Die glorreichen 6: Filme, Filme, Mjam Mjam Mjam (Teil V)

In unserer Reihe 'Die glorreichen 6' präsentieren wir filmische Leckerbissen über Kulinarik. Dieses Mal wird es genüsslich bitter. Mit «Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber».

Filmfacts «Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber»

  • Regie und Drehbuch: Peter Greenaway
  • Produktion: Pascale Dauman, Kees Kasander, Daniel Toscan du Plantier, Denis Wigman
  • Darsteller: Richard Bohringer, Michael Gambon, Helen Mirren, Alan Howard
  • Musik: Michael Nyman
  • Kamera: Sacha Vierny
  • Schnitt: John Wilson
  • Kostüme: Jean-Paul Gaultier
  • Veröffentlichungsjahr: 1989
  • Laufzeit: 119 Minuten
  • FSK: ab 18 Jahren
Essen und Kochen können in der Kunst wortwörtlich genommen werden. Sind es doch große Genüsse, die sich mit voller filmischer Poesie einfangen lassen. Sie können aber auch stellvertretend genutzt werden. In «Rataouille» steht das Streben danach, sich gastronomisch zu betätigen, stellvertretend für den Drang danach, sich künstlerisch selbst zu verwirklichen und etwaige Hindernisse hinter sich zu lassen. Auch dieser Eintrag in unsere kulinarische Filmtippstaffel nimmt lukullische Genüsse nicht für bare Münze. «Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber» ist ein sündiges, selbstbewusst-pervertiertes Arthouse-Meisterwerk, das mit seiner Ästhetik fasziniert und nebenher zum Entschlüsseln seiner Metaphorik einlädt.

Der 1989 erstveröffentlichte Geniestreich Peter Greenaways handelt vom nach außen hin gut situierten Verbrecher Albert Spica, der vor Gewalt kein Stück zurückscheut und Miteigentümer eines angesehenen französischen Restaurants ist. Dort dinniert er allabendlich mit seiner Bande und seiner Gattin Georgina. Albert Spica ist ein Blender, er gibt vor, von Haute Cuisine Ahnung zu haben, allerdings erkennt man, dass der grobschlächtige, vulgärsprachliche Kerl nicht weiß, wovon er redet. Er missbraucht seine Frau, die sich aber nicht traut, sich von ihm zu trennen, sich wohl aber in eine Affäre mit einem wortkargen, genießenden Stammgast flüchtet, die sie im Einverständnis mit dem Koch des Restaurants vor allem in der Küche vollzieht.


Regisseur und Autor Greenaway erzählt «Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber» kammerspielartig, in langen Einstellungen, die sich vornehmlich im und vor dem Restaurant abspielen. Das Theaterhafte des Films wird durch wiederholte, lange Einstellungsgrößen unterstrichen, die die komplette Kulisse eines Raums einfangen, konterkariert wird es durch nahtlose, fliegende Kostümwechsel, die so nur durch die Magie des Schnitts möglich sind: Wechseln die Figuren von Raum zu Raum, ändern sie sogleich auch ihre verschnörkelte, charakterstarke und von Jean-Paul Gaultier entworfene Kleidung. Die ist, genauso wie die Sets, farblich codiert, was dem Ganzen eine stilisierte, unwirkliche Stimmung gibt.

Was eine insgesamt derbe und grafisch dargestellte Geschichte mit einigen betörend schönen Einzelelementen ist, ist zugleich eine politische Parabel auf die Thatcher-Ära: Albert ist ein antiintellektueller Raffgeier (die damaligen Tories), der alles verschlingt, seinen Koch (die Künstler) klein hält, seine Frau (die allgemeine Bevölkerung) misshandelt und aktiv gegen einen belesenen Mann (das Bildungsbürgertum) vorgeht. Eine politische Schieflage, die sich seit 1989 in der westlichen Welt immer wieder wiederholen sollte – aber nie wieder auf diese kunstvolle Art kritisiert wurde.

«Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber» ist auf DVD erhältlich und via Rakuten TV, videociety und freenet Video abrufbar.
07.04.2019 04:54 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/108444