Neue Zeitebene, religiöse Komponente & ein seltener Soundtrack: «Dark» ist zurück

Seitdem die erste Staffel vor anderthalb Jahren für internationales Aufsehen sorgte, haben deutsche Fernsehproduktionen einen anderen Stellenwert. Demnach muss die zweite Staffel nicht nur an die Qualität der ersten heranreichen, sondern auch mehrere lose Enden zusammenknüpfen. Ob die Serie zu alter Stärke zurückkehrt oder ob es düster wird, klärt die Quotenmeter.de-Kritik.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Oliver Masucci ist Ulrich Nielsen
Jördis Triebel ist Katharina Nielsen
Karoline Eichhorn ist Charlotte Doppler
Stephan Kampwirth ist Peter Doppler
Louis Hofmann ist Jonas Kahnwald
Maja Schöne ist Hannah Kahnwald

Hinter der Kamera:
Regie: Baran bo Odar
Drehbuch: Baran bo Odar/ Jantje Friese/ Martin Behnke/ Marco O. Seng/ Ronny Schalk
Schnitt: Robert Rzesacz/ Denis Bachter/ Anja Siemens
Kamera: Nikolaus Summerer
Musik: Ben Frost
Produktionsfirma: W&B Television
«Dark» ist zurück. Seitdem die erste Staffel vor anderthalb Jahren für internationales Aufsehen sorgte, haben deutsche Fernsehproduktionen einen anderen Stellenwert. Demnach muss die zweite Staffel nicht nur an die Qualität der ersten heranreichen, sondern auch mehrere lose Enden zusammenknüpfen. Ob man zu alter Stärke zurückkehrt oder ob es düster wird, klärt die Quotenmeter.de-Kritik.

Wenn man an die qualitativ besten Serien aus deutscher Hand denkt, ist aktuell «How to sell drugs online (fast)» hoch im Kurs, ebenso wie «Babylon Berlin» und «Das Boot». Im Dezember 2017 veröffentlichte Netflix erstmals die deutsche Eigenproduktion «Dark», die nicht nur international das angestaubte Image des deutschen Fernsehens aufwirbelte, sondern auch im eigenen Land eine Revolution im Hinblick auf Qualität und Produktionswerte darstellte.

Die Geschichte rund um das kleine Dorf Winden und seine Bewohner fing sehr gemächlich, fast schon schleppend an. Doch während die erste Folge noch auf kein allzu großes Werk schließen ließ, erreichten alle anderen Folgen internationale Qualität – sowohl im Hinblick auf die Inszenierung, als auch auf das Schreiberische. Die Handlung wurde zunehmend komplexer und Elemente wie unterschiedliche Zeitebenen und eine Vielzahl an Erzählsprüngen machten es zwar teils schwer dem Geschehen zu folgen, belohnte aber diejenigen, die genau aufpassten, umso mehr. Religiöse Untertöne und philosophische Fragen wurden mit einer Anti-Atom-Message unterfüttert, die im aktuellen Zeitgeist der grünen Polit-Welle nicht aktueller sein könnte. Als ob man in die Zukunft gesehen hätte.

Der Blick in die Zunft ist eine Fähigkeit, die Regisseur und Schreiber Baran bo Odar für die zweite Staffel fast schon gehabt haben muss. Denn wie zu erwarten gewinnt die Handlung mit jeder der acht Folgen zunehmend an Komplexität und Tiefgründigkeit. «Dark» ist also zweifelsohne eine Serie, die die uneingeschränkte Aufmerksamkeit von ihrem Publikum fordert. Und daran hat sich auch in der zweiten Staffel nichts geändert. Im Gegenteil.

Während man in der ersten Staffel der deutschen Serie noch grob zwischen drei verschiedenen Zeitebenen unterscheiden konnte, öffnete das Staffelfinale neue Zeiten, eine davon in der Zukunft. Dieser neue Schauplatz ist – wie alle anderen auch – von enormer Wichtigkeit und entwickelt sich von einer trostlosen und grauen Welt zu einem spannenden und vielseitigen Handlungsort. In der Zukunft hat eine Katastrophe stattgefunden, ausgelöst durch das Atomkraftwerk Winden. Was und wie genau all dies passiert ist, wird in Rückblicken erzählt, die wiederum wild in ihrer Erzählweise hin und her springen. Wie bereits angesprochen, ist wachsamen Zuschauen eine absolute Notwendigkeit. Und ohne zu viel vorweg zu nehmen: es wird nicht nur bei dieser einen neuen Zeitlinie bleiben.

«Dark» setzt in den neuen Folgen noch mehr auf die religiöse Komponente, als es in den vorherigen Folgen ohnehin schon der Fall war. Das führt nicht nur dazu, dass man als Zuschauer die Geschichte noch weiter hinterfragt, um deren tieferen Sinn zu erahnen, man wird regelrecht dazu gezwungen sich auf eine Seite innerhalb der Charakterkonstellationen zu stellen, was nicht gerade eine leichte Entscheidung ist.

Was schon 2017 von deutscher, als auch internationaler Presse gelobt wurde, war die Inszenierung, die sich insbesondere durch ihre fantastische Optik auszeichnete. An eben diese positive Kritik knüpft die Serie an und überzeugt wieder mit hervorragenden Bildern, die nicht nur mit einer starken Bildkomposition überzeugen, sondern auch mit wahlweise grauen und gesättigten oder kontrastreichen und satten Bildern. Die visuelle Kraft der deutschen Produktion kommt nicht nur durch die stets passende Szenarie, sondern auch durch den Einsatz von ARRI-Kameras, die den internationalen Standard in Filmkameras bilden. Eine ähnliche hochqualitative Optik wäre in einer Vielzahl von deutschen Serien, aber auch Filmen wünschenswert. Noch dazu behält der neue Vorspann sich durch seine verspiegelten und künstlerisch ineinander verwobenen Bilder die Einzigartigkeit, die er schon in der ersten Staffel hatte.

Zu der Optik gesellt sich die musikalische Untermalung, die wie bereits in den ersten acht Folgen so vielfältig ist, wie es selten ein Soundtrack war. Dieser reicht von ungewöhnlichen Akapella-Stimmen bis hin zu Klängen, die man nicht einmal einem bestimmten Instrument zuordnen kann. Die Musik wirkt in Teilen wie die Serie selbst: geheimnisvoll, unwirklich, zugleich aber innovativ und andersartig. Und in der aktuellen kreativen Krise, in der sich internationale Produktionen befinden, kann man „andersartig“ als durchaus positiv ansehen.

Sind also die neuen Folgen von «Dark» also die reine Perfektion? Hat Deutschland die beste Serie aller Zeiten erschaffen? Tatsächlich ist das nicht der Fall, denn «Dark» ist nach wie vor eine klare „Serie des Geschmacks“. Dem einen werden viele Dialoge zu prätentiös und bewusst bedeutungsschwanger vorkommen, während die anderen gerade diese Schwere als angemessen empfinden. Manche der neuen Charaktere könnten als klischeehaft und fast schon überzeichnet wahrgenommen werden, doch andere sehen sie als genau passend in die Welt von «Dark». Wie so oft kommt es also auf die persönlichen Präferenzen an und darauf, wie sehr man sich auf eine visuelle oder tonale Gegebenheit einlassen kann und möchte.

Dasselbe gilt für eine Vielzahl der Dialoge in den neuen Folgen. Nicht nur die Schwere, die ihnen inne liegt, sondern auch wie die verschiedenen Darsteller sie vor der Kamera wiedergeben. Ja, sie sind bedeutungsschwanger und dramatisch förmlich überladen. Man kann praktisch spüren, wie betont emotional die Sätze ausgesprochen werden, was besonders in den späteren Folgen zuweilen etwas anstrengend wirken kann. Doch auch wenn man den Schauspielern ihre Bemühung deutlich anmerkt, schmälert das nicht ihre starken Leistungen, die an deren Qualität der ersten Staffel anknüpfen.

Doch das, womit die Qualität der neuen Folgen im Endeffekt steht und fällt ist ironischerweise die dritte und finale Staffel. Denn die neu aufgeworfenen offenen Fragen und neuen Themen werden erst in Zukunft zu einem hoffentlich zufriedenstellenden Ende geführt, sofern es nicht ein Finale à la «Lost» geben sollte.

«Dark» beweist auf eindrucksvolle Weise, dass das deutsche Fernsehen internationale Klasse hat und diese über mehr als eine Staffel halten kann. Die Handlung, die immer mehr Facetten bekommt, erweist sich als ungemein spannend und politisch auffallend aktuell. Qualitativ bildet «Dark» nach wie vor die Speerspitze deutscher Netflix Produktionen. Je nachdem wie sich nun die finale Staffel entwickeln wird, kann sich die Serie womöglich zu internationalen Klassikern zählen. Doch ob dies der Fall sein wird ist – wie so vieles in «Dark» – eine Frage für eine andere Zeit.

Die zweite Staffel von «Dark» ist ab dem 21. Juni auf Netflix abrufbar.
21.06.2019 08:08 Uhr  •  Martin Seng Kurz-URL: qmde.de/110181