Popcorn und Rollenwechsel: What Shall We Do With The Drunken Pirate?

Disney und Jerry Bruckheimer wollen einen neuen «Pirates of the Caribbean»-Film, doch ob es eine Fortsetzung oder ein Reboot wird, ist unklar. Geht Johnny Depp alias Käpt'n Jack Sparrow etwa von Bord?

Der Stand der Dinge


Sie sind schlimme Schurken, teuflisch gemein: Die Piraten der verfluchten Karibik. Und sie befinden sich derzeit in mysteriösen, fremden Gewässern. Vergangenes Jahr schickten die Disney-Studios und Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer Käpt'n Jack Sparrow zum mittlerweile fünften Mal in ein Kino-Abenteuer, und der kam mit 794,9 Millionen Dollar Beute zurück. Ein Ergebnis, das viele vor Neid erblassen lässt. «Justice League», «Logan – The Wolverine», «Deadpool 2», «Ant-Man and the Wasp», «Ready Player One» und «Transformers – The Last Knight», all diese Filme konnten «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» nicht das Wasser reichen, «Mission: Impossible – Fallout» wiederum steht ungefähr auf Augenhöhe mit dem Piratenspektakel. Und die DC-Comicadaption «Wonder Woman» hat auch nur 26,9 Millionen Dollar mehr eingespielt – das ist in Hollywood-Geldsummen gerechnet auch nicht gerade die Welt.

Und dennoch trennen «Wonder Woman» und den fünften Teil der «Pirates of the Caribbean»-Reihe Welten. Während «Wonder Woman» einstimmig als überragender Erfolg gefeiert wurde, bekam «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» von weiten Teilen der Filmpresse eine ordentliche Schlammpackung verpasst. Da darf die Frage gestattet sein: Was nun, Käpt'n Jack? Tja, die Antwort lautet, sich womöglich nicht weiter auf Käpt'n Jack zu verlassen und fortan ohne ihn durch die Karibik zu segeln …

Entschlossen ist noch nichts, auch wenn die 'Daily Mail' anderes suggeriert. Das britische Nachrichtenportal vermeldete jüngst, die «Pirates of the Caribbean»-Reihe ginge definitiv ohne Johnny Depp weiter, bezieht sich dabei jedoch bloß auf einen O-Ton des Drehbuchautors Stuart Beattie. Was ungefähr so ist, als würde man Gerhard Schröder über die Zukunft eines amtierenden Ministers befragen. Denn Beattie hat mit den heutigen Geschehnissen im «Pirates of the Caribbean»-Franchise überhaupt nichts am Hut: Beattie hat einen Story-Credit an «Fluch der Karibik», dem 2003 veröffentlichten ersten Teil der Saga, dessen Drehbuch anschließend von Ted Elliott & Terry Rossio intensiv überarbeitet wurde. Seither hat Beattie keinerlei Berührungspunkte mit dem Franchise.

Was nicht heißt, dass Johnny Depp noch ordentlich Wasser unter dem Kiel hat. Im August dieses Jahres hieß es, dass Disney und Bruckheimer einen sechsten «Pirates of the Caribbean»-Film planen und dafür bereits einige Posten besetzt hätten. Unter anderem stünde fest, dass Joachim Rønning (der gemeinsam mit Espen Sandberg bereits Teil fünf inszenierte) Regie führen wird und dass sich Jeff Nathanson sowie Ted Elliott & Terry Rossio um das Drehbuch kümmern. Unklar sei dagegen eine Rückkehr Depps. Und nun spricht 'Deadline Hollywood' auf einmal von einem Reboot der «Pirates of the Caribbean»-Reihe, bei dem die «Deadpool»-Autoren Rhett Reese und Paul Wernick das Skript verantworten. So oder so, die Zeichen stehen nicht gut für den versoffenen Gentleman unter den Piraten und seinen Darsteller. Also: What Shall We Do With The Drunken Pirate?

Bye-bye, Käpt'n Jack


So sehr es mir als passionierter «Pirates of the Caribbean»-Fan schmerzt, das zu schreiben: Lasst Johnny Depp ziehen und mit ihm auch die Figur des Käpt'n Jack Sparrow. Ich hätte jahrelang nicht geglaubt, dass ich je zu diesem Schluss kommen könnte. Und doch stehen wir nun hier, an diesem Punkt, an dem ich bereit bin, mich auf einen grasgrünen Hügel mit Meerblick zu stellen und dem quirligen Piraten zum Abschied zu winken, während er mit der Black Pearl in den Sonnenuntergang segelt. Ich sehe vorerst keine Möglichkeit, mit ihm weiterzumachen.

Jack Sparrow ist so eng mit Johnny Depp assoziiert, dass es unfassbar schwer bis unmöglich wird, diese Rolle umzubesetzen. Aber mit Depp geht es aktuell nicht weiter. Da wären die zahlreichen Berichte seiner Arbeitsmoral, die er während der Dreharbeiten zu «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» an den Tag gelegt hat: Durch übermäßigen Alkoholkonsum und ständige Verspätungen erschwerte Depp die Produktion angeblich ungemein und trieb das Budget unnötig in die Höhe, obwohl der Film ursprünglich als schmaler budgetierter «Pirates of the Caribbean»-Teil angedacht war.

Nun gut, wird man sich vielleicht denken. Jeder hat mal eine miese Phase, man kann sich ja wieder bessern. Vielleicht. Aber es spricht leider noch mehr dafür, Depp erst einmal aus der «Pirates of the Caribbean»-Saga auszuschließen. So hat er einfach einen zu großen Einfluss darauf, wohin diese Filmreihe geht: Nach der Original-Trilogie, die unter Gore Verbinski entstanden ist, wuchs Depps Mitspracherecht auf das Drehbuch in die Höhe. Er ließ Konflikte und Figurenkonstellationen in «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» nach seinem Gutdünken ändern und warf den ursprünglichen Plan für Teil fünf über Bord, weil er nach dem Misserfolg von «Dark Shadows» nicht noch einen Film mit einem weiblichen Schurken drehen wollte.

Gewiss hatte Depp auch positiven Einfluss auf die späteren «Pirates of the Caribbean»-Filme. So war es seine Idee, die Figur des Philip in Teil vier zu einem jungen Geistlichen zu machen, da ihm der erste Entwurf der Autoren, die Figur als schüchternen, jungen Seefahrer zu zeichnen, zu sehr an Orlando Blooms Rolle des Will Turner erinnerte. Das gleicht jedoch nicht aus, dass er offenbar verlernt hat, was die ikonische Figur des Jack Sparrow ausmacht. Ganz davon abgesehen, dass er zu den schwächeren Elementen von «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» gehört, weil er über längere Strecken nicht wie Jack Sparrow sondern wie der Verrückte Hutmacher aus «Alice im Wunderland» klingt (ein Hoch auf die Synchro, die das wegbügelt):

Schon während der Dreharbeiten zu Teil vier frustrierte Depp die Drehbuchautoren Ted Elliott und Terry Rossio mehrmals, indem er Jack Sparrow zu sanft anlegte. Und mittlerweile hat Depp wohl völlig vergessen, dass Jack Sparrow als kühner Pirat gedacht war, dessen Intellekt ständig unterschätzt wird. Auf der Europa-Premiere von «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» verkündete er voller Stolz, dass er die Filme so gerne macht, weil er in ihnen so dumm sein kann wie er möchte. Und mit der Haltung sollen wir spannende Abenteuer mit Jack Sparrow auf die Leinwand bringen, die zum Rest der Filmreihe passen? Nein, das wird wohl nichts. «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» hat es noch hinbekommen, dass der Film erzählt, wie ein sich untreu gewordener Jack Sparrow allmählich zu seinem alten Ich findet – und ich würde die Figur lieber so in Erinnerung behalten, wie sie am Schluss des Filmes auftritt, als so, wie Depp sie seit ein paar Jahren deutet.

Einfach weiter segeln


Nachdem all das geklärt ist, kommen wir zur anderen brennenden Frage. Und da ist meine Antwort ein großes, lautes: "Nein. Bitte kein Reboot!" Denn selbst wenn sich die öffentliche Wahrnehmung der «Pirates of the Caribbean»-Reihe gemeinhin auf Jack Sparrow beschränkt, ist er bei weitem nicht das alleinige Erfolgsgeheimnis dieser Filme. Das erkennt man allein schon daran, wie sich über die Jahre hinweg die Meinung bezüglich Will und Elizabeth gewandelt hat und Fans in den sozialen Netzwerken verstärkt darum bitten, mehr von ihnen zu sehen, nachdem sie einst noch von vielen eher als Beiwerk betrachtet wurden. Die «Pirates of the Caribbean»-Filme leben nicht von Jack Sparrow und Jack Sparrow allein. Sie leben von der Welt, von der sie erzählen, sowie vom Tonfall, in dem sie von ihr erzählen. Es geht um bombastisch umgesetzten Seemannsgarn mit Humor und Drama, gewürzt mit epochaler Instrumentalmusik, die eine leicht rockige Attitüde mit sich bringt.

Nur, weil der fünfte Film innerhalb dieser Filmreihe in den USA unter den Erwartungen abschnitt und wir uns (möglicherweise) vom bisherigen Publikumsliebling unter den Figuren trennen, muss man da doch nicht direkt auf "Alles löschen" drücken und einen kompletten Neustart anordnen. Wir haben eine große, eklektische Auswahl an bereits eingeführten Figuren und ein großes Filmuniversum mit zahlreichen erzählerischen Möglichkeiten. Erzählt in einem sechsten Film einfach von Keira Knigthley als Elizabeth Swann, Orlando Bloom als Will Turner, Brenton Thwaites als deren Sohn Henry sowie Kaya Scodelario als Astronomin und Abenteurerin Carina.

Misst euch dann nicht mit den Marvel-Blockbustern und deren Trittbrettfahrern, sondern nehmt weiter stolz die Fantasy-Abenteuer-Marktlücke für euch ein. Erzählt ein launiges, gleichermaßen epochales neues Kapitel im Leben dieser Figuren, wie sie gegen Golshifteh Farahani als Seehexe Shansa und Penélope Cruz als unberechenbare Piratin Angelica antreten müssen. Wenn dann noch die «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten»-Rückkehrer Sam Claflin als Philip Swift und Àstrid Bergès-Frisbey als Meerjungfrau Syrena in diesem Abenteuer als neutrale, dritte Partei eingreifen sowie Lee Arenberg und Mackenzie Crook als das exzentrische Piraten-Duo Pintel und Ragetti für Chaos sorgen, führt Teil sechs die bisherigen Filme zusammen und hat so das große Figureninventar, um erneut so ein famoses, Haken schlagendes Stück Fantasybombast zu werden wie «Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik 2», der schließlich noch immer der erfolgreichste Teil der Reihe ist.

Vielleicht streiten all diese Parteien um Macht im piratigen Rat der Bruderschaft. Oder das im fünften Teil gezeigte Lüften sämtlicher Flüche hat die Karibik in Unruhe gestürzt. Oder bedingt das Eine gar das Andere? Und wer will Elizabeth und Will glauben lassen, Davy Jones sei noch am Leben und hinter ihnen her? Erzählt davon, und das mit enormer Bandbreite. Da geschieht so viel, dass gar keine Zeit bleibt, um Jack Sparrow zu vermissen. «Fluch der Karibik» war ein Überraschungserfolg, die nächsten beiden Teile waren ein popkulturelles Phänomen, ganz egal, ob die US-Kritiken negativer waren als zu Beginn der Reihe. «Pirates of the Caribbean» funktioniert als rockig-süffisanter Fantasy-Abenteuerstoff, und so einer lebt von Figurenvielfalt, Fallhöhe, Storytelling und Weltenbildung. Wozu also einen Neustart, wenn wir den Stoff für ein neues, gigantisches Abenteuer bereits vor uns haben und daraus bloß die richtige Erzählung spinnen müssen?

Und wenn die erste Trilogie sowie Teil vier und fünf zu einem großen Finale zusammenfinden, zu einem Clash jener, die Jack Sparrow auf irgendeine Weise beeinflusst hat und die nun ohne sein Dazutun auskommen müssen … Tja, dann sind für Teil sieben und weitere Fortsetzungen alle Seewege offen. Und die können sich auch eines Tages wieder mit Jack Sparrows Kurs kreuzen, wenn «Pirates of the Caribbean» bewiesen hat, nicht von ihm abhängig zu sein und es sich zudem wieder mit Johnny Depp arbeiten lässt. Und bis dahin lässt sich das Filmuniversum noch immer munter in diverse Richtungen erkunden. Es wäre halt nur schade, diese packende Filmwelt weiter in seinem Schatten verharren zu lassen. Oder sie gar wegzuschmeißen, bloß weil man sich von ihm trennen möchte.
29.10.2018 18:35 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/104796