«Wir sind jetzt»: Sex, Drugs and Party Hard

Bei RTL II versucht man es wieder mit Young Fiction: Die Serie «Wir sind jetzt» richtet sich gezielt an junge Menschen und erzählt tatsächlich auch eine spannende Story. Blöd nur, dass sich die anvisierte Zielgruppe der Produktion kaum mehr ins klassische Fernsehen verirrt…

Meine Figur Laura durchlebt bei «Wir sind jetzt» die Höhen und Tiefen einer Jugendlichen. Sorgloser Spaß, wilde Partys, totales Gefühlschaos, Schuldgefühle und ein heftiger Schicksalsschlag: Es ist alles mit dabei. Mich in die facettenreiche Gefühlswelt der 17-Jährigen hineinzuversetzen, war für mich herausfordernd und wahnsinnig spannend zugleich
Lisa-Marie Koroll über ihre Rolle in der Serie
Im Internet bei TV Now ist die neue Jugendserie «Wir sind jetzt» für Abonnenten schon seit einiger Zeit abrufbar. Wer dort in den vergangenen Tagen bereits alles auf die Produktion aufmerksam wurde, ist nicht überliefert. Allzu viele Menschen dürften es vermutlich aber nicht gewesen sein. Ihre TV-Premiere vor einem potenziell breiten Publikum feierte die Serie dafür nun am Montagabend bei RTL II. Zur besten Sendezeit strahlte der Privatsender die ersten beiden Folgen des Young Fiction-Projekts aus - und die machten zum Start durchaus Lust auf mehr.

Der Hauptgrund dafür ist, dass es «Wir sind jetzt» ziemlich gut gelingt, die Lebenswirklichkeit von Teenagern widerzuspiegeln. Im Zentrum der Handlung steht dabei die 17-jährige Laura, die von Lisa-Marie Koroll verkörpert wird. Sie ist mit Olli zusammen, mit dem sie augenscheinlich eine glückliche und lebendige Beziehung führt. Das Blatt wendet sich, als Ollis bester Freund Daniel ins Spiel kommt. Dieser ist schon seit langer Zeit Single, weswegen ihn Olli verkuppeln möchte. Bevor es ernst wird, bittet Olli seine Freundin Laura, Daniel zu küssen. "Damit er weiß, wie's geht", motiviert Olli.

Doch dieser wilde Gedanke stellt sich schnell als schlechte Idee heraus, zwischen dem Pärchen ist es danach irgendwie anders. Dafür fühlt sich Laura zunehmend zu Daniel hingezogen. Und als würde es damit nicht kompliziert genug, brennt es später auch noch bei Lauras Freundinnen.

Eine authentische Erzählung über Selbstfindung


Sexuelle Erfahrungen, die erste Freundin, Jugendsünden, Gras und viel zu alkoholreiche Partys: In den ersten Minuten von «Wir sind jetzt» begegnet einem so ziemlich alles, was man mit dem Klischee-Rebellen im Jugendalter verbindet. Ganz realistisch ist zwar nicht jede Situation, dafür sind aber die Dialoge authentisch geschrieben. Sie führen mitunter dazu, dass man sich beim Schauen der Serie selbst innerlich um einige Jahre zurückversetzt fühlt. «Wir sind jetzt» erzählt eine authentische Geschichte über Selbstfindung und das Erwachsenwerden.

Mit all dem erinnert die Serie nicht zuletzt auch an das Young Fiction-Projekt «Team 13», das RTL II im letzten Jahr ausstrahlte. Zwar bediente sich das Format einer gänzlich anderen Thematik, die Motive einer rebellischen Jugend kamen aber auch bei «Team 13» nicht zu kurz. «Wir sind jetzt» hält zudem über die gesamte erste Doppelfolge hinweg ein angenehmes Erzähltempo, Längen zeigen sich nicht. Besonders gut ist es den Autoren gelungen, die einzelnen Folgen durch ein offenes Ende spannend abzuschließen. So provozieren sie beim geneigten Zuschauer (mit TV Now-Account) durchaus Binge Watching.

Nicht vergessen sei, dass auch die jungen Schauspieler einen guten Job machen. Hier dürfte es sich bezahlt gemacht haben, dass die Darstellerinnen und Darsteller selbst noch relativ jung und damit nah am Alter der fiktiven Charaktere dran sind. Schließlich sieht «Wir sind jetzt» auch optisch nicht nur wie eine bessere Scripted Reality aus, sondern wird dem Titel „Serie“ durchaus gerecht. Kino-Regisseur Christian Klandt und Produzent Christian Popp, Geschäftsführer der verantwortenden Produktionsfirma „Producers at Work“, haben in diesem Fall also zweifelsfrei gute Arbeit geleistet.

Aber: Schauen die ganz jungen Menschen überhaupt noch fern?


Und trotzdem: Zum Verhängnis könnte der Serie die extrem spitze Zielgruppe werden, auf die sie ausgerichtet ist. «Wir sind jetzt» dürfte vor allem von jungen und tendenziell eher weiblichen Zuschauern zwischen 14 und 19 gefunden und gefeiert werden. Das heißt damit aber auch, dass die Verantwortlichen eine Zuschauergruppe zum Einschalten motivieren müssen, die sich immer seltener ins Fernsehen verirrt. Das dürfte RTL II durchaus bewusst sein, unter genau der gleichen Herausforderung litt vor einigen Monaten schon «Team 13», das unterm Strich nur wenige Menschen bei der TV-Ausstrahlung unterhielt.

Dennoch dürfte im Falle von «Wir sind jetzt» längst nicht nur die Quote im linearen TV entscheidend für den Sender sein. Neben den Zahlen bei TV Now werden sich die Verantwortlichen sicherlich auch die Interaktionen bei Instagram und Co anschauen. Dort können Nutzer dem Kanal @wirsindjetzt folgen, um so weiter an der Lebenswelt der fiktiven Charaktere teilzuhaben. Auf der Website von RTL II finden sich zudem zahlreiche Bonus-Clips, in denen die Schauspieler unter anderem erklären, wie sie den Dreh der Sexszenen empfunden haben. Das ist leicht zu durchschauen und lässt sich wohl unter der Kategorie „sex sells“ verbuchen. Andererseits nimmt die Serie in Sachen Crossmedialität somit durchaus eine Vorreiterstellung ein.

Für eine zweite Staffel von «Wir sind jetzt» wird das alles aber ohnehin nicht ausschlaggebend sein. Intern waren die Verantwortlichen von dem neuen Projekt offenbar einigermaßen begeistert, sodass RTL II schon jetzt eine zweite Staffel geordert hat.

«Wir sind jetzt» ist bei TV Now bereits jetzt komplett abrufbar. Im TV zeigt RTL II die Folgen drei und vier am kommenden Montag um 20.15 Uhr.
20.05.2019 22:20 Uhr  •  David Grzeschik Kurz-URL: qmde.de/109449