Die Kritiker: «Tatort - Sonnenwende»

Kommissar Friedemann Berg muss mit einem alten Schulfreund brechen, der sich als völkischer Blut-und-Boden-Rassist entpuppt. Der neue «Tatort» erzählt diese Geschichte beeindruckend filigran.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Eva Löbau als Franziska Tobler
Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg
Steffi Kühnert als Cornelia Harms
David Zimmerschied als Torsten Schmidt
Nicki von Tempelhoff als Volkmar Böttger
Janina Fautz als Mechthild Böttger
Gro Swantje Kohlhof als Sonnhild Böttger

Hinter der Kamera:
Produktion: SWR
Drehbuch: Patrick Brunken
Regie: Umut Dag
Kamera: Stefan Sommer
Sonnhild (Gro Swantje Kohlhof), die älteste Tochter der Familie Böttger, stirbt an einer Ketoazidose. Ungewöhnlich, argumentiert die Gerichtsmedizinerin, weil sich diese Komplikation des Typ-I-Diabetes durch konsequente Insulintherapie vermeiden lässt. Doch der Hausarzt der Böttgers, der Sonnhilds Todesursache festgestellt hat, ist ein dubioser älterer Mann, gegen den bereits zahlreiche Verfahren wegen schlampiger bis unzureichender Therapien anhängig sind.

Kriminalhauptkommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) ist mit Sonnhilds Vater Volkmar (Nicki von Tempelhoff) noch aus Kindertagen persönlich bekannt, mit dem Rest der Familie ebenso. Die macht einen etwas schrägen Eindruck: Keines der Kinder besitzt Computer oder Smartphone und noch dazu kleiden sich alle etwas sonderbar öko-baumwolllastig. Das schreibt man zuerst dem Umstand zu, dass die Böttgers einen Hardcore-Biohof betreiben, der in seinem Verständnis von Landwirtschaft fast schon historisch ist, doch schnell erweitert Drehbuchautor Patrick Brunken dieses abgestandene Klischee um zahlreiche Facetten, die auch Bergs Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau) stutzig werden lassen:

Auf dem Hof haust nämlich auch Torsten Schmidt (David Zimmerschied), ein polizeibekannter Neonazi, der in den engsten Zirkel der Böttgers vorgedrungen ist und mit dem Segen des archaischen Pater Familias auch bis zu ihrem Tod mit der ältesten Tochter liiert war. Vor dem Hintergrund, dass in Stuttgart gerade ein Untersuchungsausschuss in vollem Gange ist, nachdem kürzlich ein V-Mann aus der völkischen Szene umgebracht wurde, bevor er auspacken konnte, hat Franziska schnell eins und eins zusammengezählt: Die Böttgers sind keine moralisch archaische, aber irgendwie doch harmlos-rückständige Sippe, sondern durchdrungen von völkischer Blut-und-Boden-Ideologie.

Friedemann verneint das vehement, auch wenn klar ist, dass er schon hier in seinem Inneren erste Zweifel hegt. Doch diese hässliche Vorstellung, sein alter Freund könnte aus niederträchtig-völkischen Motiven gar den Mörder seines Kindes decken, ist so schrecklich, dass er sie überhaupt nicht zulassen kann. Noch dazu bietet Volkmar ihm freudvoll die Hilfe der ganzen Familie bei der anstehenden Ernte auf Friedemanns Grundstück an, für die der Hobby-Landwirt zuerst rumänische Arbeiter anheuern wollte. Aber Volkmar will davon nichts wissen: „Das Land und seine Leute gehören doch zusammen.“

Auch Friedemann wird da hellhörig, doch seine Wandlung dauert: Das macht sie dramaturgisch so stark und emotional so ergreifend. Erst als auf Sonnhilds okkulter nächtlicher Beisetzung das völkische Gesindel aus ganz Deutschland angekarrt wird und Volkmar eine Blut-und-Boden-Rede hält, voll von Umvolkungs- und Volkstodfantasien, wird es Friedemann möglich, das Offensichtliche anzunehmen: Sein alter Freund ist ein gefährlicher Rassist, ein Nazi, ein Völkischer – und ja, er deckt einen Mörder.

„Sonnenwende“ beschreibt dieses sehr distinktive, sehr spezielle Milieu mit einem äußerst wachen Auge und einem guten Gespür für das Graduelle, mit dem sich die Wahrheit für Friedemann offenbart, der seinen Freund zunächst nicht als gefährlich und abstoßend erkennen will. Darsteller Hans-Jochen Wagner spielt diese Wandlung vom Leugnen über das Intellektualisieren bis hin zur Anerkennung und zur Ziehung der nötigen Konsequenzen gleichsam eindrucksvoll, nahegehend und klug.

Dieser «Tatort» ist wieder einer jener Filme, die besser wären, wenn sie nicht auch noch ein Krimi sein müssten: Denn die Perspektive des Ermittlers ist nicht die eindrucksvollste, aus der diese Geschichte erzählt werden kann (weswegen die Rolle des Friedemann Berg wohl auch als Kommissar und alter Freund in Personalunion auftritt) und der Gang der Ermittlungsereignisse ist weitgehend unnötiges Beiwerk zu diesem stark geschriebenen Thema, das sich zudem angenehm subtil in eine gesellschaftliche Dimension erweitert: Die örtliche Lehrerin hat Angst, sich gegenüber der Polizei über die Nazi-Böttgers zu äußern, weil viele Persönlichkeiten aus dem rechtsradikal-identitären Spektrum als Lehrer, Sozialarbeiter und Kindergärtner nicht nur Schlüsselpositionen in der Gemeinschaft besetzen, sondern in diesen Funktionen auch bestens platziert sind, um die nächste Generation Deutschlands in ihrem völkisch-rassistischen Weltbild heranzuziehen. Das ist so erschreckend wie leider glaubhaft.

Das Erste zeigt «Tatort – Sonnenwende» am Sonntag, den 13. Mai um 20.15 Uhr.
12.05.2018 06:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/100915