Die glorreichen 6 – Filme zur Lage der Nation (Teil VI)

Denken wir an Deutschland in der Nacht, sind wir um den Schlaf gebracht: Unsere Filmredaktion hat sechs Produktionen ausgesucht, die Bände über den Geisteszustand der Bundesrepublik sprechen. Zum Abschluss: «Der Hauptmann».

Die Handlung


Filmfacts: «Der Hauptmann»

  • Regie und Drehbuch: Robert Schwentke
  • Produktion: Frieder Schlaich, Irene von Alberti
  • Darsteller: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Alexander Fehling, Bernd Hölscher, Waldemar Kobus, Wolfram Koch
  • Kamera: Florian Ballhaus
  • Schnitt: Michal Czarnecki
  • Musik: Martin Todsharow
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
  • Laufzeit: 119 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs findet der junge Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) auf der Flucht eine Hauptmannsuniform. Ohne zu überlegen streift er die ranghohe Verkleidung und die damit verbundene Rolle über. Schnell sammeln sich versprengte Soldaten um ihn, darunter auch der zurückhaltende Gefreite Freytag (Milan Peschel) – froh, endlich wieder einen Befehlsgeber gefunden zu haben. Aus Angst enttarnt zu werden, steigert sich Herold nach und nach in die Rolle des skrupellosen Hauptmanns hinein und verfällt dem Rausch der Macht. Ein Spiel mit Leben und Tod, das nicht lange gut gehen kann…

Die glorreichen Aspekte


Schaut man sich einmal die Vita des deutschen Hollywood-Exports Robert Schwentke an, kann man ihn zu einem solch beispiellos raketenhaften Aufstieg nur beglückwünschen: Nach seinem ersten abendfüllenden Spielfilm «Tattoo» und der Romantic Comedy «Eierdiebe» mit Wotan Wilke Möhring, klopfte ziemlich schnell der US-amerikanische Filmemarkt an seine Tür. Es folgte der starbesetzte Thriller «Flightplan», das Fantasydrama «Die Frau des Zeitreisenden» und schließlich eine ganze Reihe potenzieller Franchise-Hits, von denen nur die Rentner-Action «R.E.D.» auch zu einem solchen wurde. «R.I.P.D.» dagegen brachte es nach einem katastrophalen Einspielergebnis nicht einmal zu einer einzigen Fortsetzung, auch die «Die Bestimmung»-Reihe, für die Schwentke Teil zwei und drei inszenierte, fiel bei Kritikern wie Publikum durch, sodass der vierte Roman der Saga nicht mehr für die große Leinwand adaptiert wurde.

Mit seiner bis ins Mark bitterbösen Kriegsposse «Der Hauptmann» ging Schwentke Anfang dieses Jahres einen Schritt zurück und sagte sich wieder vom CGI-getränkten Blockbusterkino los; schwarz-weiß, frei von jedwedem Entertainment und fernab der im großbudgetierten Popcornkino vorherrschenden Oberflächlichkeit, mutet seine auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte über einen Gefreiten, der sich zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges erfolgreich als Hauptmann durchmogelt, fast wie ein Statement an. Ein Statement, das aussagt, dass Robert Schwentke die bittere Grausamkeit aus führen Regiejahren, als er noch dreckige kleine Genrereißer wie «Tattoo» drehte, immer noch drauf hat – und wie!



Schon zu Beginn von «Der Hauptmann» spielt Drehbuchautor und Regisseur Robert Schwentke mit uns ein böses Spiel: Der Gefreite Willi Herold wird erbarmungslos von einem Hauptmann und seiner Gefolgschaft gejagt, da diese hinter ihm einen Fahnenflüchtigen vermuten. Nur mit Mühe kann sich Herold unter eine Baumwurzel retten und wartet hier, bis er sich schließlich in Sicherheit vor seinen Jägern befindet. Es ist ein billiger, aber wirkungsvoller Kniff, um auf Anhieb mit der Hauptfigur zu sympathisieren; erst recht, wenn die Nazis ihr Opfer mit Schweinegeräuschen drangsalieren und ein ständig wiederholtes Fragen nach dem „kleinen Schweinchen“ erahnen lässt, was passiert, sollte Herold seinen Jägern in die Hände fallen. Als Willi wenig später eine Hauptmann-Uniform in einem verlassenden Auto entdeckt und sich fortan als "Hauptmann Willi Herold“ seine eigene kleine Armee zusammenstellt, ist von dem armen Opfer der Anfangsminuten nichts mehr zu erkennen; im Gegenteil: Schwentke lässt seinen Hauptcharakter die Geschichte als Protagonist beginnen und macht ihm sukzessive zu einem der abscheulichsten, menschenverachtendsten Auswüchse des Zweiten Weltkrieges.

Dass der Zuschauer mit diesem zu Beginn von «Der Hauptmann» sogar noch so etwas wie Mitleid empfunden hat, ist nicht bloß unangenehm: Schwentke bricht die Erwartungen des Zuschauers immer wieder sehr geschickt, um ihr moralisches Empfinden permanent auf die Probe zu stellen. Ja, die Taten von Willi Herold sind (respektive waren tatsächlich) abscheulich, doch gleichzeitig erwuchsen sie aus absoluter Not heraus. «Der Hauptmann» anzuschauen, macht unter diesen Voraussetzungen (natürlich) alles andere als Spaß.

Um den klassischen „Spaß an der Freude“ geht es in «Der Hauptmann» aber auch überhaupt nicht; im Gegenteil: Robert Schwentke scheint eher so eine Art Gefallen daran zu finden, die Ereignisse in seinem Film von solch emotionaler Diversität einzufangen, dass man als Zuschauer bisweilen überhaupt nicht mehr weiß, ob man an der einen oder anderen Stelle vielleicht doch einmal kurz Auflachen darf. «Der Hauptmann» ist voll von bitterem Zynismus, etwa wenn er auf die Arbeitslager und die damit einhergehenden Abläufe blickt, als wären sie das Normalste der Welt. Gleichermaßen erlaubt sich der Film einen Blick auf die darin agierenden Personen, die er allesamt einer befreienden Lächerlichkeit preisgibt. Wenn Willi Herold und seine Gefolgschaft im emsländischen „Lager 2“ ankommen, herrscht hier erst einmal Uneinigkeit über die bürokratischen Gepflogenheiten; und eine geplante Massenexekution wird zu einem Akt der Unmöglichkeit, nur weil sich viel zu viele Leute für ein und dieselbe Sache zuständig fühlen.

Dass in dieser Situation der alle zum Narren haltende Hauptmann die routinierteste Person von allen ist, ist so böse, so bitter – und dann doch auch wieder unangenehm komisch, ohne dass es sich anbieten würde, in diesem Zusammenhang darüber zu lachen, sodass sich Robert Schwentke automatisch jeder Form der Verklärung verbittet. Selbst noch so hanebüchene Szenerien tragen hier – auch im wahrsten Sinne des Wortes – den Grauschleier des Krieges. „Der Hauptmann“ ist kein Film über Hoffnung, über Lebenswillen oder Positivismus. Er ist ein Film über Idioten, über Tod und Unmenschlichkeit.

Robert Schwentke drehte «Der Hauptmann» vor allem deshalb in schwarz-weiß, da der Film so blutig sei, wie man es dem Zuschauer nun einmal kaum in Farbe zumuten könne. Tatsächlich wirkt der Film durch seine perfekt durchkomponierten Bilder von Kameramann Florian Ballhaus («Die Bücherdiebin») und Martin Todsharows unangenehm-beißende Musik mitunter fast surreal und nicht so dreckig und abgefuckt, wie man es von der Kombination aus Robert Schwentke und der hier aufgegriffenen Thematik erwartet hätte. Eine der aller letzten Einstellungen von «Der Hauptmann» ist sogar auf eine sehr zynische Weise poetisch; so visuell berauschend und doch bitterböse lässt der Regisseur seinen famosen Hauptdarsteller Max Hubacher («Nachtzug nach Lissabon») hier buchstäblich über Leichen gehen.

Doch diese Kombination aus harter Realität und dem Vorgaukeln einer alles erträglich machenden Kunst macht «Der Hauptmann» so faszinierend; stellvertretend dafür steht eine Szene, in der Willi Herold im Anschluss an die brutale Massenerschießung einer Gruppe Gefangener einen „Bunten Abend“ anordnet, um die Bilder des erschütternden Massakers mit Alkohol, Stand-Up-Comedy und schönen Frauen vergessen zu machen. Dass Ablenkung so nicht funktioniert, führt uns der Filmemacher dann aber schon wieder in der nächsten Szene vor. Und so ist «Der Hauptmann» ein ewiges Auf und Ab aus beharrlicher Boshaftigkeit, blankem Terror und dem Vorgaukeln kurzer Erleichterung – ein Film, der absolut nichts Gutes birgt und genau deshalb so erschreckend genial ist.

Fazit: Robert Schwentke gelingt mit «Der Hauptmann» das Kunststück, das vielen anderen seiner Kollegen verwehrt bleibt: Er inszeniert einen in seiner ungewöhnlichen Machart herausragenden Film über den Zweiten Weltkrieg, der über alle Maßen unangenehm ist. Punkt.

«Der Hauptmann» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie via Amazon, maxdome, iTunes, Google Play, Sky Store, Videobuster, Videoload, Microsoft, videociety, freenet Video und Sony abrufbar.
28.10.2018 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/104792