«Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm»: Brecht für Novizen und Verehrer

Joachim Langs passionierte Brecht-Hommage «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» bietet mit einem kongenialen Lars Eidinger als Bertolt Brecht ein stimmiges Sprungbrett in brecht'sche Theorien. Brecht!

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen.


Filmfacts: «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm»

  • Regie und Drehbuch: Joachim A. Lang
  • Darsteller: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Claudia Michelsen, Britta Hammelstein, Robert Stadlober
  • Produktion: Till Derenbach, Michael Souvignier
  • Kamera: David Slama
  • Schnitt: Alexander Dittner
  • Musik: Walter Mair, Kurt Schwertsik
  • Laufzeit: 130 Min
  • FSK: ab 6 Jahren
Wenn sich jemand Brecht-Experte nennen darf, dann Prof. Dr. Joachim A. Lang: Acht Jahre lang war er Künstlerischer Leiter des Brecht-Festivals. Lang, Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, inszenierte zudem unter anderem die Dokumentation «Brecht – Die Kunst zu leben». Und nun reicht er mit seinem Kino-Spielfilmdebüt eine Brecht-Adaption nach, die den Schöpfer des Epischen Theaters höchst wahrscheinlich bestens gefallen hätte. Denn Langs Verfilmung der legendären «Dreigroschenoper» ist brecht'scher als es wohl selbst Brechts Verfilmung dieses Publikumslieblings und Ohrwurmursprungs geworden wäre. Lang verfilmt nicht einfach stur das berühmte Theaterstück, das am 31. August 1928 seine Welturaufführung hatte und Lieder wie die unter anderem von Louis Armstrong, Bobby Darin, Ella Fitzgerald, Michael Bublé, Rammstein, Sting und Helge Schneider gecoverte "Moritat von Mackie Messer" ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat.

Er rekonstruiert auch nicht das, was dank Notizen und Entwürfen über Brechts mit der Vorlage lose umgehenden, nie umgesetzten Filmversion seines eigenen Theaterstücks bekannt ist. Stattdessen verfilmt er Brechts Versuche, seinen immensen Bühnenerfolg auf die Leinwand zu bringen, die allerdings aufgrund vertraglicher Hürden, begriffsstutziger Geldgeber und einer kippenden gesellschaftlichen Stimmung nie Wirklichkeit wurden. Somit liefert Lang eine «Dreigroschenoper»-Verfilmung, frei nach Brechts Plänen, die zugleich eine filmhistorische Dramödie über eine nie verwirklichte Produktion ist – und sich somit ganz und gar den Prinzipien Brechts unterstellt. War Brecht doch ein Verfechter des anspruchsvollen Erzählens, das sich seiner eigenen Fiktionalität bewusst ist und sein Publikum so dazu zwingt, über das Erzählte, dessen Form und dessen Inhalte nachzudenken.

Die Filmindustrie ist zu doof und muss bankrott gehen.


Selbst die Darsteller können nicht wirklich was mit der «Dreigroschenoper» anfangen. Zu lang, zu wirr. Was sollen die ständigen Ausbrüche aus der Handlungsrealität? Theaterbesitzer Ernst Josef Aufricht hat noch weniger Vertrauen in das, was Bertolt Brecht (Lars Eidinger) und Komponist Kurt Weill (Robert Stadlober) da verbrochen haben. Doch das vermeintlich unzugängliche Stück wird zur Sensation: Innerhalb weniger Monate erobert die «Dreigroschenoper» von Berlin aus die Welt. Die Medien fragen Theaterrevolutionär Brecht, der ein Faible für das Medium Film hat, weshalb er keine Leinwandprojekte mache. Brecht rümpft die Nase: Die Filmindustrie sei zu doof.

Letztlich lässt er sich von Produzent Seymour Nebenzahl (Godehard Giese) aber sehr wohl unter Vertrag nehmen. Brecht soll das Drehbuch, Weill die Musik zu einem «Dreigroschenfilm» verfassen. Nebenzahl und seine Kollegen reiben sich bereits die Hände, haben sie doch einen garantierten Erfolg in der Tasche. Denken sie. Denn Brecht bleibt seinen Prinzipien treu. Die «Dreigroschenoper» war sein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken. Kein Wunder, dass er im Kino genauso von der Überzeugung ist: "Es wäre Unfug, Elemente eines Theaterstücks wenig verändert zu verfilmen."

Und so führt Brecht einen entgeisterten Nebenzahl durch seine Vision eines «Dreigroschfilms», der mindestens ebenso sehr die Künstlichkeit des Mediums Films unterstreicht, wie Brechts Theaterstücke voller Verfremdungseffekte stecken. Und auch die Handlung um den Gangster und Zuhälter Macheath (Tobias Moretti) weicht von der Bühnenfassung ab. Allein schon, dass Brecht die Reihenfolge der Songs durchmischen will, sieht der Produzent als Affront, als Beleidigung des Publikums, das doch sehen will, was es gewohnt sei.

Der hohe Produktionsaufwand, der Brecht vorschwebt, wenn er von Polly Peachum (Hannah Herzsprung), ihrem Vater, dem Bettlerkönig (Joachim Król) und stürmischen Festen träumt, jagt dem Produzenten weitere Angst ein. Von Brechts Vulgarität ganz zu schweigen. Es kommt zum Bruch zwischen Brecht und der Produktionsfirma, es wird vor Gericht gezogen. Und während die Gesellschaft, die Brecht mit seiner Arbeit erreichen will, immer grober, radikaler und verzweifelter wird, nimmt auch Brechts neue Vision seiner «Dreigroschenoper» immer provokantere Wendungen …

Ich möchte eine Kunst machen, die die tiefsten Dinge berührt und 1.000 Jahre dauert. Sie darf nicht so ernst sein.


«Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» ist längst nicht die erste Verfilmung der «Dreigroschenoper». So drehte Georg Wilhelm Pabst 1931 den Film, gegen den Brecht klagte. 1962 folgte wiederum eine Adaption mit Curd Jürgens als Mackie Messer und 2004 wurde der Bühnenklassiker mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle fürs Fernsehen adaptiert. Doch Langs Adaption ist die erste ernstzunehmende Verfilmung. Nicht nur, weil erst sie Brechts inszenatorischen Gesetzen folgt, sondern auch, weil sie einem oft vergessenen Prinzip Brechts Treue schwört. Generationen von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern mögen vielen Menschen einen falschen, ultratrockenen sowie elitären Eindruck von Brecht verschafft haben. Doch Brecht wollte eben nicht primär die kulturelle Elite abholen, sondern die breite Masse erreichen und sie unterhalten – wenngleich auf unkonventionelle, den Verstand herausfordernde Weise.

Lang wird dem Schelm, der in Brecht steckte, gerecht und zieht «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» eben nicht als sprödes Stück deutscher Kultur auf, bei dem man bloß nicht lachen darf. Gewiss, ein süffisantes Lachfest ist der Film auch nicht geworden, dennoch unterstreicht Lang verschmitzt die Doppeldeutigkeiten und Frivolitäten in der «Dreigroschenoper», ebenso zieht er viel satirischen Witz aus Brechts Kampf gegen die Windmühle namens Filmindustrie. Daher ist es geradezu ein Geniestreich, Lars Eidinger als Brecht zu besetzen:

Der «Terror – Ihr Urteil»-Mime, der in einer unvergesslichen «Schulz & Böhmermann»-Folge die Rolle eines eitlen Theaterschauspielers übernahm, ist die absolute Idealbesetzung und spielt Brecht mit dauerhaft mokantem Sprachduktus und genüsslich-spöttischem Grinsen. Der intensive Spielspaß, den Eidinger mitbringt, sifft geradezu von der Leinwand und verleiht den Filmpassagen, in denen Brecht ebenso eloquent wie fundiert über tumbe Geldgeber, das experimentierunwillige Publikum und seine eigene, gelegentliche Doppelzüngigikeit schimpft, eine kecke Grundstimmung. Das verhindert, dass «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» belehrend und 'von oben herab' wirkt – und fügt sich bestens in die Sequenzen, in denen Eidinger alias Brecht gen Kamera blickt und freudig die sogenannte vierte Wand durchbricht, um entweder den Film-im-Film zu stören oder sarkastisch durch Spielereien daran zu erinnern, dass auch die hier gebotene Nacherzählung realer Ereignisse bloß ein Film ist.

Wer A sagt, muss nicht B sagen, er kann auch erkennen, dass A falsch war.


Eidingers brillante Darstellung Brechts profitiert zweifelsohne von Langs profunden Brecht-Kenntnissen, die er behände ins Skript eingewoben hat: Wenn Eidingers Brecht den Mund aufmacht, so kommen Brecht-Zitate heraus. Was in vielen Autorenhänden womöglich zu einem verbalen Flickenteppich verkommen wäre, wird in «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» zu einem nahtlosen, organischen Dialog- und Monologskript. Dieser beeindruckenden Leistung steht zuweilen Langs Zurückhaltung hinsichtlich der Illusionsbrechungen (oder um im Brecht-Vokabular zu bleiben: Verfremdungseffekte) gegenüber.

Lang bedient sich nämlich weitestgehend am kleinen Einmaleins dieses Stilmittels: Neben Brecht wenden sich gelegentlich auch weitere Figuren und Filmversionen realer Personen ans Publikum, hier und da weicht der prunkvolle Realismus der Ausstattung einer betont-gekünstelten Bühnenhaftigkeit (Joe Wrights «Anna Karenina» lässt grüßen) oder wird gar durch (gern von Brecht angekündigte) impressionistische Elemente gebrochen. Da scheinen bei einem romantischen Spaziergang während Brechts Wunsch-«Dreigroschenfilm» auch mal zwei Monde, unter denen die Liebenden entlang spazieren, während ein zufrieden-schelmischer Brecht dem baffen Produzenten seine Intention erklärt. An anderer Stelle wird die erdgetönte Farbästhetik, in die Kameramann David Slama ein Gros des Geschehens taucht, bewusst verletzt. Teils um die Stimmung einer Szene zu stärken, teils augenscheinlich ohne tieferen Grund – ein Vorgehen, dass Slama bereits von Adolf Winkelmanns «Junges Licht» gewohnt sein dürfte.

Und selbstredend zersplittert innerhalb des «Dreigroschenfilms» einmal die Kameralinse. Ein recht altbackener Trick im illusionsbrechenden Kino, den Lang sozusagen im Tandem mit einem anderen Klassiker anwendet, wenn Brecht in der vermeintlich realen Filmebene, dem Hinter-den-Kulissen-Drama, die Kamera bepinselt. Größere, innovativere Verfremdungseffekte verkneift sich der Regisseur derweil. Er besinnt sich eher darauf, mit zuspitzender Dramatik die Handlungs- und Metaebenen zu verwischen, bis die Ereignisse aus der bereits existierenden «Dreigroschenoper» auf Brechts Unmut mit der Gesellschaft, in der er lebt, zu reagieren scheinen – die wiederum Magenschmerzen verursachende Parallelen mit Langs Gegenwart aufweisen. Das stellt der Regisseur ebenso mit Sarkasmus und Galgenhumor wie auch mit Kunstfertigkeit oder Tragik zur Schau. Wenn Eidinger seine Süffisanz einstellt, und über gesellschaftlich falsch kanalisierte Wut den Kopf schüttelt, oder Peri Baumeister als sonst so charmant-aufgeweckte Übersetzerin Elisabeth Hauptmann erschrocken ins Leere blickt, hat dieser tonale Wechsel sogar mehr Wucht als so manche bildliche Gegenüberstellung von Brechts Fiktion, den 'wahren' 30ern und dem Heute, die Lang skizziert.

Während Lang seine Gesellschafts- und Medienindustriekritik in «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» mit brecht'scher Launenhaftigkeit vorträgt, bleibt er bei der Umsetzung der «Dreigroschenoper»-Musik zumeist in einer vorlagengetreuen Ehrfurcht verhaftet. Selbst wenn Choreograf Eric Gauthier die Frivolität der Vorlage modern-augenzwinkernd zelebriert, bleibt Lang auf klanglicher Ebene in den späten 20er-Jahren: Tobias Moretti, der als Macheath ganovenhaft imposant auftritt, knarrt und knurrt, wenn er singt, und Hannah Herzsprung darf als Polly genauso sehr an heutigen Hörgewohnheiten vorbei schmettern und wimmern. Die Ambition ist darin spürbar und imponierend. Wie sehr es in Brechts Sinne ist, das moderne Publikum durch originalgetreuen Gesang zu verschrecken oder aber zu fordern – das bleibt ein spannender Diskussionspunkt.

Fazit


Brecht-Novizen werden von Eidingers ansprechender, launiger Darbietung als Brecht in die Theorien und Überzeugungen des Autoren eingeführt, Brecht-Kenner können sich an Langs Passion ergötzen: «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» ist fordernde, kultivierte, gute Unterhaltung!

«Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

13.09.2018 12:54 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/103754