Popcorn und Rollenwechsel: Der Festivalbesuch

Das Kinoerlebnis ist wie ausgewechselt, sobald es nicht mehr mit einer regulären Vorführung verbunden ist, sondern mit dem Besuch eines Filmfestivals …

Der Festivalbesuch.
Monate vorher beginnt es. Das große Planen. "Mal sehen … Wenn ich am Montag um 15 Uhr «Die einsame Blutnacht von McGuinness Mountain» gucke, versäume ich um 17.10 Uhr im anderen Saal «Der verlorene Zehennagel». Der läuft aber Donnerstagnacht um 23.40 Uhr, was aber doof ist, weil … Moment, was wenn ich …?" Und wer keine Festival-Dauerkarte hat, kommt zusätzlich ins Grübeln. "«Zerhackstückelte Melancholie in Tiefgrün» wird sicher riesigen Andrang haben, aber ich weiß nicht, ob der was für mich ist und ich bin schon weit über meinem Ticketbudget. Doch wird es noch Karten geben, wenn die ersten Reviews endlich eintreffen?"

Der Festivalbesuch.
Vormittagsvorstellung eines Nischenfilms am Werktag. Die U-Bahn hat 15 Minuten Verspätung, weil ein Schulkind seinen Ranzen in die Gleise geworfen hat. Ankunft an deiner Haltestelle. Sprinten. Außer Atem im leeren Foyer ankommen. Husten. Keuchen. Vorstellung hat vor zwei Minuten begonnen. Spurten. Zum Kinosaal. Niemand steht dort. Keine Kontrolle. Du gehst einfach rein. Wieso solltest du das Kinopersonal suchen und noch mehr vom Film verpassen? Wenn sie deine Karte nicht sehen wollen, deren Pech. Der Saal ist nahezu leer. Du setzt dich auf einen besseren Platz als den, den du vorab bestellt hast. Ist ja keiner da. Schade. «Keuchhusten – Die Rache» ist doch so eine schöne, bittere Persiflage auf die politische Führung Rumäniens in den mittleren 1990er-Jahren!

Der Festivalbesuch.
Abendvorstellung am Wochenende. Deutschlanduraufführung des heiß ersehnten neuen Films, dieses einen gefeierten, umjubelten, ungewöhnlichen Regisseurs, den keine Seele außerhalb der Cineastenriege kennt. Nein, nicht der. Der Andere. Ja, der Regisseur. Der Film davor reizt dich nicht. Du kommst 50 Minuten vor Beginn deines Films vor dem Kino an. Die Straße ist rappelvoll mit leicht übergewichtigen, bärtigen Männern mit Zauselhaaren oder hippen Kopfbedeckungen in schwarzen Fanshirts. Der Festivalbesuch.

Der Festivalbesuch.
In vier der dreizehn Menschentrauben, die sich angeregt unterhalten, steht mindestens Einer mit Pizzakarton, aus dem heraus die behelfsmäßig geschnittene Pizza gemampft wird. Schnell stärken zwischen Film vier und Film fünf des Tages. Du quetschst dich durch, rein ins Kino. Das Foyer platzt. Sie alle warten schon. Die Schlange hin zur Snacktheke? Nicht auszumachen in diesem großen, klebrigen Menschenauflauf. "'tschuldigung, stehst du an oder stehst du rum?", fragst du. Bis irgendwann endlich wer antwortet: "Ja, ich stehe an." Du parkst dich direkt dahinter. 35 Minuten später. Die Enttäuschung. Mist. Du bist in der Schlange für die Toiletten gelandet, nicht in der Schlange für die Snacktheke. Der Festivalbesuch.

Der Festivalbesuch.
Was soll's. Es bringt zwar Gewissensbisse mit sich, weil wir alle seit Jahren immer wieder gesagt bekommen: Kinos verdienen primär durch den Verkauf von Essen und Trinken – nicht durch die Aufführungen. Aber, nun ist es einfach zu spät. Du kannst dich nicht mehr anstellen, also naschst du halt was aus deinem Rucksack. Die Wegzehrung, die du nicht aufgebraucht hast. Machen ja alle Anderen auch so. Beeindruckend, wie viele Filmfreaks aus ihrer Tupperdose Apfelscheiben und Mandarinensechstel naschen. Wenig überraschend, dass der Typ schräg vor dir eine 350-Gramm-Chipstüte auspackt, als das Licht im Saal ausgeht. Danach sah der auch aus. Mjam, es ist die Sorte "Nacho Garlic Cheese with Roasted Matured Red Onions", na, da bedanken sich die Nasen des restlichen Publikums ...

Der Festivalbesuch.
Ob du's willst oder nicht – du wirst Teil einer eingeschworenen Gemeinde. Ab Tag drei nickst du dem Kinopersonal nur noch wissend zu, zwischen zwei Filmen wirst du vom Sitznachbar, dem Kinopersonal und Zufallsbegegnungen angesprochen. "Hey, fandest du «Einsamkeit im Feldweg» auch so berührend? Ey, saßt du in «Verlorene Wut in zornigen Zeiten» nicht vor mir? Sag mal, hat dich der eine Kerl, der in der Vorführung dauernd zu den denkbar dümmsten Momenten gelacht hat, nicht auch so genervt?" Kollektiv fiebert ihr dem nächsten Film entgegen. Feiert ironisch den dauernd selben Spot, der vor jedem Film läuft. Aus der Hektik zwischen den Vorführungen wird ein entspanntes Abhängen mit Gleichgesinnten. Ja, das Festival geht ins Geld, belastet die Schlafbilanz und schadet deinem Ernährungsplan. Aber es ist wie Klassenfahrt nach Filmhausen.

Der Festivalbesuch.
13.11.2018 20:03 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105124