Verschenkt: «Verschwörung»

Meister-Hackerin Lisbeth Salander ist zurück auf der Leinwand: «Evil Dead»-Regisseur Fede Álvarez inszeniert mit «Verschwörung» eine ernüchternde Mischung aus «Verblendung»-Fortsetzung und Neustart.

Filmfacts: «Verschwörung»

  • Regie: Fede Álvarez
  • Produktion: Scott Rudin, Eli Bush, Ole Søndberg, Søren Stærmose, Amy Pascal, Elizabeth Cantillon
  • Drehbuch: Jay Basu, Fede Álvarez, Steven Knight; basierend auf dem Roman von David Lagercrantz
  • Darsteller: Claire Foy, Sverrir Gudnason, LaKeith Stanfield, Sylvia Hoeks, Stephen Merchant
  • Musik: Roque Baños
  • Kamera: Pedro Luque
  • Schnitt: Tatiana S. Riegel
  • Laufzeit: 115 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Ein bisschen was Neues und dennoch viel Familiäres: «Verschwörung» ist in einer Filmepoche, in der filmübergreifende Kontinuität und mit großer Voraussicht geplante Reihen groß geschrieben werden, ein kleines Kuriosum. Nachdem die schwedische Filmsaga auf Basis der «Millennium»-Romantrilogie aus der Feder Stieg Larssons international für Furore gesorgt hat, kam 2011 eine US-Adaption des ersten Buchs aus dieser Reihe heraus: David Finchers eiskalter Thriller «Verblendung» mit Rooney Mara in der Rolle der Meister-Hackerin Lisbeth Salander und Daniel Craig als ihr verfallener Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist. Die mit großen Erwartungen gestartete Buchverfilmung wurde zwar mit wohlwollenden Kritiken begrüßt, vor allem Maras Performance und Finchers schneidige Regieführung fanden Anklang, spülte aber nur mäßige Summen in die Kinokassen.

Das hinter dem US-Thriller stehende Studio Sony Pictures wurde somit in eine Klemme gebracht. Produzentin Amy Pascal und Co. waren heiß auf eine neue Filmreihe, die Sony im ständigen Wettbewerb mit erfolgsverwöhnteren Hollywood-Studios voran bringt, mussten aber mit den ernüchternden «Verblendung»-Zahlen umgehen. Hinzu kam der Zahn der Zeit: Je mehr Finchers «Verblendung» zu altem Schnee wurde, umso unwahrscheinlicher wurde es, dass Mara, Craig und Fincher zurückkehren, deren Karrieren allesamt nicht von einem weiteren «Millennium»-Film abhängig sind. Ende 2015 wurde es dann offiziell:

Sony will im Lisbeth-Salander-Business bleiben, geht aber auf inhaltlicher und personaler Ebene neue Wege. Eine Adaption des Romans «Verschwörung» wurde beschlossen, dem vierten Buch rund um Salander und Blomkvist. Diese Vorlage, nach Larssons Tod von David Lagercrantz verfasst, muss sich nicht mit bereits existierenden Filmen messen und bietet sich als Salander-Story, die jedoch von der ursprünglichen «Millennium»-Trilogie entrückt ist, für Sony als Kompromiss an: Weder Roman noch Film widerspricht gezielt den Handlungspunkten aus «Verblendung» sowie dessen Fortsetzungen. Insofern lässt sich dies als Sequel betrachten (nur mit neuer Besetzung). Gleichzeitig ist der «Verschwörung»-Plot so von ihnen entrückt, dass er sich auch als Reboot betrachten ließe. Ganz so, wie es das Publikum präferiert.

Lisbeth Salander räumt in Schweden auf: Als Rächerin der Frauen, die von Männern schlecht behandelt werden, geistert sie durch das Land. Durch den Programmierer Frans Balder erhält sie aber wieder einen 'klassischen' Auftrag, wie sie sie früher häufiger annahm: Sie soll das brandgefährliche Programm Firefall, das Balder für die NSA geschrieben hat, von den Servern des US-Geheimdiensts ziehen. Dies gelingt ihr, jedoch bekommt der junge, ambitionierte NSA-Agent Edwin Needham davon Wind, der umgehend nach Schweden reist, um sich diesem Sicherheitsbruch anzunehmen. Parallel dazu nimmt eine mysteriöse Gruppe Lisbeths Fährte auf und reißt Firefall an sich. Frans Balder wiederum glaubt fälschlicherweise, Lisbeth hätte ihn hinters Licht geführt, weswegen er sich an die schwedischen Behörden wendet, die sich daher ebenfalls auf die Jagd nach der Hackerin machen …

Was folgt, ist das weitestgehend geschmirgelte Abenteuer einer geglätteten Lisbeth Salander. Verschwunden sind die tiefschürfenden seelischen Abgründe, die der schwedischen «Millennium»-Trilogie und Finchers «Verblendung» als Markenzeichen dienten. Vermieden werden sie, jene finsteren, nihilistischen Situationen, die die dramaturgische Fallhöhe vergrößerten. «Verschwörung» ist primär ein geradliniger Action-Thriller: Lisbeth ist auf der Flucht, muss herausfinden, wem sie vertrauen kann und wem nicht, und letztlich den Strippenziehern das Handwerk legen. Dieser Wechsel der Gangart sei «Verschwörung» durchaus gegönnt. Die Stiländerung hapert dennoch. Denn das Drehbuch, an dem sich Jay Basu, Fede Álvarez und Steven Knight («Taboo») beteiligten, weiß nie so richtig zu zünden. Zwar sind die Abgründe, die Salander-Filme bislang ausgemacht haben, weg gebügelt, gleichwohl bleibt derselbe, kühl-distanzierte Duktus. Nur was nutzt es, wie gewohnt weiter eine Grube hinunterzublicken, wenn diese mittlerweile nahezu vollständig wieder zugeschüttet wurde?

Ab und zu bricht dann doch der Mann aus Álvarez heraus, der «Evil Dead» und «Don't Breathe» inszeniert hat: Wenn Álvarez zeigt, wie einem Ex-Mitglied einer Terrorgruppe mitgespielt wurde oder wenn Kopfschüsse sitzen, schlägt auf einmal das Härte-Barometer nach oben, und wie Álvarez eine Gasattacke inszeniert, könnte genauso gut aus einem Psychothriller stammen. Enge Räume, eine kränkliche Farbästhetik, die aus dem eisigen Grau des restlichen Films herausbricht, und mechanisch auf einen zulaufende Schurken in martialischen Gasmarken – Setpieces kann Álvarez, und wenn es ihm in diesem schablonenhaften Thriller mal gestattet ist, frei zu drehen, erwacht «Verschwörung» zum Leben.

Und dank des geschmeidigen Timings, das Álvarez und Cutterin Tatiana S. Riegel in einer Art Heist-Movie-Passage an den Tag legen, in der Lisbeth Salander mit viel Pfiff auf einem Flughafen ein Ding dreht, weiß auch eine gänzlich brave, handzahme Sequenz zu gefallen – selbst wenn sie «Verschwörung» viel Plausibilität und Spannung raubt. Für Lisbeth läuft innerhalb so kurzer Zeit so viel so glatt, dass sich spätestens gegen Ende des zweiten Aktes jegliche Suspense verabschiedet und nicht weiter die Frage "Wird sie es schaffen?" im Raum steht, sondern höchstens die Frage: "Wie gelingt es dieses Mal?"

Nicht, dass sich die Verantwortlichen hinter «Verschwörung» dessen bewusst wären und daraus Kapital schlagen würden. Wie sich Salander im dritten Akt aus mehreren Bredouillen rettet, ist so arm an Raffinesse, dass allein das wuchtige Sounddesign die finale Actionsequenz zusammenhält. Das und Claire Foys Performance. Der «The Crown»-Star muss sich keineswegs hinter Noomi Rapace und Rooney Mara verstecken. Selbst wenn das Material kaum etwas hergibt, verleiht Foy der Protagonistin ein knallhartes Auftreten, das durch verlorene Blicke oder eingeschüchtert bebende Lippen immer wieder Risse erhält. Foys Salander steht in klarer Verwandtschaft zu ihren Vorgängerinnen und ist dennoch ganz eindeutig ihr mimisches Werk allein – da ist es fast egal, wie zugänglich Salander (für ihre Verhältnisse) auf einmal geworden ist. Nicht auszumalen, was für Foy hier mit einem gehaltvolleren Skript noch drin gewesen wäre …

Ein Tiefpunkt ist derweil Sverrir Gudnasons schale Darbietung als Mikael Blomkvist, der nunmehr ein charakterloser Schönling von einem Journalisten ist, der ständig weit, weit in den Hintergrund des Films gerät, nur um dann als antriebsloser Plotmotor wieder aus dem Ärmel geschüttelt zu werden, wenn es die Narrative vereinfacht. Die weiteren Nebenfiguren sind weitestgehend blass: Sie alle sind mal für einen Gag oder einen kurzen dramatischen Moment gut, für mehr als eine schablonenhafte Charakterisierung reicht es aber nicht. Erschwert wird dies durch die durchsichtige Art und Weise, wie in «Verschwörung» Plottwists eingefädelt werden: Nach Massen an Vorausdeutungen und schlecht verschleierten Hinweisen erfolgt die mit dramatischen Pausen zelebrierte Enthüllung – und erst durch diese wird so manches Mal klar, dass die Filmschaffenden dachten, wir Publikum würden bis dahin im Dunkeln tappen.

Fazit: Viel, viel verschenktes Potential: «Verschwörung» ist ein vorzeigbar inszenierter Action-Thriller mit einer stark aufspielenden Hauptdarstellerin, dessen lasches Skript jedoch massig Sand ins Getriebe streut.

«Verschwörung» ist ab dem 22. November 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
20.11.2018 11:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105324