Popcorn und Rollenwechsel – Die Awards

Hallo und herzlich willkommen zu den vollkommen unregelmäßigen Popcorn-und-Rollenwechsel-Awards! Bei dieser völlig irrelevanten und depperten Preisverleihung würdigen wir dieses Mal ein paar besondere Leistungen des Filmjahres 2018. Wuhu!

Die größte Enttäuschung an den deutschen Kinokassen


Beginnen wir unsere überhaupt nicht glamouröse Awardshow direkt mit einer niederschmetternden Würdigung. Nach massivem Hype seitens Kinobetreiber und Produzenten auf der Münchener Filmwoche, einer sehr euphorischen Ankündigung des Verbandes der Filmverleiher und überaus optimistischen Prognosen jener, die den Film weit im Voraus gesehen haben, war ich mir sicher: «Das schönste Mädchen der Welt» wird einer der größten deutschen Kinohits des Jahres. Und noch vor Start hat es einer der Filmsongs in die Singlecharts geschafft, während die Filmkritiken der musikalischen Jugendkomödie einen weiteren Schub gegeben haben. Beste Voraussetzungen? Ich finde schon.

Und trotzdem machte der schönste «Fack Ju Göhte»-Subtweet der Welt eine gewaltige Bauchlandung. Jedenfalls gemessen an den Voraberwartungen und den vollauf redlichen Promobemühungen des Verleihs. Am Ende blieben nur 497.959 verkaufte Eintrittskarten. Sauerei.

Die packendste Leinwandchemie


Auch dieser Preis geht nach Deutschland, und schon wieder wird eine Produktion gewürdigt, die nicht einmal einen Bruchteil des Erfolges genossen hat, den ich ihr gegönnt habe: Hans Weingartners Road-Trip-Dramödie «303» zeigt eine Studentin und einen Studenten, die zur aussterbenden Art jener gehören, die die freundlich-gepflegte Diskussionskultur noch nicht verlernt haben. Sie unternehmen ungeplant einen gemeinsamen Europatrip und sprechen über Kapitalismus, Biologie-Halbwissen, ihre Liebesvergangenheit, Familienangelegenheiten sowie Nichtigkeiten. Mala Emde und Anton Spieker sind atemberaubend gut in ihren Rollen und das Miteinander ist so ungezwungen-natürlich wie in keinem anderen Film des Kalenderjahres. Das könnte ich mir stundenlang anschauen.

Der geilste Startplan-Move des Jahres, der sich auch entsprechend ausgezahlt hat


Ursprünglich hat Sony «Hotel Transsilvanien 3 - Ein Monster Urlaub» für den 19. Juli dieses Jahres angekündigt, also für den ersten Donnerstag nach Ende der Fußball-Weltmeisterschaft. Damit wäre die Animationskomödie gemeinsam mit «Mamma Mia! Here We Go Again» angelaufen. Doch dann ergriff das Studio die Initiative und zog «Hotel Transsilvanien 3 - Ein Monster Urlaub» drei Tage nach vorne, so dass der monströse Trickspaß als erster großer Film nach der WM anläuft sowie als erster nennenswerter Familienfilm seit mehreren Wochen.

Eine geniale Aktion, die auch prompt belohnt wurde: Holten die Vorgänger jeweils rund 1,2 und 1,6 Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser, brachte es «Hotel Transsilvanien 3 - Ein Monster Urlaub» auf stattliche 2,5 Millionen Trickfans. Das bedeutet (aktuell) Platz vier der Jahrescharts. Gratulation!

Das lästigste Product Placement


Die Actionkomödie «Hot Dog» mit Matthias Schweighöfer und Til Schweiger ist rappelvoll mit Product Placement, das auch noch ganz ungelenk sämtliche Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auffällig, ablenkend, anstrengend.

Das inoffizielle Leitmotiv des Filmjahres


Was haben (unter anderem) «Deadpool 2», «A Beautiful Day», «Maria Magdalena», «Christopher Robin», «In the Middle of the River», «The Shape of Water», «Blue My Mind», «[Under the Silver Lake» und «Avengers | Infinity War» gemeinsam? Sie haben symbolisch aufgeladene Szenen, die am oder sogar unter Wasser spielen. Da haben aber viele Filmschaffende gleich gedacht …

Die Fortsetzung, die am stärksten unter der Sequel-Krankheit leidet


Schlechte Fortsetzungen aus einer früheren Filmära, als "Sequel" noch ein Schimpfwort war und nicht etwa die akkurate, wertfreie Bezeichnung zahlreicher ebenso von der Kritik gelobter wie erfolgreicher Filme, leiden unter diversen Problemen: Sämtliche Charakterentwicklung des Vorgängers wird zurückgeschraubt, um "neue" Konflikte zu ermöglichen. Die "neuen" Konflikte sind allerdings nur schlecht kaschierte Abwandlungen dessen, worum es im ersten Teil ging. Während der thematisch wie dramaturgisch clever ausgetüftelt war, ist die Fortsetzung ein fahriger Mischmasch aus neuen, nicht zu Ende gedachten Ideen, und den besagten, kopierten Fragmenten des Originals. «Die Unglaublichen 2» ist genau das. Und wie wird das entlohnt? Mit mehr als 1,2 Milliarden Dollar Einspiel, die diese herzlose Pixar-Fortsetzung zum zweiterfolgreichsten Animationsfilm der bisherigen Kinogeschichte macht. Seufz.

Die beste Szene in einem schlechten Film


Die Schnitzeljagd durch das Overlook-Hotel aus «Shining» in Steven Spielbergs hohlem Popkultur-Osterei «Ready Player One», das sich einzig und allein darauf verlässt, dass man sich den Film anschaut und dauernd denkt: Oh, hey, das kenne ich! Doch die «Shining»-Hommage ist mit stilsicherer Hand und verblüffender visueller Nähe zur Vorlage umgesetzt und ebenso spannend wie spaßig.

Der womöglich größte Beweis dafür, dass es einfacher ist, zu jammern, als wirklich ins Kino zu gehen


Wenn mir eine Klage über das Kinoprogramm auffällig oft begegnet, so ist es folgende: "Wieso gibt es nur große, laute, dumme, unblutige Filme für ewige Teenager, und keine intelligenten, kernigen Filme für ein älteres Publikum, die dennoch Spaß machen und ein mittelgroßes Budget haben?" Okay, okay, ich habe aus zahlreichen Aussagen mit ähnlicher Aussage nun einen etwas sperrigen Satz konstruiert – aber meine These bleibt. Ich bekomme sehr oft zu hören, es gäbe ja nur noch massentaugliches Popcornkino voller Digitaleffekte mit einer FSK-Freigabe ab zwölf Jahren und alternativ ein paar Schocker und Arthouse-Streifen. Der Mid-Budget-Film mit Blut, Hirn und Spaß sei ausgestorben.

Abgesehen davon, dass solche Aussagen stets künstliche Superlative sind, steckt durchaus ein Körnchen Wahrheit in ihnen. Das Problem ist: Wann immer sich ein paar Filmschaffende aufraffen und mit viel Mühe und Not eine derartige Produktion an den heutigen Hürden des Kinomarktes vorbei schleppen und auf die Leinwand bringen … Tja. Dann schaut kaum wer hin! «Game Night», eine clever konstruierte Komödie mit bösen Gags und bestens aufgelegtem Ensemble? Nur 339.184 Besucherinnen und Besucher. Spike Lees stinkwütender, intelligenter, fies-humoriger «BlacKkKlansman»? Nur 304.952 Interessenten in den hiesigen Lichtspielhäusern. Das stille, dennoch spannende Neil-Armstrong-Biopic «Aufbruch zum Mond»? Keine 225.000 Kinotickets ist er losgeworden, dieser bildgewaltige Film.

«Abgeschnitten», der dreckig-gewitzte, harsche Psychothriller aus Deutschland mit Fahri Yardım, Lars Eidinger und Jasna Fritzi Bauer, basierend auf einem Sebastian-Fitzek-Thriller? 189.843 Filmfans haben ihn gesehen. «I, Tonya», ein rauer, lustiger, smarter Film über die berühmt-berüchtigte Eiskunstläuferin Tonya Harding, der sogar Oscar-Buzz im Rücken hatte? Nur 108.786 verkaufte Eintrittskarten. «Bad Times at the El Royal», die tarantinoeske, minutiös konstruierte Thrillerkomödie mit Jeff Bridges, Dakota Johnson, Jon Hamm, Chris Hemsworth, viel Spaß, toller Musik, galanter Ausstattung, Blut und politischem Subtext? Die hatte mit der Marke von 80.000 verkauften Karten zu kämpfen. Aber, klar, Leute, heult nur rum, wenn die Studios lieber 200 Millionen Dollar in ein Superheldenspektakel stecken statt in zehn kantig-kluge, mittelgroße Unterhaltungsfilme für ein älteres Publikum.

Die beste Komödie, die viel zu wenig Menschen als Komödie anerkennen


Lars von Triers brillantes Serienkillerepos «The House That Jack Built», natürlich.

Bestes spezifisches Genre, das 2018 gut bedient wurde und dennoch mehr Beachtung verdient


2018 war ein Glanzjahr für blutiges Kino mit Musik und Tanz. Das «Suspiria»-Remake hat eine abartig makaber-schöne Tanzszene, Gaspar Noés «Climax» ist ein hypnotischer LSD-Sangria-Trip in den seelischen Abgrund und das weihnachtliche High-School-Zombie-Musical «Anna und die Apokalypse» wird bitte, bitte, bitte zum Festtagsklassiker.
17.12.2018 14:09 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105950