WM-Quoten: Leiden ARD und ZDF unter der Abstinenz Italiens und der Niederlande?

Gleich zwei große Fußball-Nationen fehlten bei dieser WM-Endrunde, mit der Türkei war darüber hinaus das Land mit der größten Zahl an Zuwanderern nicht vertreten. Ging das zulasten der Quoten? Und welchen Bärendienst erweist eigentlich die deutsche Nationalmannschaft mit ihrem desolaten Auftreten den beiden Sendern?

Wie sind wir vorgegangen?

  • in erster Linie fokussierten wir uns auf die Quoten der WMs 2010, 2014 und 2018 - bei der Türkei mussten wir auf die Daten der EMs 2008 und 2016 zurückgreifen
  • für den Vergleich der Vorrunden-Mittelwerte mit den Quoten von Italien, den Niederlanden und der Türkei nahmen wir die Deutschland-Spiele aus der Wertung, die offensichtlich stets überragten
  • ebenfalls nicht berücksichtigt haben wir beim dritten Vorrunden-Spieltag die Parallelspiele, die auf Spartensendern oder in Sat.1 gezeigt wurden (nur Das Erste und das ZDF zählten also
  • aufgrund unterschiedlicher Anstoßzeiten je nach Turnier konzentrierten wir uns stärker auf die Marktanteile als auf die Zuschauerzahlen (bessere Vergleichbarkeit)
Was gibt es in diesen Tagen Gutes über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu sagen? Man muss in seiner Verzweiflung schon tief in die Trickkiste greifen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sich diesmal tatsächlich die Bundesrepublik mehr als jedes andere Team bis auf die Knochen blamiert hat. Die 95. Minute gegen Schweden bleibt, vielleicht auch noch die restliche zweite Halbzeit in diesem Spiel, aber sonst... nicht viel. Außer vielleicht noch die Tatsache, dass mit Italien und den Niederlanden zwei große Fußball-Nationen noch nicht einmal die Möglichkeit hatten, sich vor hunderten Millionen Zuschauern zu blamieren, weil sie die Qualifikation für das Turnier verpasst haben. Ja, das nehmen wir mal.

Und dann ist diese WM doch eh nicht so das Gelbe vom Ei. Mit Russland fungiert eine Nation als Gastgeber, die anders als Brasilien noch nicht allzu oft mit großer Fußball-Euphorie aufgefallen ist und im Kontext Sport eher mit Schlagzeilen zu den Themen Korruption und Doping auffallen. Und Deutschland war eh schon Weltmeister, da ist der ganz große Erfolgshunger erst einmal wieder gesättigt. Derartige Aussagen waren in den vergangenen Wochen sehr häufig zu hören - und zwar nicht erst seit dem deutschen Aus. Die Nation war sich weitgehend einig in ihrer gedämpften Euphorie.

Wir aber wollen es genauer wissen und haben die Vorrunden-Einschaltquoten der jünsten drei Weltmeisterschaften miteinander verglichen. Ist das deutsche Stimmungstief eher ein Gefühltes oder lässt es sich numerisch untermauern? Welche Rolle spielt die Abstinenz von Italien und den Niederlanden? Waren sie bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften die Quoten-Garanten, die man in hinter solch großen Namen vermuten kann? Wie sieht es eigentlich mit der Türkei aus, der größten Migrantengruppe in Deutschland? Und was ist eigentlich für die Hauptrunde zu erwarten, wo auch ARD und ZDF erstmals seit 14 Jahren nicht auf den Quotengaranten Deutschland setzen können? Fragen über Fragen, denen es nachzugehen gilt.


Italien: Sportlich zuletzt mickrig, aber die Quote stimmte stets


Blicken wir auf die Performance der italienischen Nationalmannschaft bei den letzten beiden WM-Endrunden, ist zunächst einmal zu sagen: Es hatte sich sportlich durchaus angedeutet, dass die Squadra Azzurra die Qualifikation für das Turnier auch mal verpassen könnte - sowohl 2010 als auch 2014 war nach mitunter einigermaßen erbärmlichen Auftritten bereits nach der Vorrunde Schluss. Hinsichtlich der Einschaltquoten war dies für ARD und ZDF bereits da eine bittere Pille, die es zu schlucken galt, denn die jeweils drei Vorrunden-Partien lagen allesamt oberhalb des Vorrunden-Schnitts: 2010 wurden zwischen 42,6 und 47,3 Prozent des Gesamtpublikums sowie zwischen 45,4 und 48,4 Prozent der 14- bis 49-Jährigen erzielt, im Durchschnitt gelangten die drei Übertragungen auf sehr gute 45,0 bzw. 46,4 Prozent - jeweils knapp fünf Prozentpunkte mehr, als ARD und ZDF im Vorrunden-Schnitt erreichten (40,6 und 42,0 Prozent).

Vier Jahre später sah es dann ähnlich aus: Mit 50,5 und 51,7 Prozent im Mittel erreichten die drei Spiele damals sogar mehr als die Hälfte der zur jeweiligen Übertragungszeit fernsehenden Menschen - die Marktanteile von ARD und ZDF betrugen innerhalb der Vorrunde dagegen nur 43,5 und 45,0 Prozent. Man kann also durchaus davon sprechen, dass Italien einer der Quotengaranten fernab der deutschen Nationalelf war - und das, obwohl nur ein einziges Spiel der Italiener zur Primetime ausgestrahlt werden konnte. 2010 lief Italien gegen Paraguay um 20:30 Uhr und erreichte mit 13,43 Millionen gleich mal eine Zuschauerzahl, die heuer nur von Jogis Jungs übertroffen wurde. Fantastisch waren auch die 56,6 und 58,0 Prozent, die vier Jahre später für den Vorrunden-Kracher gegen England aus dem Hut gezaubert wurden. Auf vergleichbar starke Werte kam 2018 bislang nur das Spiel zwischen Argentinien und Island mit knackigen 54,7 und 60,8 Prozent.


Die Niederlande: Nicht per se die große Quoten-Nation


Während sich bei Italien also kaum bestreiten lässt, dass es bei den vergangenen WM-Turnieren die Quoten der beiden Sender signifikant in die Höhe getrieben hat, gibt es bei unseren orangenen Nachbarn ein großes Aber: Im Jahr 2010 waren die Werte der Niederländer in der Vorrunde nun sicherlich keine, nach denen sich ARD und ZDF die Finger lecken: Das erste Spiel kam auf überdurchschnittliche 44,1 Prozent-Gesamt-Marktanteil, während bei den Jüngeren leicht unterdurchschnittliche 40,6 Prozent zu Buche standen. Das zweite Spiel gegen Japan lief dann mit 33,5 und 36,2 Prozent sogar einigermaßen schwächlich, das dritte gegen Kamerun wurde dann nicht auf großer Bühne gezeigt. Gleichwohl: Beide Partien liefen zur eher ungünstigen Zeit um 13:30 Uhr, wo die Deutschen häufiger mal noch nicht so recht in WM-Stimmung sind.

Vor vier Jahren sah es dann ganz anders aus: Mit 14,58 Millionen Zuschauern begeisterte vor allem das erste Vorrunden-Spiel gegen Spanien und verbuchte eine Reichweite, der man in der Vorrunde 2018 noch nicht einmal nahe kam. Fraglich allerdings ob hier die Niederländer oder nicht eher die ebenfalls oft sehr gute Einschaltquoten hervorbringenden Spanier für diesen Topwert verantwortlich zeichneten - oder vielleicht auch einfach die sehr attraktive Paarung an sich. Hinsichtlich der Marktanteile performte das anschließende Gruppenspiel gegen Australien aber mit 49,9 und 51,0 Prozent ähnlich gut wie die vorherige Begegnung, einzig das Spiel gegen Chile fiel hintenraus mit "nur" 44,0 und 44,7 Prozent ins ordentliche Mittelmaß ab. Aber: Die durchschnittlichen Marktanteile der Niederländer lagen mit 47,9 und 49,5 Prozent weit oberhalb des Vorrunden-Schnitts von damals 43,5 und 45,0 Prozent.

Und im Gegensatz zu Italien konnte bei der Elftal nun wahrlich nicht von einem WM-Versagen die Rede sein: 2010 erreichte sie das Finale, 2016 zumindest das Halbfinale. Damit war sie in beiden Fällen unter den Partien ohne deutsche Beteiligung, welche die besten Einschaltquoten des jeweiligen Turniers erzielten: Vor acht Jahren begeisterte natürlich das Finalspiel am stärksten, wo sensationelle 71,4 und 70,9 Prozent bei 25,11 Millionen gemessen wurden. Das Endspiel gegen die Spanier war zwar kein Offensiv-Feuerwerk, aber sehr umkämpft, sodass es in die Verlängerung ging - was den Werten ebenfalls auf die Sprünge half. Vier Jahre später standen für das Halbfinalspiel gegen Argentinien bereits ähnlich fantastische 72,9 und 71,2 Prozent bei allerdings nur 19,52 Millionen zu Buche - was auch damit zusammenhängt, dass es erst um 22 Uhr deutscher Zeit angestoßen wurde. Dieses Spiel wurde dann sogar erst im Elfmeterschießen entschieden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob die Türkei bei den wenigen Turnieren, an denen sie zuletzt überhaupt partizipiert haben, für besonders starke Quoten gesorgt hat. Außerdem: Warum Deutschlands Vorrunden-Aus für ARD und ZDF gleich doppelt bitter ist.


Quoten-Türken? Nein, eher nicht.


Eher im Bereich der Ankerheuristik ist derweil offenbar die Vermutung anzusiedeln, dass mit der Türkei die ganz große Quote zu machen ist. Zumindest im Rahmen der Europameisterschaften 2008 und 2016, auf die wir für diese Analyse zurückgreifen mussten, da sich das Land bereits zum vierten Mal in Folge nicht für eine WM qualifizieren konnte, ließen sich dafür keine statistisch signifikanten Werte ausmachen. 2008 etwa verzeichnete man respektable 44,4 Prozent aller bzw. 46,2 Prozent der jüngeren Konsumenten mit den drei Vorrundenspielen, der Vorrunden-Schnitt lag allerdings bei ebenso starken 45,1 und 45,8 Prozent. Vor zwei Jahren wiederum wurden nur 40,4 und 42,5 Prozent erzielt, allerdings lief das letzte Spiel gegen Tschechien nur in Sat.1 und war dort chancenlos gegen die öffentlich-rechtliche Konkurrenz - mit 38,8 und 40,8 Prozent fiel auch hier der gruppenübergreifende Turnier-Mittelwert nahezu genauso hoch aus.

Dieser Befund überrascht, könnte man doch davon ausgehen, dass viele Deutsche türkischer Herkunft die Spiele ihrer Elf verfolgen und damit die Quoten in die Höhe treiben. An der Attraktivität der Gegner scheiterte es aber mit Sicherheit nicht: Mit Spanien und Portugal hatte man zwei eigentlich eher als Quotengaranten bekannte Antagonisten, mit Kroatien, der Schweiz und Tschechien darüber hinaus auch sicherlich keine Laufkundschaft. Herausragend war allerdings nur das Interesse im Zuge des deutsch-türkischen Aufeinandertreffens im Halbfinale 2008: Fantastische 29,54 Millionen Zuschauer und 81,8 bzw. 85,2 Prozent wurden erzielt. Allerdings kann man diesbezüglich schüchtern mutmaßen, dass für diese grandiose Quote in erster Linie die deutsche Nationalelf verantwortlich war.


Quotenschwund 2018? Noch nicht, aber nach frühem Deutschland-Aus wahrscheinlich


Vorrunden-Schnitte MIT Deutschland

  • 2010: 9,18 Mio. (43,5% / 45,1%)
  • 2014: 9,77 Mio. (46,3% / 48,0%)
  • 2018: 9,23 Mio. (43,1% / 46,1%)
Die auf Spartenkanälen ausgestrahlten Parallelspiele am letzten Vorrunden-Spieltag wurden auch hier ausgeklammert.
Fasst man die drei vorherigen Kapitel zusammen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Niederlande und die Türkei bei den vergangenen Großturnieren kaum an der Gesamtbilanz geschraubt haben - bei Italien lässt sich ein kleiner Effekt herausarbeiten, aber auch dieser Verlust ist letztlich aus der Sicht von ARD und ZDF verschmerzbar. Und wenn in diesen Tagen häufiger mal die Rede davon ist, dass die WM-Vorrunde diesmal bei weitem nicht so stark frequentiert war wie in Brasilien 2014, dann sollte fairerweise auch erwähnt werden, dass sich diese deutlich gegenüber der WM in Südafrika gesteigert hatte. Summa summarum stehen in diesem Jahr für alle im Hauptprogramm ausgestrahlten Spiele ohne deutsche Beteiligung durchschnittlich 39,9 Prozent des Gesamtpublikums und 42,8 Prozent der 14- bis 49-Jährigen bei 7,84 Millionen Fußballfans auf dem Papier - fast identische Werte wie vor acht Jahren (40,6 und 42,0 Prozent bei 7,79 Millionen), einzig 2014 sticht mit 43,5 und 45,0 Prozent bei 8,45 Millionen ein wenig raus.

In einem Punkt aber unterscheidet sich diese Weltmeisterschaft tatsächlich von beiden vorherigen: Es fehlen die Extrema. Nachdem bereits am zweiten Turniertag das Spiel zwischen Spanien und Portugal über 13 Millionen Zuschauer eingefahren hatte, blieben solch hohe Werte in der Folge komplett aus. In Brasilien dagegen hatten noch fünf Partien mehr als 13 Millionen Menschen erreicht, zwei davon (das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien sowie Spanien gegen Chile) erreichten sogar deutlich mehr als 15 Millionen. Und selbst in Südafrika war es immerhin vier Partien gelungen, diese Marke zu übertreffen, wobei amüsanterweise Brasilien gegen den totalen Underdog Nordkorea mit 13,88 Millionen am stärksten lief. Auf der anderen Seite gab es jedoch in diesem Jahr lange Zeit überhaupt keine echten Rohrkrepierer, die deutlich unter 40 Prozent lagen. Hier punktet die WM in Russland bislang also, generiert aber kaum Schlagzeilen - wer macht schon gerne mit "Neuntes Spiel in Folge hängt sehr solide bei 40 Prozent Marktanteil rum" auf?

Bemerkenswert ist allerdings die deutliche Abwärtstendenz an den letzten beiden Tagen der Vorrunde: Nachdem sich die deutsche Nationalmannschaft ihre bittere Ohrfeige von Südkorea abgeholt hatte und erstmals seit 2004 wieder schon in der Vorrunde bei einem großen Turnier ausschied, enttäuschte am Abend schon Serbien gegen Brasilien mit "nur" 8,73 Millionen. Als dann am Freitag noch die Entscheidungen in Gruppe G und H ausstanden, erzielten die übertragenen Spiele sowohl um 16 Uhr als auch um 20 Uhr reihenweise neue Turnier-Negativrekorde - am Abend sahen nicht einmal mehr acht Millionen die Partie zwischen England und Belgien, die Marktanteile sackten bei Jung und Alt auf erstaunlich überschaubare rund 30 Prozent ab. Scheint also so, als sei mit Deutschlands Ausscheiden für einen nicht ganz unerheblichen Teil des Publikums im Grunde die gesamte Fußball-WM gelaufen.

Und damit droht das erstaunlich frühe Ausscheiden Deutschlands in doppelter Hinsicht für ARD und ZDF zum Quoten-Fiasko zu werden: Einerseits, weil natürlich vier Spiele mit deutscher Beteiligung fehlen, mit denen ohne große Mühen weit mehr als 20 Millionen Zuschauer sicher eingeplant werden konnten. Darüber hinaus aber auch noch, weil sich die Anzeichen massiv verdichten, dass viele Bundesbürger die Spiele der anderen Teams nicht mehr zu verfolgen bereit sind, wenn die deutsche Elf keine Rolle mehr in dem Turnier spielt. Und dieser Doppelschlag dürfte die öffentlich-rechtlichen Sender weitaus härter treffen als die Frage, ob neben Deutschland nun große Fußballnationen oder eher kleinere Namen noch um den Titel kämpfen. Löw und sein überwiegend lethargisch und satt wirkendes Team dürften also der Hauptgrund dafür sein, dass sich die beiden austragenden Sender schon jetzt auf saftige Verluste in der Hauptrunde gefasst machen dürfen. Nicht Italien, noch weniger die Niederlande und schon gar nicht die Türkei.
02.07.2018 10:30 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/102024