Streitpunkt Bundesliga-Produktion: Über Dynamik, Führungskameras und das Ärgernis VAR

Es gibt 80 Millionen Bundestrainer und bestimmt eine Million Bildregisseure bei Bundesliga-Übertragungen. Seit 2006 produziert die DFL-Tochter Sportcast die Bilder aus den Stadien zentral; und muss sich dabei auch Kritik aussetzen. Redaktionsleiter Günter Frantzen erklärt grundlegende Prinzipen der Bundesliga-Übertragung. Wir blicken aber auch nach Italien, wo die Serie A gute Arbeit in Sachen Transparenz beim Video-Schiedsrichter leistet.

Die Fußball-Bundesliga; weiterhin die beliebteste Sport-Liga in Deutschland. Wochenende für Wochenende schauen kumuliert über fünf Millionen Menschen die Live-Spiele – bei TV-Partner Sky und bei Eurosport. Die Fernsehübertragungen aus dem Fußballoberhaus sorgen dabei für reichlich Gesprächsstoff. Debattiert wird über Schiedsrichterentscheidungen, Kommentatoren-Leistungen und immer wieder auch über den Bildschnitt. Jüngst ärgerte sich auch Fernseh-Reporter Marco Hagemann (RTL, DAZN) über die gesendeten Bilder. Bei Twitter postete er: „Immer wieder diese nahen Einstellungen, wenn ein Spieler den Ball durchs Mittelfeld treibt, sie machen mich wahnsinnig. Man weiß als TV-Zuschauer nie, wie weit der Spieler noch vom Tor entfernt ist geschweige denn, ob er Optionen für Abspiele hat.“

Günter Frantzen ist für die redaktionelle Bildgestaltung des sogenannten Basissignals verantwortlich und koordiniert alle Regisseure, die bei der TV-Produktionen im Rahmen der Bundesliga und 2. Bundesliga eingesetzt werden. Seit 2007 arbeitet er als Redaktionsleiter bei der 100-prozentigen Tochterfirma der DFL "Deutsche Fußball Liga", der Sportcast GmbH. Sportcast produziert das Basissignal von allen 617 Spielen der Bundesliga, 2. Bundesliga, Relegation und Supercup für alle nationalen und internationalen Lizenznehmer. Und Sportcast hat dabei die ganze Bandbreite des TV-Publikums im Blick, versichert Frantzen im Gespräch mit dem Magazin Quotenmeter.de. „Wir produzieren die TV-Bilder für Zuschauer zwischen acht und 88 Jahren“, erklärt er. Dabei gelte es möglichst die Balance zwischen den sich gewandelten Sehbedürfnissen zu halten. Die Erwartungshaltung eines jungen Fans sei eben eine andere als die eines älteren Zuschauers.

Alle im Rahmen der TV-Produktion der Bundesliga und 2. Bundesliga von Sportcast eingesetzten Regisseure erstellen das Basissignal anhand eines Regieleitfadens. Eine Leitlinie lautet: Läuft ein Spieler mit dem Ball in Richtung des 16-Meter-Raums, so soll zwingend die Perspektive der Führungskamera gezeigt werden, um den Zuschauern eine bestmögliche Übersicht zu gewähren. Dass das nicht immer gelinge, sei der Live-Produktion geschuldet, weiß auch Frantzen. „Solche Fehler sind dann immer Teil unserer Nachbesprechung“, sagt er. Genauso gewollt wie der Umschnitt auf Kamera eins bei Strafraumszenen sei aber generell auch die Einbindung der „flachen Kameras“, die bei Bundesligaspielen direkt am Spielfeldrand postiert sind. Sie fangen Nahaufnahmen von Spielern im Sprint oder im Kopfballduell ein. „Diese Bilder vermitteln Nähe und Dynamik“, erklärt Frantzen.

Doch genau diese Schnitte sind eben nicht jedermanns Sache. Ebenfalls bei Twitter zog Marco Hagemann den Vergleich mit der englischen Premier League, die er regelmäßig für den Streaming-Dienst DAZN begleitet. Dort würde man so etwas nicht sehen, sagte er. Auch Sportcast betreibt eine intensive Analyse der TV-Produktion im europäischen Ausland. Und in der Tat verfolgt die Premier League eine andere Philosophie. In der Bundesliga gibt es pro Spiel im Schnitt exakt 684 Schnitte, ähnlich hoch sei der Wert in der spanischen Primera Division. England käme derweil mit etwa 500 Schnitten pro Spiel aus, berichtet der Sportcast-Redaktionsleiter. Das Bundesliga-Basissignal durchläuft seit zehn Jahren einen aufwendigen Analysecheck bezüglich Qualität-Standards, Zuschauerpräferenzen und Innovationsmöglichkeiten.

Welcher Wert für den deutschen Markt der ideale ist, wird seit mehreren Jahren zusammen mit dem Institut für Kommunikation und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln evaluiert. Probanden wurden Fußballspiele mit rund 500, 700 und sogar 900 Schnitten gezeigt. Die größte Zustimmung fanden Übertragungen mit 700 Schnitten, berichtet Frantzen.

Glaubt man Sportcast, ist das Bundesliga-Basissignal auch im Vergleich mit anderen Ligen am hochwertigsten produziert. Die konzeptionelle Quantität und Qualität liege dabei im Fokus. Die Anzahl an Kameras bewegt sich auf einem hohen Niveau, ist jedoch nicht als Alleinstellungsmerkmal im internationalen Vergleich zu werten. „Wir produzieren jedes Spiel der Bundesliga mit mindestens 19 Kameras, bei Topspielen sind es 21. Bei ausgewählten Topspielen kommen noch eine Drohne und die an Drahtseilen über dem Spielfeld fliegende Flycam hinzu“, sagt Frantzen. Zwar sei es richtig, dass in Spanien oder England bei den absoluten Kracher-Partien ein noch größerer technischer Aufwand betrieben werde, dafür gäbe es in Spanien auch etliche Spiele kleinerer Vereine, bei denen nur acht oder zehn Kameras zum Einsatz kommen. „Die Tatsache, dass bei Weltmeisterschaften ausschließlich Regisseure und Bildmischer aus England, Deutschland und Frankreich zum Einsatz kommen, spricht auch für die anerkannte Qualität der deutschen Übertragungen“, sagt Frantzen.

Ärgernis VAR


Wann und wo geschnitten wird, ist nur ein Teil der aktuellen Diskussion. Fast noch mehr wird über den neu eingeführten Video-Assistenten der Schiedsrichter gesprochen – und über seine bildliche Darstellung im TV-Bild. Auch hier hebt sich das Konzept der DFL deutlich von anderen Ländern ab. Greift der Video-Assistent ein, sieht der Zuschauer in aller Regel einen Splitscreen. Im großen Bild gibt es die Reaktionen von Spielern, Trainern oder Wiederholungen zu sehen. Zwei kleinere Fenster zeigen zum einen den Schiedsrichter, zum einen den so genannten „Kölner Keller“, einen dunklen Raum mit vielen leuchtenden Bildschirmen. Während der Fußball-WM 2018 oder etwa in der italienischen Serie A blendet die Bildregie aber genau die Szenen ein, die auch der Schiedsrichter sieht. Nicht wenige fordern dieses Vorgehen auch für Deutschland. Hier gibt sich Sportcast plötzlich aber sehr zugeknöpft. Warum maximale Transparenz hierzulande nicht möglich ist, will man nicht beantworten und zum Thema VAR sowieso lieber gar nichts sagen. Es sei Hoheitsgebiet von DFB und DFL.




Fakt ist: Während die Zuschauer oftmals im Dunklen tappen, schaffen es ausländische Ligen für mehr Klarheit zu sorgen. Bei VAR-Entscheidungen sieht der Zuschauer in der Bundesliga via Splitscreen drei Signale. Im großen Bild meist wartende, ratlose und durchschnaufende Spieler. Im oberen kleinen Bild wahlweise wartende Trainer oder den Schiedsrichter beim Anschauen von TV-Bildern. Im unteren kleinen Rand ist der Kölner Raum eingeblendet, in dem der Video-Assistent arbeitet. Zu sehen darauf ist immer das gleiche: Irgendwelche leuchtenden Bildschirme. Personen, Arbeitsschritte, Spielbilder – all das ist nicht zu erkennen. Italien macht es besser: Wie etwa beim vergangenen Samstagabendspiel zu sehen war (siehe Tweet), liefert die Liga im großen Bildfenster den Zuschauern genau die Szenen, die sich der Schiedsrichter gerade anschaut. In einem kleinen Fenster ist zudem der Schiedsrichter selbst zu sehen. Warum es in Deutschland nicht möglich ist, dieses Konzept – während der FIFA WM 2018 wurde ähnlich gehandelt – auch für die Bundesliga zu übernehmen? Da herrschte Schweigen im Walde.
04.02.2019 10:28 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/106978