Nichts verpassen: Machen Smartphones depressiv und süchtig?

Schlechter Schlaf, Depressionen und Handysucht: Auch in Deutschland vereinsamen Menschen, obwohl die sozialen Netzwerke voll mit emphatischen Fotos sind.

Über 15 Millionen Menschen in Deutschland nutzen das Bildernetzwerk Instagram, das eine Tochter von Facebook ist. Instagram vermittelt dem User die perfekte Welt: Es strahlen glückliche Menschen in die Kamera, Freunde fotografieren sich bei gemeinsamen Unternehmungen, schöne Landschaftsaufnahmen sind zu sehen und lustige Videos runden die Timeline ab. Doch hat der Inhalt des Social-Networks etwas mit der Wirklichkeit zu tun oder ist dies eine Utopie?

Es gibt sie tatsächlich, die Angst etwas verpassen zu können. Im Englischen heißt diese „FOMO“, also „Fear of Missing Out“ und bezeichnet das allgegenwärtige Benutzen der sozialen Dienste Facebook, Instagram und Co. Für die Psychologin Jean Twenge ist klar, dass die sozialen Dienste den Jugendlichen schaden. In ihrem Buch „Me, My Selfie and I: Was Jugendliche heute wirklich bewegt“, berichtete Twenge, die an der San Diego State University arbeitet, von den Problemen der jungen Leute.

Twenge ist sich sicher, dass die Zahlen für Depressionen und Selbstmorde, die seit einigen Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika massiv steigen, eine negative Auswirkung der Smartphones sind. Statistisch belegen lässt sich diese Behauptung mit stichhaltigen Fakten allerdings nicht. Auch in Deutschland besitzen fast alle Jugendlichen ein Smartphone und verweilen in den sozialen Diensten. Doch abseits von Facebook und Co. wird der Ton rauer: Bei Tumblr, Reddit, ask.fm und Jodel öffnen die jungen Menschen ihre Herzen. Oft ist von Einsamkeit die Rede. Eine Untersuchung vor einigen Jahren legte sogar dar, dass Menschen, die Netflix-Marathons veranstalten, einsamer sind und deshalb auch so viel am Stück konsumieren können.

In Deutschland erkranken jährlich über fünf Millionen Menschen zwischen 18 und 79 Jahren an Depressionen, dabei sind Frauen zwei bis drei Mal so häufig betroffen wie Männer. Die Auswirkungen verschlimmern die Stimmung: 84 Prozent ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück, fast die Hälfte trennt sich von seinem Partner und fast drei Viertel fühlen sich nicht mehr mit anderen Menschen verbunden. Für viele Menschen ist das Smartphone das einzige Instrument, um mit Freunden und Verwandten zu interagieren. Doch der Schein trügt, denn wer zu Hause sitzt, kann auch keine strahlenden Instagram-Bilder schießen.

Die Leuchtdiode hat die Glühbühne zwar abgelöst, aber ein neues Problem geschaffen. Das blaue Licht der LED führt dazu, dass das Schlafhormon Melantonin unterdrückt wird. In den vergangenen Jahren sind die Schlafprobleme in Deutschland rasant gestiegen, schuld daran sind nicht nur die sozialen Medien, sondern auch die Smartphones, die mit vielen LEDs ausgestattet sind. Inzwischen haben die Hersteller reagiert und bieten einen Modus an, der am Abend das blaue LED-Licht unterdrückt und das Bild gelblich verwandelt. Dennoch wäre es für die depressiven Menschen sich in einem Sportverein anzumelden, statt sich am Abend auf Facebook zu tummeln.

Die Mitgliedschaften in Vereinen sind stark rückläufig, auch wenn sich die einzelnen Sportarten mit kurzfristigen Zuwächsen auf die Schulter klopfen. Laut Deutschen Olympischen Sportbund sind in den vergangenen 20 Jahren fast zweieinhalb Million Menschen weniger als aktive Sportler gelistet. Zwar stieg die Mitgliedschaften von Fitnessstudios von 4,4 (2003) auf 10,6 Millionen (2017), aber eine soziale Interaktion findet dort kaum statt.



Den Smartphones kann man keinen Vorwurf machen, dass diese depressiv oder gar süchtig machen. Jeder Besitzer eines solchen Gerätes ist selbst in der Verantwortung, seine Medienzeit einzuteilen. Es ist aber durchaus sichtbar, dass sich die Aktivitäten verschieben. Deutsche Sportvereine suchen Mitglieder, während immer mehr Fitnessstudios eröffnen. Es ist eben ein bisschen wie im Fernsehen: Junge Menschen möchten ihre Inhalte anschauen respektive dann trainieren, wann es ihnen lieb ist.

Leiden Sie an Depressionen? Lassen Sie sich helfen: telefonsich: 116 123, über Ihren Hausarzt oder indem Sie in akuten Fällen eine Bereitschaftspraxis aufsuchen. Informationen bekommen Sie auch in vielen Kliniken.
10.04.2019 09:50 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/108525