«After Life»: Ricky Gervais in Höchstform

Als trauernder, misanthropischer Midlife-Mann, der zaghaft den Weg zurück zu Optimismus und Freude findet, brilliert Großbritanniens Vorzeige-Comedian in dieser sechsteiligen Netflix-Serie.

Cast & Crew

Drehbuch, Regie und Idee: Ricky Gervais
Darsteller: Ricky Gervais, Tom Basden, Tony Way, Diane Morgan, Mandeep Dhillon, Ashley Jensen, David Bradley u.v.m.
Executive Producer: Ricky Gervais und Duncan Hayes
Seit dem langen Leiden und viel zu frühen Tod seiner Ehefrau kann Tony (Ricky Gervais) nicht mehr. Er war schon immer ein misanthropischer Typ, hatte weder viele Freunde noch nennenswerte berufliche Ambitionen: Das Glück seines Lebens war die letzten 25 Jahre die Liebe seiner Frau. Das ist jetzt weg.

Heute verbringt er die Abende Whiskey trinkend vor dem Laptop und sieht sich alte Videos von ihr an. Sein Redakteursjob bei einem Lokalblättchen, das alte Frauen als Unterlage für ihre Katzenklos benutzen, widert ihn abgrundtief an. Die Versuche seines Bruders, ihn aus der Trauer zurück ins zivile Leben zu holen, schlägt er angeekelt in den Wind. Tony ist die pure Depression und interpretiert seinen Hass auf die Welt und seine abgrundtiefe Trauer sogar zur Superkraft um: Rücksichtslos geht er nun allen auf den Sack, sagt, was er denkt, tut, was er will. Wenn das einmal besonders schiefgehen sollte, bleibt ihm immer noch der Weg in den Freitod. Was hat er denn noch zu verlieren?

Nur sehr langsam beginnen wir und Tony selbst im Lauf dieser sechsteiligen Miniserie, die dramaturgisch eher wie ein dreistündiger Film funktioniert, zu verstehen, dass es natürlich nicht so ist, dass der Suizid trotz der bodenlosen Widerlichkeit seines derzeitigen Lebensabschnitts für ihn keine tatsächliche Option ist. Zu viel hält ihn auf der Welt: die bodenständig liebevollen Kollegen, seine knuffige Hündin, sein dement-grantiger, aber urkomischer Vater, und ganz am Schluss auch vielleicht ein romantischer Neuanfang.

Den Weg zurück ins Leben weisen ihm sukzessive die meisten Nebenfiguren dieses variantenreich geschriebenen und mit wachem Auge für die größten Talente all der britischen Panel-Shows besetzten Ensembles: Eine optimistische Witwe, die nach fast einem halben Jahrhundert Ehe mit Frohsinn in ihre Zukunft blicken kann. Ein abgewirtschafteter Junkie, der seinem Leben tatsächlich ein Ende setzen möchte, wenn er nur die Mittel dazu hätte. Und Tonys geliebter Neffe, der ihn wieder einen Sinn im Leben sehen lässt.

Diese Offenbarung und Heldenreise ereignet sich dabei angenehm langsam und graduell. Zugunsten einer aufrichtig-authentischen Erzählung und einer tiefgehenden Charakterentwicklung wird bewusst auf einen einzelnen Heureka-Moment verzichtet. Und gleichzeitig macht «After Life» aus seiner nicht nur lebensbejahenden, sondern schier lebensumarmenden Grundhaltung keine pathetisch-unrealistische Farce. Auch der Misanthrop darf eine Weile recht haben, denn das Leben ist mitunter auch ziemlich scheiße – und mit dieser inneren Widersprüchlichkeit spielt Ricky Gervais in dieser Serie wie ein Virtuose.

«After Life» ist bei Netflix abrufbar.
14.03.2019 11:20 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/107891