«Ma»: Octavia Spencer soll erschrecken, aber tut sie's auch?

Der neueste Streich aus der Blumhouse-Filmschmiede erzählt von einer verrückt gewordenen Frau, die Teens mit WhatsApp-Nachrichten bombadiert. Was immerhin am Ende ein klein wenig eskaliert, ist die meiste Zeit über ein Film ohne Spannung und Atmosphäre.

Filmfacts «Ma»

  • Regie: Tate Taylor
  • Drehbuch: Scotty Landes, Tate Taylor
  • Produktion: Jason Blum, John Norris, Tate Taylor
  • Musik: Gregory Tripi
  • Kamera: Christina Voros
  • Schnitt: Lucy Donaldson, Jin Lee
  • Laufzeit: 100 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Wir brauchen an dieser Stelle nicht noch einmal die unverschämt clevere Erfolgsstrategie des Blumhouse-Konzerns herunterbeten: Mittlerweile weiß jeder, dass die vorzugsweise Horrorfilme herausbringende Produktionsschmiede für den schmalen Taler Filmemacher ihr Ding machen lässt und durch die niedrigen Kosten am Ende auch ein nur geringer Erfolg ausreicht, um ebendiese wieder einzuspielen. «Ma» macht da keine Ausnahme; fünf Millionen US-Dollar hat der Horrorthriller gekostet und das meiste Budget dürfte dabei für einige der verpflichteten Darsteller draufgegangen sein. Mit Octavia Spencer («Shape of Water – Das Flüstern des Wassers»), Juliette Lewis («Bad Moms») und Luke Evans («Professor Marston and the Wonder Women») haben die Macher nämlich direkt mehrere aus Hollywoods A-Liga verpflichten können. Und sie alle dürften sich im Nachhinein gefragt haben, in was für einem Quatsch sie da eigentlich mitgespielt haben. Regisseur Tate Taylor, der zuletzt die Romanverfilmung «The Girl on the Train» formvollendet in den Sand gesetzt hatte, weil ihm offenbar nicht geläufig war, dass du einem funktionierenden Thriller auch so etwas wie Spannung gehört, hält an dieser Nullliniendramaturgie fest. «Ma» hat keine Höhen, keine Tiefen, keine Atmosphäre, keine Überraschungen. Einfach nichts.

Bei Ma sind alle willkommen. Es scheint ein glückliches Zusammentreffen zu sein: Die liebenswürdige Sue Ann (Octavia Spencer) lebt einsam und allein in einem braven Kaff in Ohio. Neuankömmling Maggie (Diana Silvers), die gerade erst mit ihrer Mutter (Juliette Lewis) hierher gezogen ist, und ihre Freunde wollen feiern – dürfen als Teenager aber noch keinen Alkohol kaufen. Also besorgt Sue Ann ihnen den Stoff. Und bietet den neuen, jugendlichen Freunden auch gleich noch ihren Keller als Partylocation an. Doch es herrschen klare Regeln in Sue Anns Haus: Wer fährt, bleibt nüchtern! Keine Kraftausdrücke! Die oberen Stockwerke sind tabu! Und Sue Ann wird «Ma» genannt. Bald entpuppt sich die vermeintliche Gastfreundschaft Mas als obsessive Gier nach Gesellschaft. Der scheinbare Teenager-Traum verwandelt sich zum grauenvollen Albtraum. Und Mas Haus wird vom heißesten Schuppen der Stadt zur Hölle auf Erden.

Selbst beim Blick auf den Regiestuhl mag man einen solchen Totalausfall von Tate Taylor kaum glauben; immerhin hat er ja nicht nur «Girl on the Train» inszeniert, sondern 2011 auch das wirklich gelungene Rassendrama «The Help». Doch was sich in dem Crime-Thriller mit Emily Blunt schon stark abzeichnete, findet in «Ma» nun zur denkwürdigen Formvollendung: Mit Erwartungen spielen, geschweige denn sie unterlaufen oder auch nur irgendetwas machen, was nicht bereits in den ersten zwanzig Minuten eines Films angedeutet wird, scheint Tate Taylor nichts zu können. Gewiss: Für den Einiges vorwegnehmenden Trailer zu «Ma» kann er nichts. Darüber hinaus geht ein nicht unerheblicher Anteil des Scheiterns auf Kosten des Drehbuchautoren Scotty Landis, für den «Ma» zu allem Überfluss auch noch das Spielfilmdebüt darstellt. Landis ist seit 2010 vor allem für das Schreiben von Serienepisoden zuständig. Unter anderem zu «Workaholics» und der kompromisslosen Sacha-Baron-Cohen-Show «Who is America?». Bei «Ma» überkommt einen ebenfalls immer mal wieder der Gedanke, dass das Konzept in Kurzfilmfilmform (oder eben in Serienepisodenlänge) durchaus hätte funktionieren können: Eine sich zunächst lieb und warmherzig gebende Ersatzmutti tickt nach und nach durch und beginnt, unschuldige Teenager zu drangsalieren. Aufgeblasen auf rund eineinhalb Stunden und völlig frei von erzählerischer Überraschung fühlt sich allerdings all das zäh an, was bis zu dem Zeitpunkt passiert, an dem Octavia Spencer endlich freidrehen kann. Und wenn man von einigen plötzlichen Abstechern zur Schule «ihrer» Kids einmal absieht, dann dauert es bis zur endgültigen Eskalation fast die gesamte Filmlänge.


Die letzten zehn Minuten – die wir trotz der enormen Vorhersehbarkeit natürlich nicht verraten wollen – treiben wenigstens kurz den Puls in die Höhe. Zwar hat man die hier präsentierten Gewaltspitzen auch schon drastischer in anderen Filmen gezeigt bekommen, aber, so zynisch es klingt: Immerhin passiert überhaupt mal etwas! Bis es soweit ist, genügt es Regisseur Tate Taylor, das einfallslose Skript von Scotty Landis mit sichtbarem Desinteresse und optisch nicht unbedingt kinotauglich herunterzufilmen: Die Kids lernen Ma kennen, Ma wird wunderlich, bombadiert sie mit WhatsApp-Nachrichten und über einen parallel erzählten Handlungsstrang macht uns der Film sehr früh deutlich, dass die Gründe für ihr seltsames Verhalten und eventuelle Rachegedanken in ihrer Vergangenheit, genauer: Schulzeit liegen müssen. Nun mag man bei der Auflösung des Ganzen darüber streiten, ob die Reaktion der Dame einfach nur unverhältnismäßig ist, oder ob man durch das von ihr durchlittene Ereignis auch ein Stückweit Sympathie dafür hegt, wie sich Ma nun auf ihre ganz eigene Art und Weise Genugtuung verschafft. Durch mehrere inszenatorische und erzählerische Faux Pas ergibt sich hieraus allerdings zu keinem Zeitpunkt Drama oder gar Spannung: Zum einen liegen die Ereignisse auf die Mas Gräuel fußen viel zu lange zurück, als dass ihre Rache nun Sinn ergeben würde. Zum anderen sei noch einmal betont: Das Skript verhandelt beide Zeitebenen – die Geschehnisse im Hier und Jetzt sowie die Rückblenden in Mas Schulzeit – parallel. Und genau das ist das Problem.

Tate Taylor hat gar keine Gelegenheit, aus der Geschichte, gar aus der Unwissenheit des Publikums Spannung zu ziehen. Sämtliche Fragen und ein eventuelles Rätselraten, was es mit der gruseligen Ma auf sich haben könnte, beantwortet der Film auf dem Fuß. Sobald sich auch nur ein Hauch von Ahnungslosigkeit (oder eben: Mysterium) abzeichnen könnte, grätscht der Autor dazwischen und liefert dem Publikum die Antwort darauf auf dem Silbertablett. So ist «Ma» zwar ein Film, den es nahezu unmöglich ist, mithilfe von Spoilern zu zerstören, weil er sich im Grunde selbst permanent spoilert. Aber ein guter Thriller, geschweige denn Horrorfilm entsteht aus dieser Prämisse nicht.

Immerhin passend zum Genre lässt das Drehbuch die Figuren agieren. Wenn es hier im Inneren eines Hauses plötzlich brennt und die im Feuer eingeschlossenen Teens lieber gegen die verriegelte Tür hämmern, als einfach die freistehende Treppe ins Freie zu nehmen, nehmen die Macher das Lachen des Publikums bewusst in Kauf. Dieses Desaster können dann leider auch die zu Beginn erwähnten Schauspielstars nicht mehr retten. Wenngleich Octavia Spencer immerhin durchscheinen lässt, dass ihr die Rolle der durchgeknallten Psychopathin Spaß macht und sich Luke Evans mal wieder in einer typischen Arschlochrolle gefällt, ist Juliette Lewis als ahnungslose Mutter völlig verschenkt. Und unter den jugendlichen Newcomern hat bei solch einem hanebüchenen Skript, dessen Qualität sich die Dialoge selbstverständlich anpassen, keiner die Gelegenheit, eine Duftmarke zu setzen. Hiervon profitiert nicht nur kein Kinozuschauer, sondern auch keiner von den Verantwortlichen.

Fazit: «Ma» ist so etwas wie ein Nicht-Film – ein Film ohne Spannung und Atmosphäre, der keinerlei Dramaturgie erkennen lässt, eventuelle Überraschungen selbst vorwegnimmt und dann noch nicht mal eine wirklich neue Story erzählt. Auf allen Ebenen missraten.

«Ma» ist ab dem 30. Mai 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
29.05.2019 21:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/109726