Ausreichend Bewerbungen zum „Head of Department“, aber niemanden, der den Dolly schiebt

Martin Blankemeyer bietet in München in seiner „Filmwerkstatt“ Fortbildungen für Filmschaffende an. Der Produzent und Regisseur weiß, wo der Schuh am Filmset drückt. Es fehlen Praktikanten, die vom Mindestlohngesetz vertrieben wurden und es fehlen Leute für einfache Arbeiten. Die Politik habe hier ein funktionierendes Modell weggespült. Ein Weg wie er ihn einst ging, ist somit fast unmöglich geworden.

Es kommt zu Engpässen, weil viele talentierte Leute die Branche verlassen haben
Martin Blankemeyer, Vorstand und Mitgründer der „Münchner Filmwerkstatt e.V.“
Über zehn fiktionale Projekte hat Netflix aus Deutschland in der Pipeline, fast zehn Amazon Originals aus der Bundesrepublik sind bestellt. Sky (fünf Projekte) und die neuen Streaming-Angebote von RTL und ProSiebenSat.1 schlafen nicht, wollen mit exklusiven Serienstoffen ebenfalls punkten. Die Auftragsbücher der Filmproduzenten sind voll. Grundsätzlich sei das ein Segen, sagt Martin Blankemeyer. Der Filmregisseur und -produzent ist nicht nur Vorstand der Münchner Filmwerkstatt, sondern auch Mitglied im Bundesverband Regie. Er kennt die Sorgen derer, die die Aufträge am Set ausführen müssen. „Grundsätzlich sorgen volle Auftragsbücher für einen guten Wettbewerb. Das führt dann auch zu ordentlichen Gagen. Denn wer als Produktionsfirma entscheidende Stellen nicht besetzt, hat ganz schnell ein gewichtiges Problem.“ Dass Stellen aber leer bleiben, kommt immer häufiger vor.

So erzählt man sich in der Branche gerne die Geschichte einer ARD-Vorabendproduktion, die über viele Wochen komplett ohne Set-Aufnahmeleiter arbeiten musste. Die Branche hat durchaus Probleme, die Masse an Stoffen zu produzieren. Der Output, er lässt sich eben nicht von jetzt auf gleich maximieren. „Es kommt zu Engpässen, weil viele talentierte Leute die Branche verlassen haben“, berichtet Blankemeyer. Saisonarbeit, immer wieder Phasen, in denen Hartz IV bezogen werden muss und die Anforderungen am Set, hätten einige dazu verleitet, sich andere Jobs zu suchen. „Genau über das Thema wurde lange debattiert und auch etwas bewegt. Ob das letztlich hilft, wird man erst in der nächsten Zeit sehen“, sagt Blankemeyer.

Er ist optimistisch: Wenn es Standorte wie Südtirol oder Luxemburg schaffen binnen recht kurzer Zeit zu wachsen, dann müsste das Deutschland auch wieder gelingen. Zumal die Lust der jungen Menschen „irgendwas mit Medien“ zu machen, nachwievor vorhanden sei. Aber die Branche hat von der Politik geschaffene Probleme mit der Nachwuchsfindung. Wie auch früher gibt es für junge und interessierte Menschen zwei Wege, den Weg zum Film zu finden. Der eine führt über eine der sieben staatlichen Hochschulen. Sie würden alle wichtigen Dinge vermitteln, die man als Nachwuchstalent erlernen muss und obendrein ein tolles Netzwerk bieten. Aber nicht für jeden Berufszweig sei eine solche Hochschule zwingend das Richtige.

Blankemeyer selbst etwa ging den zweiten Weg. Er startete seine Karriere am Set zunächst als Kabelhilfe beim ZDF in Mainz. Irgendwann wurde ein Innenrequisiteur gesucht – „und von allen, die da rumstanden, war ich wohl der, dem man diesen Job am ehesten zugetraut hat.“ Über viele Jahre hinweg zog sich die Produktionslandschaft ihren Nachwuchs über Praktikanten oder über Aushilfen. Das Gesetz hat mittlerweile einen Riegel vorgeschoben. „Mit dem Mindestlohn wurde da ordentlich Tabula Rasa gemacht“, sagt Blankemeyer. „Ganze Horden von Praktikanten sind dadurch weggebrochen. Es wurde ein großteils funktionierendes Modell weggespült und eine Alternative ist nicht in Sicht.“ Wo früher fünf Praktikanten am Set unterwegs waren, ist nun vielleicht noch einer zu finden. Wenn überhaupt.

Ganze Horden von Praktikanten sind dadurch weggebrochen. Es wurde ein großteils funktionierendes Modell weggespült und eine Alternative ist nicht in Sicht.
Warum der Mindestlohn der Filmbranche zu schaffen macht
Der Mindestlohn ist für solche Aufgaben nicht bezahlbar. „Das ginge nur, wenn die Filmförderanstalten plötzlich viel mehr Geld hätten. Und die Sender deutlich mehr Budget. Damit die Sender mehr Budget haben, müsste zum Beispiel der Rundfunkbeitrag steigen“, sagt Blankemeyer. „Der Weg, über solche Praktika in die Filmbranche reinzuschnuppern, hat meistens funktioniert“, erklärt der Filmmacher. Jetzt gäbe es ausreichend Auswahl bei Stellenausschreibungen zum „Head of Department“, aber „niemanden mehr, der eine Tonangel hält oder den Dolly schiebt“, beklagt er.

Mehr im öffentlichen Fokus stehen derweil andere Debatten. Mehr Frauen sollen – etwa bei Krimis – Regie führen. Eine nachvollziehbare Diskussion, sagt der 1971 in der Pfalz geborene Blankemeyer. „Erkennbar ist, dass sich Genies – auf welchem Gebiet auch immer – unabhängig vom Geschlecht durchsetzen. Das ist auch weiterhin so. Wir sprechen also bei dieser Debatte um das Brot-und-Butter-Geschäft. Da gab es lange genug mittelmäßige Männer, die Filme gemacht haben. Es ist in Ordnung, wenn man dagegen steuert und wenn es künftig auch genug mittelmäßige Frauen gibt, die da Filme machen.“ Im gleichen Atemzug müsste dann aber auch eine Männer-Quote in den Senderredaktionen eingeführt werden. De facto sind dort zahlreiche Stellen nämlich aktuell mit Frauen besetzt – die früher eben gerne mit Männern zusammengearbeitet haben.

Blankemeyer ist da eine Ausnahme. Alle drei Kinofilme, die er bisher produzierte («Der Rote Punkt», «TOTEM» und «Voyages» mit den Regisseurinnen Marie Miyayama, Jessica Krummacher sowie Johanna Pauline Maier), entstanden unter weiblicher Regie. Mitte Februar wurde Blankemeyer übrigens von der Stadt München mit der Medaille „München leuchtet“ geehrt. „In Anerkennung seines ehrenamtlichen Engagement und seiner damit verbundenen Verdienste um die Kulturstadt München“, hieß es. Blankemeyer betreibt in München seit 1995 den gemeinnützigen Verein „Münchner Filmwerkstatt“, nach eigenen Angaben das Zentrum der Independent-Filmszene und Förderer von Filmgeist und Kultur. Über den Verein bietet der Regisseur und Produzent zwei- bis viertägige Workshops (oft am Wochenende) zur Erweiterung der Fachkenntnisse an. Willkommen ist quasi jeder, „was letztlich zu sehr heterogenen Gruppen“ führt, wie Blankemeyer berichtet. Die Themen seien breit gefächert. „Wir bieten Workshops zu rechtlichen Fragen genauso an wie zum Thema Stoffentwicklung oder technischen Themen.“ Die Nachfrage sei groß. Das zeige letztlich auch den Willen der in der Branche Arbeitenden, sich immer wieder zu entwickeln, zu fordern und zu fördern.
07.03.2019 12:26 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/107716