«Verachtung»: Neues aus dem Sonderdezernat

Die Filmreihe rund um die Sonderermittler Carl und Assad, die ungelöste Fälle erneut aufrollen, zeigt sich in Teil vier von ihrer spannenderen Seite.

Filmfacts «Verachtung»

  • Regie: Christoffer Boe
  • Drehbuch: Bo Hr. Hansen, Nikolaj Arcel, Mikkel Nørgaard; nach einer Vorlage von Jussi Adler-Olsen
  • Produktion: Louise Vesth
  • Darsteller: Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Fanny Leander Bornedal, Clara Rosager, Elliott Crosset Hove, Anders
  • Kamera: Jacob Møller
  • Schnitt: Janus Billeskov Jansen, My Thordal
  • Musik: Anthony Lledo, Mikkel Maltha
  • Laufzeit: 118 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Spätestens, seit die Stieg-Larsson-Verfilmungen der Millennium-Trilogie große Achtung erhielten, sind skandinavische Krimis überaus gefragt: Neben Stoffen, die direkt fürs Fernsehen entwickelt werden, werden auch skandinavische Krimi-Bestseller verfilmt und zuweilen sogar ins Kino gebracht, statt ausschließlich auf dem heimischen (und mobilen) Bildschirm zu flimmern. Wie schon bei diversen skandinavischen Krimiproduktionen, hat das ZDF auch bei den Adaptionen von Bestsellern des Schriftstellers Jussi Adler-Olsen seine Finger mit im Spiel. Und manche Filme über Adler-Olsens Sonderdezernat Q, in dem Carl Mørck und sein Kollege Assad, wirken so, als sollten sie besser bloß am späteren Abend im ZDF laufen: Solide gemacht, aber ohne besonderen dramaturgischen sowie inszenatorischen Schliff – wieso also extra eine Kinokarte dafür lösen?

«Verachtung», der nunmehr vierte Part der Reihe, rechtfertigt das "Kino-Upgrade" dagegen: Regisseur Christoffer Boe, ein Novize in dieser Filmreihe, unterstreicht inszenatorisch gekonnt die menschlichen Abgründe dieses Falls in Vergangenheit wie auch in Gegenwart, was nebenbei die dramaturgische Fallhöhe vergrößert. Der Plot von «Verachtung» greift ein dunkles Kapitel der dänischen Geschichte auf: Jahrzehntelang gab es Mädchenheime, in denen junge Frauen zwangssterilisiert wurden. Rund 11 000 Frauen wurden Opfer solch einer Zwangssterilisation. Zu Beginn von «Verachtung» werden in einem versteckten Raum in einer Wohnung drei in qualvoller Pose mumifizierte Leichen gefunden. Die Menschen sind allesamt seit über einem Jahrzehnt tot – und sie alle verbindet eine Vergangenheit mit solchen Heimen.

Wie bei Adler-Olsen nicht unüblich, wird der vergangene Schrecken erzählerisch mit heutigen Verbrechen verquickt, wobei die Leinwand-Übersetzung dessen, wie der Schriftsteller in seinen Schmökern zwei verschiedene thematische Baustellen verbindet, aufgrund der unterschiedlichen Erzählzeit bislang von schwankender Qualität war. Den Autoren  Bo Hr. Hansen, Nikolaj Arcel und Mikkel Nørgaard gelingt es in «Verachtung», die verschiedenen Erzählebenen wie aus einem Guss wirken zu lassen und obendrein dabei nicht den Anschein zu erwecken, sie würden hetzen: Übermäßige thematische Sprünge bleiben in diesem Kinokrimi aus, viel mehr führt er uns auf fesselnde Weise von Dänemarks beschämender Vergangenheit ins Heute, wo sich kaum kaschierende Rassisten alte Schreckensideologien aufleben lassen.

Aufgelockert wird diese Erzählung nicht etwa durch forcierte Komik oder bemüht menschelnde Momente, sondern durch den eh schon ständig muffeligen Kommissar Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas), der dieses Mal noch mehr muffelt als sonst: Sein Kollege Hafez el-Assad (Fares Fares) lässt sich versetzen, da er für einen Ermittler mit syrischer Herkunft nahezu einmalige Gelegenheit erhalten hat. Carl, grantiger Geheimniskrämer, der er ist, will sich seine gekränkten Gefühle nicht eingestehen und sie noch viel weniger anmerken lassen, und mault daher viel herum, während Sekretärin Rose Knudsen (Johanne Louise Schmidt) gegen dieses Getue stichelt.

Boe verankert solche Szenen in einem ruhigen, schnodderigen Tonfall, statt herumzukaspern oder wegen der kippenden Stimmung zwischen den befreundeten Kollegen auf die Tränendrüse zu drücken. Das erweist sich als stimmige Entscheidung: Die Szenen ecken nicht mit der Grundstimmung dieses dunklen, dramatischen Krimis an und sind dennoch dank der eingespielten, kecken Dynamik zwischen Kaas, Fares und Schmidt sehr amüsant anzuschauen, womit sie einen willkommenen, kleinen Kontrast zum Rest des Films darstellen.

Fazit: Ein spannender, erschreckender Fall, der vergangene und aktuelle Schandtaten erzählerisch geschickt vereint, und ein guter Einsatz des eingespielten Stamm-Ensembles: Der vierte Adler-Olsen-Film ist der bislang gelungenste.

«Verachtung» ist ab dem 20. Juni 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
19.06.2019 11:08 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/110147