«Auf fremden Sofas»: RTL lässt weiter die Hosen runter

Der Sender nennt es "eine neue Programmfarbe". In Wirklichkeit handelt es sich bei dem heute gestarteten Format jedoch um eine weitere überflüssige und zudem höchst diskutable Grenzüberschreitung.

Dank RTL wurde der Traum von Millionen Deutschen heute endlich Realität. In ihrer aktuellen Programmoffensive am Nachmittag, die uns zuletzt schon das quotentechnisch schlingernde «Hol dir die Kohle» bescherte, installierte der Sender nun eine ganze Menge Kameras in den Wohnungen und Häusern unbekannter und leidlich bekannter Zeitgenossen. Frei nach dem Motto: Bei euch würde ich gerne mal Mäuschen spielen! Doch ob das wirklich jemand möchte?

Big Brother is watching everyone


Nein, überrascht sein muss man eigentlich nicht. Es war definitiv nur eine Frage der Zeit, bis man den Grundgedanken von Formaten wie «Big Brother» auch auf andere Bereiche der Fernsehunterhaltung ausweiten würde. Was in Serien wie «Person of Interest» oder Klassikern der Literatur wie Orwells «1984» noch pure Science-Fiction war, liefert RTL dem geneigten Zuschauer ab heute in einer familienfreundlichen Nachmittagsdosis: Mittendrin statt nur nebenan!

Die von Norddeich TV produzierte Dokusoap öffnet sozusagen das Guckloch in die Wohnung des Otto Normals. Dass die Fragen, die man sich über das geheime Leben der Mitmenschen stellt, durchaus weltbewegend sein können, ist ja bekannt: Was die wohl reden, wenn sie Mittag essen? Wie oft die sich wohl streiten? Ob die gut mit ihren Kindern umgehen? Das sind die Dinge, die uns wirklich interessieren! Dafür musste man früher umständlich und peinlich berührt an der Wand lauschen, heute reicht ein verschämter und völlig legaler Klick auf der Fernbedienung.

Seien wir ehrlich: Es ist schon eine besonders perfide Art des Voyeurismus, die «Auf fremden Sofas» uns da vorführt: Das Ende der häuslichen Privatsphäre, der Wegfall einer allerletzten Grenzen zwischen uns und unserer Umwelt.

Neun Paare haben sich für RTL bereiterklärt, ihren Lebensraum gegen einen von Kameras dominierten Versuchsaufbau zu tauschen und andere an dem teilhaben zu lassen, was sonst im Dunkeln bleibt. Unter den Paaren finden sich viele Normalos, wie die Hundenarren Walter und Emanuele oder die Patchwork-Eltern Matthias und Mine. Doch gewähren auch Sternchen der TV-Branche Einblicke in ihren Alltag: Die aus «Das Sommerhaus der Stars» bekannten Eheleute Elke und Frank Fussbroich oder das frisch zusammengezogene «Bachelor in Paradise»-Paar Yeliz Koc und Johannes Haller. Sie alle werden auf Schritt und Tritt verfolgt und dürfen das Geschehen dann auch noch auf dem heimischen Sofa kommentieren.

Komm du mir mal nach Hause!


Was normalerweise eine gern verwendete Floskel ist, wird hier traurige Realität. Wer würde schon gerne in einem gläsernen Haus wohnen wollen? Die Kandidaten dieser neuen Show auf jeden Fall. Die Produktion ging bei ihrem neuen Doku-Baby dann auch gründlich vor und stattete sowohl die Behausungen, als auch die Autos der Teilnehmer mit Kameras aus.

Gleich zu Beginn verspricht man aus dem Off dann auch angemessenerweise den ganz normalen Wahnsinn. Bezogen auf die TV-Branche stimmt diese Formulierung in jedem Fall. So gehört schon eine gehörige Portion Exhibitionismus dazu, Alltägliches von sich in epischer Breite einem großen Publikum zeigen zu wollen. Kein Wunder also, dass sich neben normalen Zeitgenossen auch Dauergäste aus verschiedenen Trash-Formaten finden. Diesen darf man zumindest Eigennutz unterstellen: Irgendwelche PR ist schließlich immer noch besser als gar keine. Was indes den Rest der teilnehmenden Familien vom Projekt überzeugte, bleibt unklar.

Inhaltlich bewegt sich das Ganze zwischen Eheproblemen, Erziehung, Essen, Schule und Arbeit. Lügen, Streit, Eitelkeiten und verletzte Gefühle sollen die nötige Würze bringen. Doch so uninspiriert das Konzept auf dem Papier schon klingt, so formelhaft ist es im finalen Produkt dann auch.

Es wird fabuliert, chargiert und selbstbeweihräuchert, solange die Sendezeit es hergibt. Dass dabei kaum etwas Gehaltvolles herauskommt und die deutsche Sprache samt Grammatik regelmäßig baden geht, verwundert wohl nur die wenigsten. Das Format ist vielleicht der kleinste denkbare Nenner, auf den man deutsches Fernsehen am Nachmittag jemals gebracht hat: Irrelevantes zum Vergessen langweilig präsentiert. Das reicht nicht mal mehr, um es im Krankenstand vom eigenen Sofa aus im Halbschlaf wegzukonsumieren. Und das war bisher schließlich der Inbegriff des deutschen Wegwerf-TV gewesen – zumindest vor «Auf fremden Sofas». Klar ist aber auch, dass das Format so bedeutungslos ist, dass es niemandem wirklich weh tut. Außer vielleicht der Selbstachtung der Teilnehmer. Aber die haben das – leider – freiwillig gemacht.

Fazit


RTL ist es mal wieder gelungen, Maßstäbe zu setzen. «Auf fremden Sofas» führt uns die Kleingeistigkeit und den freien Fall des Niveaus im linearen TV mehr als deutlich vor Augen. Wenn es stimmt, dass wir Zuschauer nach Informationen aus derartigen Formate lechzen, haben Die Ärzte mit ihrem Song Lasse redn leider doch (mal wieder) zu 100 Prozent recht behalten.

Lass die Leute reden und hör einfach nicht hin
Die meisten Leute haben ja gar nichts Böses im Sinn
Es ist ihr eintöniges Leben, was sie quält
Und der Tag wird interessanter, wenn man Märchen erzählt


Ab sofort ist die tägliche Gesprächsgrundlage in dieser Hinsicht in jedem Fall proudly presented by RTL. Herzlichen Dank!

«Auf fremden Sofas» läuft ab heute immer montags bis freitags um 15:00 Uhr bei RTL. Insgesamt sind 15 Ausgaben abgedreht. Parallel zur TV-Ausstrahlung kann man das Format auch im RTL-Live-Stream bei TV NOW verfolgen. Hat man eine Folge verpasst, kann man ganze Folgen der Doku-Soap nach Ausstrahlung ebenfalls in voller Länge bei TV NOW finden.

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Wunderbare Unterhaltung - ein Must-see!
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26.11.2018 16:27 Uhr  •  Björn Sülter Kurz-URL: qmde.de/105443