januar 2019 Sorgen um die Fortnite-Übermacht aussprach, war berechtigt. Mittlerweile stellt das Spiel ein globales Phänomen dar, mit über 250 Millionen aktiven Nutzern, von denen 82 Prozent unter 35 Jahre alt sind und damit in etwa im Alter der Kernzielgruppe von Netflix.

Klassische Fernsehanbieter und auch Streaming-Dienste wie Netflix bekommen ein Problem, wenn Spiele wie Fortnite ihre Spielerfahrung als soziales Erlebnis konzipieren. Das war von Anfang an das Ziel des Spiels, wie Tim Sweeney, CEO der Videospielfirma Epic Games, erklärte. Mittlerweile finden in Fortnite nämlich längst nicht mehr bloß Überlebenskämpfe statt. Im Februar richtete der EDM-DJ Marshmello beispielsweise ein Konzert in der virtuellen Welt des Spiels aus, dem zehn Millionen Zuschauer beiwohnten. Mit solchen Aktionen wird Fortnite vom Spiel zur Plattform und steigt voll in den Kampf um die endlichen Zeitbudgets der Nutzer ein.

Soziale Elemente verschaffen Videospielen einen Vorteil


Vergleich: Mediennutzung vor und seit Fortnite

  • Andere Videospiele: 22%/16%
  • Social Media: 17%/14%
  • Streaming: 19%/16%
  • Kino: 11%/8%
  • Musik/Podcasts: 14%/11%
  • Ohne Bildschirm: 17%/14%
Medium: vorher / nachher (Anteil an der Freizeit pro Tag)
Laut der zitierten Studie verbringen Fortnite-Spieler mittlerweile 21 Prozent ihrer Zeit im Spiel. Die Daten der Erhebung zeigen auch, dass Fortnite-Spieler seitdem weniger Zeit mit anderen Medien verbringen (siehe Info-Box), die Streaming-Nutzung in der Freizeit am durchschnittlichen Tag gab etwa von 19 auf 16 Prozent ab. Forscher im Umfeld der Studie erklären, dass die sozialen Elemente Nutzer gut fühlen lassen und gleichzeitig eine werthaltige Erfahrung mit anderen Nutzern bereitstellen. Sweeney kündigte bereits an, dass weitere soziale Komponenten zum Spiel hinzugefügt werden sollen.

Besonders die sogenannten Tweens, also Kinder zwischen etwa 10 und 14 Jahren, spricht das Videospiel an. Die NRG-Studie zeigte, dass 53 Prozent aller Befragten zwischen zehn und zwölf Jahren mindestens wöchentlich Fortnite spielen – deutlich mehr als Kinder in diesem Alter, die angaben, Facebook oder Instagram abzurufen. Der Anteil an wöchentlichen YouTube- oder Netflix-Nutzern liegt in aber selbst in dieser Altersgruppe aktuell noch höher.

Welche Schlüsse ziehen TV-Anbieter?


Diese Medien nutzen Tweens in den USA

  1. Fortnite: 62%
  2. YouTube: 60%
  3. Netflix: 55%
  4. Facebook: 51%
  5. Hulu: 49%
  6. Instagram: 49%
  7. TikTok: 47%
  8. Twitch: 45%
NRG-Studie
Was bedeutet das für Fernsehanbieter? Klassische Fernsehsender versuchen schon seit Jahren, mehr interaktive und soziale Elemente in ihr Programm einzubeziehen, etwa durch Live-Programme und entsprechende Apps. Doch die Möglichkeiten im linearen Fernsehen sind nach wie vor sehr begrenzt und in Deutschland floppten aus Quotensicht gerade die Programme, die als interaktives Seherlebnis angekündigt wurden. Einfacher haben es da schon Internetsender und Streaming-Dienste wie Netflix.

Seit Ende vergangenen Jahres experimentiert Netflix verstärkt mit Interaktivität. Zuerst erschien der Netflix-Film «Bandersnatch» aus dem «Black Mirror»-Universum. Die technische Errungenschaft dieses Choose-Your-Own-Adventure-Films, der im Grunde wie ein sehr simples Videospiel daherkam wurde gelobt, der Inhalt kam bei Nutzern dagegen weniger gut an. Im April erschien dann die interaktive Survival-Serie «Du gegen die Wildnis» mit Bear Grylls, die allerdings nur wenig Aufmerksamkeit erzeugte. Weiter Projekte sollen folgen, aber auch im Bereich Streaming sind die Möglichkeiten begrenzt und nicht so vielfältig wie in Videospielen.

Noch ist nicht klar ob die Popularität von Spielen wie Fortnite weiter ansteigt oder eine Grenze bald erreicht ist. Will Netflix dem Videospiel beikommen, müsste es den Charakter seiner Plattform deutlich ändern, etwa Live-Ausstrahlungen einführen, die Chat- oder Voting-Möglichkeiten enthalten. Doch selbst diese wären nicht gleichwertig mit einem Spiel, in dem Nutzer eigene Avatare steuern, mit denen sie tun können, was sie möchten.
06.07.2019 11:05 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/110510