Die «akte»: Läuft und läuft und läuft - nicht mehr

Zwei Jahre nach dem Abschied von Ulrich Meyer heißt es wieder Goodbye. Am Dienstagabend sendet META Productions das Traditionsmagazin letztmals. 2019 steht ein Umzug bevor.

"Es ist ein ungeheures Glück für einen Journalisten, Moderator und Produzenten, in intensivem Teamwork ein Langzeitformat entwickelt zu haben, das läuft und läuft und läuft - und das sich noch dazu der so oft und so dankbar geäußerten Wertschätzung des Publikums erfreut“

Sie läuft und läuft und läuft. Erstmals lief sie am 4. Januar 1995 – die Rede ist von der Sat.1-Traditionssendung «akte». Einst ein lautes und investigatives Magazin gewesen, gesehen von Millionen Menschen. Die «akte» war es, die früher mal den Koks-Skandal im Bundestag aufdeckte und damit für viel Wirbel sorgte. Es gab ein Hausverbot in allen Liegenschaften des Bundestags, das die Redaktion letztlich aber vor Gericht abschmettern konnte. Es sind Erinnerungen zurück an die guten Tage des Magazins. Diese sind – zweifelsfrei – vorbei. Am Dienstagabend weht ein Hauch von Abschied durch das Programm von Sat.1. In den zurückliegenden zwei Jahren führte Journalist Claus Strunz durch die Sendung. Er wurde Nachfolger von Ulrich Meyer.

Und er schaffte es durchaus, der Sendung ein etwas anderes Profil zu geben. Wenige Monate nach seinem Antritt schrieb etwa die WELT, dass Strunz die großen Themen, die die Gesellschaft bewegen, in die Sendung holte. Die Zeitung sprach von einer Politisierung, ließ aber auch nicht unerwähnt, dass Strunz immer wieder auch auf Ablehnung stößt. Seine Kommentare seien fast immer kurz, auf den Punkt und nie kompliziert. Strunz sei ein Mann mit Agenda, als Meinungsmacher ein Profi – und auch deshalb muss er sich immer wieder dem Vorwurf gefallen lassen, populistisch zu sein. Strunz selbst sagte vor gut einem Jahr, der „meinungslose Journalismus“ habe sein Ende erreicht.

Besondere Aufmerksamkeit erntete Strunz im Vorjahr ausgerechnet abseits der «akte» - vor der Bundestagswahl bei einem „TV-Duell der kleinen Parteien“. Er bezeichnete FDP-Chef Christian Lindner beispielsweise als „Poster-Boy“. „Wenn (...) ein Politiker einen Wahlkampf sehr stark personifiziert und Plakate mit Modelfotos aufhängen lässt, dann muss er damit rechnen, dass auch sehr persönliche Fragen gestellt werden. Außerdem hatte er ausführlich die Möglichkeit auch über Inhalte zu reden“, erklärte Strunz das Vorgehen kurz darauf im Interview mit Quotenmeter.de. Deutlich zahmer agierte Strunz dann als ProSiebenSat,1-Vertreter beim großen TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz.

All diese Einsätze und die vielen Veränderungen färbten jedoch kaum auf die «akte» ab. Am Sat.1-Dienstagabend, der mit Filmen oder Serien im Vorfeld allgemein an Zugkraft verloren hatte, blieb das Magazin blass. Geht man davon aus, dass die «akte» ein Quoten-Erfolg ist, sobald sie achteinhalb Prozent Marktanteil geholt hat, so gelang dies bis dato in der Strunz-Ära 15 Mal. Alleine im letzten Jahr mit Ulrich Meyer holten mehr Sendungen über achteinhalb Prozent als in der Strunz-Ära. Die erfolgreichsten Sendungen liefen zuletzt übrigens stets nach «Promi Big Brother» - hier stiegen die Quoten dann auch mal auf mehr als 16 Prozent. Allerdings verließ die «akte» an diesen Tagen ihr gewohntes Umfeld; lief oftmals erst gegen Mitternacht.

Der Fall in die Bedeutungslosigkeit


Die großen Probleme der «akte» haben sich schon länger gezeigt. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen das Magazin an die drei Millionen Zuschauer erreichte. Noch vor zehn Jahren war dies möglich – übrigens auch an Abenden, an denen Sat.1 im Vorfeld keinen Straßenfeger sendete. Kein Straßenfeger – das waren damals aber dennoch Film-Reichweiten von rund vier Millionen. Auch hier haben sich die Werte inzwischen meist halbiert. Für die «akte» bedeutete das zuletzt: In aller Regel weniger als eine Million Zuschauer, teils sogar nur 600.000. Geht man davon aus, dass der quotentechnische Angstschweiß auf die Stirn der Verantwortlichen dann tritt, wenn Sendungen bei weniger als fünf Prozent lagen, dann geschah dies in den zurückliegenden zwei Jahren 24 Mal. Ende Oktober fielen die Werte sogar auf weniger als drei Prozent – also in Bereiche, die man sonst nur kannte, wenn parallel ein Fußball-WM-Spiel mit deutscher Beteiligung stattfand.

Mit der schwindenden Resonanz gelang es dem Magazin natürlich auch immer seltener für echte Schlagzeilen zu sorgen. Im Oktober passierte das noch einmal, als eine Autobande aus Wuppertal Leute mit „üblicher Masche“ abzockte und schließlich auch «akte»-Mitarbeiter körperlich angriff. Strunz‘ Versuche Themen wie Integrationsschwierigkeiten und Missstände an Schulen auf die Agenda zu heben verpufften oft. Im Herbst dann verlor Sat.1 das Vertrauen – es war plötzlich nicht mehr klar, dass die einst von Ulrich Meyer und dessen Firma META erfundene «akte» „läuft und läuft und läuft“.

Im Zuge der Überlegungen wie Sat.1 und letztlich auch die komplette Sendergruppe ihr Info-Profil wieder schärfen kann, wurde entschieden, die Traditionsmarke ins eigene Haus zu holen. Das Magazin wird umziehen. Von Berlin nach Unterföhring und künftig direkt inhouse produziert. Die „neue «akte»“ wird aber nicht vor Mitte 2019 starten können. So lange hat der neue Redaktionsleiter Heiko Knauthe (zuletzt Executive Producer bei Burda Medien) Zeit, nicht nur eine schlagfertige Crew, sondern auch ein gutes Konzept für den Klassiker zu finden.

Schwerwiegende Folgen hat die Entscheidung für die META. Die Firma wird 2019 nicht fortgeführt, die anderen, kleineren Aufträge (etwa für kabel eins) reichten nicht aus. Wenn am Dienstagabend um 23.10 Uhr der Abspann der «akte» läuft, geht in diesem Punkt also durchaus ein Stück Fernsehgeschichte zu Ende. Ab dem 7. Januar meldet sich die Sendung dann montags um 23.15 Uhr in Sat.1 zurück – rund ein halbes Jahr lang mit von unterschiedlichen Firmen produzierten Reportagen. Sie sollen die Zeit bis zum Relaunch überbrücken.

Und Claus Strunz? Ob er ab Mitte 2019 wieder dabei ist, ist noch unklar. Dagegen spricht, dass er für Sat.1 als Programmgeschäftsführer von Springer unter anderem das erfolgreiche «Frühstücksfernsehen» produziert – in Berlin. So ist es durchaus im Bereich des Vorstellbaren, dass Strunz‘ Zeit bei der Sendung nach ziemlich genau zwei Jahren zu Ende geht.
18.12.2018 13:33 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/105919