Letzte Amtszeit von «Veep»: Von einer genialen Polit-Satire, die Realität wurde

Bei «Veep – Die Vizepräsidentin» handelt es sich um eine der klügsten Comedyserien aller Zeiten. Weil die Serie politische Entwicklungen voraussagte, muss sie nun enden.

Facts zu «Veep»

  • Genre: Polit-Satire / Comedy
  • Schöpfer: Armando Iannucci
  • Vorlage: «The Thick of It» (BBC)
  • Darsteller: Joulia Louis-Dreyfus, Anna Chlumsky, Tony Hale, Reid Scott, Timothy Simons u.w.
  • Episodenzahl (final): 65 (7 Staffeln)
  • Vertrieb: Warner Bros. / HBO
  • Premiere: 22. April 2012 (HBO)
Immer wieder Blicken TV-Serien US-amerikanischen Ursprungs hinter die Kulissen des Politikgeschäfts im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Weil die aktuellen politischen Entwicklungen diese Möglichkeiten allerdings immer mehr begrenzen, werden Polit-Serien dieser Tage immer relevanter. Und trotzdem neigen sie sich ihrem Ende, wohl auch weil viele Zuschauer der Politik überdrüssig sind. Schließlich bestimmt sie schon große Teile des Alltags und Fernsehen sollte doch die Flucht daraus ermöglichen. Deswegen befindet sich auch «Veep – Die Vizepräsidentin» gerade in ihrer letzten „Amtszeit“. Am 12. Mai 2019 wird die HBO-Serie mit ihrer siebten Staffel enden. Dann wird eines der größten US-Comedy-Formate abtreten.

Warum ist «Veep» so besonders, wenn es doch so viele gute Formate über das US-Politikgeschäft bereits gab? Serienfans feierten etwa «The West Wing» (1999-2006), «Madame Secretary» (seit 2014) oder «House of Cards» (2013-2018). Der Mix aus Politik und Comedy kennzeichnet dennoch eine Ausnahme, besonders wenn es um nationale Politik geht. Seit dem Start der Serie im Jahr 2012 zeichnete die Polit-Satire von HBO erst die Funktionsweise des Büros der US-Vizepräsidentin nach, die später zur Präsidentin werden sollte und nun wieder als Präsidentschaftskandidatin antritt. «Veep» war dabei nie der absolute Zuschauerhit, aber die zeitweise unter Kritikern meistgefeierte Serie in den USA. Sieben Golden-Globe-Nominierungen und insgesamt siebzehn Emmy-Awards sprechen für sich.

Was «Veep» so gut macht


Seine Stärken und Charakteristika hat sich «Veep» über die Jahre behalten. Die Autoren beweisen ein großartiges Gespür für Dialoge, die Darsteller eines für perfektes Timing. Der Humor ist tiefschwarz und Hauptfigur Selina Meyer ein echtes Miststück. Zynisch, oberflächlich und grausam behandelt sie ihre ebenfalls vom erbarmungslosen Polit-Geschäft gezeichneten Mitarbeiter wie Dreck und schreckt dabei hinter den Kulissen vor keinem Kraftausdruck zurück, wahrt aber vor den Kameras das Image der Sauberfrau. Meyer hat keine Überzeugungen, steht eigentlich für komplette Rückgratlosigkeit und schmeißt sich auf jedes Thema, das politisch opportun erscheint, um sich ins Zentrum der Macht vorzuarbeiten. Wenn in den USA ein Amoklauf mal wieder Dutzende Menschen das Leben kostet, fragen sich Meyer und ihr inkompetentes Team: Wie hilft das der Kampagne? Ihre Prinzipienlosigkeit geht so weit, dass sie über mehrere Folgen der finalen Staffel auf die Antwort nach der möglichen Journalistenfrage sucht, warum sie denn eigentlich Präsidentin sein will.

Dank «Veep» avancierte die einst durch «Seinfeld» berühmt gewordene Julia Louis-Dreyfus über die Jahre zu einer der dekoriertesten Charakterschauspielerinnen im TV-Fach. Trottelig strauchelt sie im Format durch verschiedenste Fettnäpfchen, stellt politische Inhalte hinten an und versucht bloß die Ränkespiele im Weißen Haus zu perfektionieren. Doch Louis-Dreyfuß spielt die Vize-Präsidentin und das spätere Staatsoberhaupt der USA so charmant und mit einem derart großartigen Gespür für physische Comedy, dass jede Szene mit dieser abscheulichen Figur eine Freude ist. Die Schauspielerin allein gewann sechs Emmys für ihre «Veep»-Rolle.

Die Realität holte «Veep» ein


Doch mittlerweile funktioniert «Veep» auf ganz andere Weise als noch 2012. Damals wurde Barack Obama als US-Präsident gerade wiedergewählt. Das Format stellte eine schrille Parallelwelt zu den vor vorgehaltener Hand zugeraunten Absurditäten der US-Politik dar. Die Realität hat «Veep» mittlerweile eingeholt und «Veep» wurde über die Jahre unfreiwillig relevant – spätestens als Donald Trump das Oval Office übernahm. Die menschlich verkommene und rücksichtlos opportune Hauptfigur war plötzlich nicht mehr ein humoristisch überhöhter Charakter, sondern ein Spiegelbild des Status Quo. Einerseits werden Beobachter das HBO-Format für diese Voraussicht noch mehr bewundern, doch inhaltlich war es das schlimmste, was der Serie passieren konnte. Wie soll eine Polit-Satire noch brillieren, wenn sie kaum noch Satire ist, stattdessen die Wirklichkeit fast nacherzählt? Demnach ist das baldige Ende von «Veep» folgerichtig.

Auch deswegen installierte «Veep» kurz vor der Finalstaffel den einstigen Mitarbeiter im Weißen Haus Jonah Ryan (Timothy Simons) als noch überspitzteren Präsidentschaftskandidaten – noch abscheulicher, sexistischer, plumper und prahlerischer als Trump. Die Satire sollte zumindest wieder ein bisschen Einzug halten. Showrunner David Mandel, der diesen Job ab der fünften Staffel von Ideengeber Armando Iannucci übernahm, zeigt sich gegenüber der Presse und auf Twitter häufig frustriert bis zynisch über die tatsächlichen Entwicklungen in der US-Politik. Dort sagt er, er fühle sich als würde da in Washington eine weitere Show laufen, die bei «Veep» klaue oder er twittert „Hey Amerika, wir haben diesen Witz schon gerissen!“

«Veep» reagiert mit der Flucht nach vorne


Doch «Veep» kanalisiert diesen Frust in eine Finalstaffel, die Trump ähnlicher ist als je zuvor. Die Vorgabe für die finale Runde lautet, auf die Wurzel dessen zu stoßen, was in Amerika vor sich geht. Es geht nicht um Trump, sondern das, was er repräsentiert. „Wie konnte jemand wie Trump passieren?“, ist laut Mandel die zentrale Frage der siebten Staffel. Diese Flucht nach vorne führt dazu, dass sich «Veep» mehr denn je an tatsächlichen Ereignissen orientiert – mehr als es je vorhatte. Wenn der US-Präsident selbst die meisten Gags produziert, werden Autoren immer weniger zu Comedians und immer mehr zu Journalisten.

Wie schon «House of Cards» basiert auch «Veep» auf einem britischen Vorbild, nämlich «The Thick of It». Und wie die Netflix-Serie mit Kevin Spacey ist «Veep» gleichzeitig durch und durch amerikanisch. Auch deshalb fand die Serie in Deutschland nie so wirklich Anklang. Das sollte sich ändern, denn schon seit einigen Jahren wirken die politischen Entwicklungen in den USA wie Vorboten für Europa. Populismus und Diffamierungen, wie sie bei der HBO-Serie von Anfang an fester Bestandteil waren, halten zunehmend Einzug im europäischen Poilitikgeschäft und scheinen tatsächlich erfolgsversprechend zu sein. «Veep» wurde zum ernstzunehmenden Politik-Kommentar wider Willen. Für Europäer kann es nun Lehrstück sein, bevor die Sitten komplett verrohen.
23.04.2019 11:38 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/108793