Wenn reale Ereignisse den Disney-Plot mitschreiben

Die «Roseanne»-Absetzung ist das jüngste von vielen Beispielen, wie der Disney-Konzern auf echte Vorfälle mit seinen Talenten eingeht.

Dass in Zeiten, in denen Menschen, die rassistischen Unsinn twittern, erfolgreiche Politkarrieren haben können, wenigstens Schauspieler mit so etwas nicht mehr weiter kommen, ist eigentlich beruhigend: Der Disney-Konzern setzte nach geschmacklosen Tweets von Roseanne Barr deren Sitcom ab und verzichtet zudem darauf, die Serie wie geplant nach Deutschland zu importieren. Und auch, wenn dieser Vorfall große mediale Wellen geschlagen hat, ist dies längst nicht das erste Mal, dass reale Vorkommnisse beeinflussen, wie es mit einer Produktion des Disney-Konzerns weitergeht. Die Walt Disney Company ist berühmt für einen strengen Moralkodex – so wurde Schauspieler Columbus Short aus der ABC-Serie «Scandal» geschrieben, nachdem ihm wiederholt häusliche Gewalt vorgeworfen wurde.

Allein schon unter Bob Igers Führung des Disney-Konzerns kam es zu diversen weiteren Beispielen, in denen der Unterhaltungsgigant sich mit Aussagekraft positioniert hat. Dabei ist Disney vor allem scheu, Kontroversen auszulösen: Das Unternehmen fährt eine liberale Philosophie, schreckt aber davor zurück, diese so offensichtlich zu machen, dass es das konservative Publikum langfristig verärgern konnte. So musste eine Episode der ABC-Serie «black-ish» in den Giftschrank wandern, die sich solidarisch gegenüber NFL-Spielern zeigen sollte, die aus Protest vor rassistisch motivierter Polizeigewalt vor der US-Flagge knien.

Obgleich Disney-Chef Iger kritisch gegenüber Trump ist und zeitweise plante, als Kandidat der Demokraten bei der nächsten US-Wahl gegen ihn anzutreten, belegte er diese Folge mit einem Bann, da sie Trump-Unterstützer zu sehr aufbringen könnte. Die «Roseanne»-Absetzung ist dahingehend sowas wie ausgleichende gesellschaftspolitische Gerechtigkeit. Weitere Fälle von Disneys Moralkodex und den Ausnahmen, die er zu machen gewillt ist …

Trinke verantwortungsvoll


Ein Fehlverhalten, gegen das im Disney-Konzern schon wiederholt streng vorgegangen wurde, ist Autofahren im angetrunkenen Zustand. Sowohl Cynthia Watros als auch Michelle Rodriguez verloren Mitte der 2000er-Jahre, nachdem sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurden, ihren Status als wichtige Darsteller im «Lost»-Kosmos. Und 2011 erging es Mitchell Musso ähnlich, um nur ein weiteres Exempel zu nennen:

Der Disney-Channel-Star führte durch die in den USA populäre Versteckte-Kamera-Show «Prank Stars» und hatte eine der beiden Hauptrollen in der Sitcom «Pair of Kings – Die Königsbrüder». Als er mit Alkohol am Steuer erwischt wurde, urteilte man, mit diesem schlechten Vorbild nicht weiterarbeiten zu wollen, weshalb «Prank Stars» abgesetzt und Musso aus «Pair of Kings – Die Königsbrüder» rausgeschrieben wurde.

Nahezu parallel dazu kam es bei einer anderen Disney-Channel-Serie zu einer Neukonzipierung: Demi Lovato, die neben ihrer Karriere als «Sonny with a Chance»-Hauptdarstellerin bereits als Popstar tourte, schlug während eines Fluges im benebelten Zustand einer Hintergrundtänzerin ins Gesicht. Lovato selbst zog die Notbremse und ließ mehrere Musikengagements platzen und ließ sich aus ihrer Serie schreiben, um Zeit für eine Kur zu haben. «Sonny with a Chance» wurde für eine dritte und letzte Staffel zur Sketchserie-innerhalb-der-Serie umgewandelt. Repressionen gab es allerdings nicht: Lovato blieb unter dem Disney-Plattenlabel Hollywood Records unter Vertrag und sang 2013 die Abspannversion von "Let It Go" in «Die Eiskönigin».

LGBTQ-Repräsentation


Der Disney-Konzern als Ganzes operiert hinsichtlich der Repräsentation nicht-heterosexueller Personen ähnlich wie ganz Hollywood: Repräsentativ abgebildet ist die LGBTQ-Gemeinde noch lange nicht, doch sie findet immerhin statt. In Produktionen des Disney-Konzerns, die nicht unter der familienorientierten Disney-Hauptmarke laufen, lässt sich auf Jahrzehnte mal klischeehafter und mal positiver Darstellung zurückblicken. Da liegt «Chasing Amy» dicht an dicht mit Projekten wie «Vater der Braut», «Jessica Jones», «Der talentierte Mr. Ripley» oder «Desperate Housewives».

Unter dem Disney-Markennamen wiederum steht es um die Repräsentation deutlich schlechter bestellt – mutmaßlich, weil die Marke auch in vielen konservativen Haushalten Wertschätzung erfährt und man diese Geldquelle nicht versiegen lassen will. Zumeist beschränkt sich die Repräsentation also auf flüchtige Anspielungen oder auf Grauzonen, die dem Publikum Freiraum zur Interpretation einbringen. Und wenn Disney doch deutlicher wird, folgen leider auch meist prompt lächerliche Sanktionen der erzkonservativen Welt. So wurde die «Die Schöne und das Biest»-Realfilmversion mit ihrem Sekundenbruchteil an schwuler Repräsentation in einigen Ländern prompt mit einer harschen Jugendfreigabe versehen.

Kurios ist, wie sehr eine andere Disney-Produktion in der Debatte über Disneys Umgang mit der LGBTQ-Gemeinde übersehen wird: In der Serie «Meine Schwester Charlie» wurde schon 2014, also drei Jahre vor dem viel besagten «Die Schöne und das Biest»-Realfilm, mit großer Selbstverständlichkeit ein Lesbenpärchen eingeführt – wenn auch erst in der vorletzten Episode der Serie.

Was Disney bislang an Repräsentation auf dem Bildschirm und der Leinwand missen lässt, jedenfalls wenn der Flaggschiff-Markenname zu sehen ist, gleicht sie wenigstens hinter den Kulissen wieder aus: Die Human Rights Campaign Foundation zeichnete den Konzern Ende 2017 zum zwölften Mal in Folge als den besten Arbeitgeber für LGBTQ aus, auch andere Organisationen kürten Disney wiederholt in dieser Hinsicht als Vorbild aus. In der Hinsicht ist es nur konsequent, dass Disney zu den Hollywood-Konzernen gehört, die drohten, keine Filme und Serien mehr in Georgia zu produzieren, sollte dort das Gesetz durchgedrückt werden, dass Firmen LGBTQ-Kundschaft diskriminieren dürfen, um so "ihre religiöse Freiheit" auszuleben.

In Tennessee wurde sogar ein ähnliches Gesetz durchgewunken: Rechtsberater erhielten die Erlaubnis, Leute aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus ihrer Kanzlei zu werfen. Als das Gesetz abgenickt wurde, setzte ABC kurz darauf seine weiterhin solide laufende Country-Dramaserie «Nashville» ab.

Time's up


Im Zuge der #MeToo- und Time's-up-Bewegungen wurde im Hollywoodgeschäft aufgeräumt. Die Karriere des Produzenten Harvey Weinstein ist unwiderruflich vorbei, Kevin Spacey wurde nach ihn betreffenden Anschuldigungen aus «House of Cards» und «Alles Geld der Welt» geschmissen und Warner feuerte den «Supergirl»-Showrunner Andrew Kreisberg aufgrund mehrfachen Fehlverhaltens.

Auch einige Disney-Produktionen wurden von diesem Ruck, der durch das Mediengeschäft ging, beeinflusst. So wurde Schauspieler Jeffrey Tambor, dem sexuelle Belästigung am Set der Amazon-Serie «Transparent» vorgeworfen wird, aus dem Sprechercast der Trickserie «Star gegen die Mächte des Bösen» gekegelt. Und in einem Fall rekursiver Castingentscheidungen ging «Willkommen in Gravity Falls»-Schöpfer Alex Hirsch über ein Jahr nach Beendigung der Serie zurück ans Mischpult ging, um Komiker Louis C.K. aus seinem Format zu streichen. Der Entertainer, der sich wiederholt gegen ihren Willen vor Kolleginnen selber befriedigt hat, sprach eine Cameorolle im dreiteiligen Serienfinale. In der neuen Fassung dieser Folgen spricht Hirsch höchstpersönlich die Passagen, die zuvor C.K. einsprach.

Dann aber wäre da der Fall John Lasseter: Der Kreativchef der Pixar Animation Studios und der Walt Disney Animation Studios kündigte im November 2017 an, eine Auszeit zu nehmen, um sein Verhalten zu überdenken. Lasseter selbst erklärte in einem Schreiben, er habe erfahren, dass sich einige seiner Angestellten in seiner Anwesenheit unwohl fühlen und "ungewollte Umarmungen" erhalten hätten. Diverse Branchenportale berichteten anschließend unter Berufung auf anonyme Quellen, Lasseter hätte darüber hinaus die Angewohnheit gehabt, weibliche Mitarbeiter andauernd zu betatschen und auf Firmen- und Branchenpartys weit, weit über die Stränge zu schlagen und zudem ein taubes Ohr für Ideen weiblicher Teammitglieder zu haben.

In diesem Fall werden laut einigen Branchendiensten bei der Bestrafung nur die Samthandschuhe angezogen: Lasseter wird gerüchtweise in leicht geschmälerter Form zu Pixar und den Disney-Trickstudios zurückkehren. So soll er seine Entscheidungsgewalt im Personalmanagement verlieren, aber weiterhin in hoher kreativer Position an den Projekten der Studios mitwirken.
07.06.2018 13:21 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/101450