Problem-WM 2018: Putin lädt ein – doch wie berichten ARD und ZDF?

Die Fußball-WM 2018 hat einen politischen Beigeschmack, den viele Fans und Medien zu gerne ausblenden würden, andere aber umso lauter anprangern. Wie werden ARD und ZDF vorgehen?

Facts zur Fußball-WM 2018 in Russland

  • Austragungsort: Russland
  • Anzahl Nationen: 32
  • Spiele: 64
  • Eröffnungsspiel: 14. Juni 2018
  • Endspiel: 15. Juli 2018
  • Produktion: Host-Broadcasting-Produktion (FIFA) & Host Broadcast Services (Schweiz)
  • Free-TV-Übertragung: ARD/ZDF, bei Parallelspielen auch ARD One und ZDFinfo
  • Pay-TV-Übertragung: Sky (25 Partien im UHD-Format)
Wenn es um Fußball geht, schlägt das deutsche Herz nach wie vor höher. Nicht umsonst stellt der Ballsport die mit weitem Abstand beliebteste Sportart hierzulande dar, die andere Leibesübungen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig in den Hintergrund drängt. Basketball, Handball, Eishockey – diese Sportarten müssen sich entweder mit Programmplätzen auf kleinen Sendern, im Pay-TV oder zu unattraktiven Uhrzeiten abfinden. Der Fußball überragt alles, was sich nicht zuletzt an den horrenden Summen ablesen lässt, die Anbieter für Übertragungsrechte hinblättern müssen. Der Fußball verbindet Menschen und Kulturen, laut offiziellen Zahlen hat die Hälfte der Menschheit das Finale der Fußball-WM 2014 angesehen. Das Finale, das Deutschland gewann und den Sport hierzulande noch heiliger werden ließ als ohnehin schon.

Entzauberte WM: Diese Gewissenskonflikte plagen Sportfans


Deshalb belastet den gleichzeitig politisch und sportinteressierten Deutschen dieser Tage ein Gefühl der Dissonanz. Die anstehende Weltmeisterschaft stellt für viele ein absolutes Highlight dar. Grillen und Bier mit den Freunden oder gleich Public Viewing auf der Fanmeile, um die Euphoriewelle, die die deutsche Elf verbreitet hautnah mitzuerleben, werden auf dem Plan vieler Deutscher stehen. Nur: Der Wettbewerb findet in Russland statt. Das Verhältnis zum flächenmäßig größten Land der Welt war in Deutschland schon immer gespalten. Politisch waren die Beziehungen in der Geschichte der Bundesrepublik eigentlich dauerhaft mindestens konfliktbehaftet, doch die wirtschaftlichen Interessen hielten die Beziehungen aufrecht. Zuletzt verschärfte sich die Lage jedoch.

Themen verschiedenster Art sorgen nun für Gewissenskonflikte und könnten zur Folge haben, dass der geneigte Unterstützer der deutschen Auswahl diesmal etwas weniger mitfiebert als sonst. Aus verschiedenen Ländern wurden seit Bekanntgabe des Stattfindens der WM in Russland Boykottaufrufe laut, die aus politischer Sicht vor allem mit der Krimkrise und mit dem Krieg in der Ostukraine zusammenhängen. Zuletzt sorgte die mysteriöse Skripal-Affäre dafür, dass etwa die britische Premierministerin Theresa May verkündete, keine britischen Repräsentanten nach Russland schicken zu wollen. Weitere kritische Stimmen hingen mit den Enthüllungen in Bezug auf Staatsdoping in Russland zusammen, die sich auch auf Fußballer der russischen Auswahl bei der WM 2014 bezogen.

Andere Kritiker der WM-Vergabe beziehen sich auf die problematische Menschenrechtssituation, wonach Regime-Gegner in Russland mundtot gemacht werden. Von der eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit könnten auch Journalisten betroffen sein. So soll eine „Liste unerwünschter Personen“ kursieren, auf der auch SWR-Doping-Experte Hajo Seppelt stand, dessen Visum von Russland zunächst für ungültig erklärt wurde. Welche Einschränkungen haben andere Journalisten zu befürchten? Drei Monate vor Beginn der WM nahm die FIFA schließlich noch Ermittlungen gegen Russland wegen Rassismus-Vorwürfen auf. Teile der russischen Fanszene seien für Gewaltbereitschaft und Rassismus bekannt, hieß es in einem Bericht des Bundeskriminalamts. Im März hatten Zuschauer in Sankt Petersburg Affenlaute in Richtung dunkelhäutiger Spieler der französischen Landesauswahl von sich gegeben. Krimkrise, Skripal-Affäre, Staatsdoping, Einschränkungen der Pressefreiheit und Rassismus. Wie skandalös wird diese WM?

Dabei wurde die eigentliche Reizfigur noch gar nicht erwähnt: Wladimir Putin, der die WM mutmaßlich dafür instrumentalisiert, um seine Macht und die Zustimmung im Land weiter zu untermauern. Auch die Vergabe der WM umgaben ja bereits Mutmaßungen um mögliche Korruptionsvorfälle und Stimmenkauf. Die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft verschafft ihm derweil auch nach außen hin einen derart großen Trumpf, dass es sich die Delegationen der einzelnen Länder schlicht nicht leisten können, der WM fernzubleiben.

Wie lautet die Strategie von ARD und ZDF?


In der Bevölkerung scheiden sich die Geister. Fußball und Politik seien zwei Paar Schuhe, sagen die einen. Die Teilnahme, der Besuch und die Rezeption der Fußball-WM in Russland verschaffen dem Diktator Putin weitere Legitimation, sagen andere, die das anstehende Sportevent verurteilen. Eine interessante Frage, die Beobachter bislang vernachlässigt haben, lautet: Wie gehen ARD und ZDF damit um, deren Gewissenskonflikt vermeintlich noch viel größer ist als der deutscher Fußballfans. Laut Berichten des „Spiegel“ zahlten die öffentlich-rechtlichen Anstalten 218 Millionen Euro für die Übertragungsrechte an der Fußball-Weltmeisterschaft 2018, um diese live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeigen zu können. Für den WM-Zeitraum wurden neue Formate geschaffen und fleißig neue Experten verpflichtet. Wie gehen die Sender mit der brisanten Situation um das Turnier um, wenn aus wirtschaftlicher Sicht viel auf dem Spiel steht?

Dass Das Erste und das ZDF auf die mannigfaltigen Bedenken, die die Großveranstaltung umgeben, Bezug nehmen muss, steht außer Frage. Schon immer widmeten sich die Sportberichterstattung und selbst Programme ohne Sportbezug im WM-Zeitraum dem Gastgeberland. Häufig wurde Zuschauern die Kultur nähergebracht, aber auch die Lage im Gastgeberland, das eigentlich immer, wie jede andere Nation auch, mit Problemen verschiedenster Art zu kämpfen hat. So befassten sich die Medien im Jahr 2014, auch ARD und ZDF, mit der unzureichenden Organisation der WM in Brasilien, mit Korruptionsberichten oder mit Zwangsumsiedlungen in den Spielorten. In Russland besitzt die Kritik, die die Veranstaltung begleitet, jedoch ein anderes Ausmaß. Besonders im Hinblick auf Putin und dessen womögliche Instrumentalisierung der WM hat die Veranstaltung einen Beigeschmack und Einfluss auf weltpolitische Problemfelder, die auch Deutschland betreffen.

Weil ARD und ZDF einem Programmauftrag unterliegen, können die Sender diese Themen jedoch nicht totschweigen. In Schwerpunktberichten oder auch Vorberichten im unmittelbaren Programmumfeld von Spielen werden Moderatoren und Experten auf die genannten Probleme Bezug nehmen und Stellung beziehen müssen. Dennoch müssen die Sender ihr Gesicht wahren. Überscharfe Verurteilungen des Events in Russland werden Zuschauer den Stationen und ihren Angestellten kaum abnehmen, schließlich profitieren die Sender selbst vom ungemein hohen Interesse an der Fußball-WM und entschieden sich auch diesmal wieder dazu, einen hohen Aufwand zu fahren, um den Menschen den Wettbewerb und das Drumherum näherzubringen.

Für Moderatoren und Experten gleicht die Balance, die die Berichterstattung halten muss, um nicht heuchlerisch zu wirken, einer Gratwanderung. Besonders in Bezug auf die Experten wird es interessant sein zu beobachten, wie viel Fingerspitzengefühl wirklich an den Tag gelegt wird und wie viel politische Meinung in die Sendungen miteinfließen wird. Schließlich wurden Personen wie Thomas Hitzlsperger und Stefan Kuntz auf Seiten der ARD oder Christoph Kramer und Holger Stanislawski auf Seiten des ZDF wegen ihrer Fußball-Expertise verpflichtet und nicht wegen ihrem Know-How im Bereich der Weltpolitik. Etwas unausrechenbarere Experten wie Mehmet Scholl, der des Öfteren auch zu Themen abseits des Fußballs klare Kante zeigte, sind diesmal jedoch nicht dabei, was das Fettnäpfchen-Risiko für die Öffentlich-Rechtlichen minimieren wird.

Wie sich die gesellschaftliche Dynamik letzten Endes wirklich entwickelt während der WM, lässt sich jetzt noch nicht absehen. Neue Skandale und Enthüllungen könnten die Berichterstattung über die WM in Russland vor Ort weiter verkomplizieren. Genauso gut könnte es politisch ruhig bleiben und der Sport könnte alles andere überlagern, sodass die Fußball-Euphorie Deutschland vier Wochen lang komplett von anderen Themenfeldern ablenkt. Fest steht: Die Fußball-WM in Russland verlangt ARD und ZDF deutlich mehr ab als zuvor, weshalb auch die Vorbereitung intensiver vonstattengehen muss. Es bleibt abzuwarten, welches Label ARD und ZDF der Veranstaltung verleihen. „Putins Spiele“ oder doch „Mission Titelverteidigung“? Es wird wohl irgendetwas dazwischen sein. Egal wie, die Sender werden es nicht allen Recht machen können.
10.06.2018 10:27 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/101446