Wie «Haus des Geldes» die Herzen deutscher Serienfans raubte

Heimlich, still und leise avancierte die spanische Serie «Haus des Geldes» auf Netflix zum Hit. Nun übernimmt der Streaming-Dienst die Serie. Über Erfolgsfaktoren und Zukunftsaussichten.

Fakten zu «Haus des Geldes»

  • Originaltitel: «La casa del papel» (International: «Money Heist»)
  • Genre: Heist-Serie
  • Idee: Álex Pina
  • Darsteller: Úrsula Corberó, Itziar Ituño, Álvaro Morte, Paco Tous, Pedro Alonso u.w.
  • Produktionsland: Spanien
  • Produktionsunternehmen: Vancouver Media
  • Weltpremiere: 2. Mai 2017 (Antena 3)
  • Deutschlandpremiere: 22. Dezember 2017 (Netflix)
  • Episodenlänge: 70 Minuten (Antena 3) / 41-55 Minuten (Netflix)
Spanische Serien, die in Deutschland Erfolg haben. Das wäre bis zur Jahrtausendwende wohl noch undenkbar gewesen. Doch Netflix macht es dieser Tage möglich und auf der Streaming-Plattform sorgte in Deutschland zuletzt tatsächlich ein Format von der iberischen Halbinsel für ungemein hohe Abrufzahlen. Nicht «The Walking Dead», «Orange Is the New Black», «The Big Bang Theory» oder «Suits» lagen auf Platz eins der VOD-Charts zwischen dem 20. und 26. April, sondern «Haus des Geldes», dessen 22 auf Netflix verfügbare Ausgaben in besagter Woche 3,46 Millionen Mal angesehen wurden. Wer die Sozialen Medien durchforstet, den wird dies vielleicht weniger verwundern als Personen, die sich nur in den herkömmlichen Medien über neue Serienformate informieren. Während die spanische Produktion hierzulande in Magazinen, Zeitungen oder Blogs nicht wirklich viel Erwähnung findet, spricht sich die Qualität der Serie von Mund zu Mund und über die sozialen Netzwerke zurzeit herum wie ein Lauffeuer. Laut Angaben von Netflix ist «Haus des Geldes» die international meistgesehene nicht-englischsprachige Serie des Dienstes. Doch was hat es mit der Serie überhaupt auf sich?

Der deutsche Titel ist eine relativ direkte Übersetzung des Originalnamens «La casa del papel». Bei den 22 auf Netflix verfügbaren Episoden, von denen die neuesten neun erst Anfang April erschienen, handelte es sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht um ein Netflix-Original. Stattdessen lief die Serie weltweit erstmals beim spanischen Sender Antena 3 und umfasste dort eigentlich nur 15 Episoden, die dafür je knapp 70 Minuten umfassten. Um die Serie binge-gerechter zu machen, schnitt Netflix, das sich die Serie lizensieren ließ, die Folgen auf eine kürzere Laufzeit um und teilte sie auf. 13 Ausgaben erschienen so bereits am 22. Dezember 2017 in der deutschen Online-Mediathek. Dies stellte sich als kluger Schachzug des Streaming-Dienstes heraus. Tatsächlich wurden im frühen Jahr 2018 in Deutschland immer mehr Menschen auf die Thriller-Serie aufmerksam und als schließlich Anfang April der Rest der Episoden erschien, entstand schließlich ein regelrechter Hype.

Der Raub des Jahrtausends


Doch worum geht es überhaupt in «Haus des Geldes» und wie konnte eine spanische Serie in Deutschland so beliebt werden – und medial doch irgendwie unter dem Radar fliegen? Im Format organisiert ein sich "Professor" nennender Mann mit Hilfe von acht Spezialisten den größten Raubüberfall in der Geschichte Spaniens. Gemeinsam wollen sie die "Fábrica Nacional de Moneda y Timbre", die Banknotendruckerei Spaniens, infiltrieren, um sich somit selbst Geldscheine im Wert von über zwei Milliarden Euro zu drucken. Wer sich im Heist-Genre auskennt, etwa Filme wie die «Ocean’s Eleven»-Reihe oder «The Italian Job» gesehen hat, der weiß: Diese Art von Produktion lebt von den ausgefuchsten, wendungsreichen Plänen der im Mittelpunkt stehenden Verbrecher und von den unvorhergesehenen Komplikationen.

Tatsächlich stellt der spektakuläre und an Plot-Twists reiche Coup der Notenbank-Gangster nur eine Facette der Qualität dar, die «Haus des Geldes» auszeichnet und zum klammheimlichen Mega-Erfolg werden ließ. Denn was die Serie mit dem internationalen Titel «Money Heist» seinen Genre-Kollegen voraushat, sind die komplexen und sehenswerten Zwischenmenschlichkeiten, die besonders innerhalb der Bankräuber für ein großes Sehvergnügen sorgen. Man kennt das: Im Rahmen von Hollywood-Blockbustern reicht es häufig nicht, eine actionreiche Geschichte zu präsentieren. Häufig wird fast zwanghaft eine Liebesgeschichte in die Story hineingedrückt, um womöglich noch das weibliche Publikum anzulocken und abzuholen. Nicht selten wirken derart forcierte Neben-Plots aber wie ein Fremdkörper, den man sich auch hätte sparen können.

Dreidimensionale Figuren mit spanischem Temperament


Doch «Haus des Geldes» schaffte es, die Dynamiken sehenswert in die Serie zu integrieren, auch wenn dafür zuweilen recht überzeichnete Charaktere in Aktion treten, die jedoch mit fortlaufender Episodenzahl überraschenderweise immer mehr an Dimension gewinnen. Für besonders emotionale Momente sorgen der besonnene Moskau und der hitzköpfige Denver, Vater und Sohn, die beide am Raub des Jahrtausends mitwirken. Aber auch Liebschaften finden sich unter den nur mit Städtenamen gerufenen Panzerknackern, was, wie könnte es anders sein, das Zustandebringen des Coups gehörig verkompliziert. Es wird also schnell deutlich: «Haus des Geldes» erfindet das Rad im Heist-Genre nicht neu, fährt sogar einige Klischees auf, zieht den Hut vor Genre-Kollegen und wenn der Kopf der Verbrecherbande dann auch noch mit der Chef-Ermittlerin durch die Betten hüpft gleitet die Geschichte fast schon ins Märchenhafte ab. Doch aus der Mixtur entsteht ein eskapistisches Sehvergnügen, das nicht besser zu Netflix‘ Binge-Mentalität hätte passen können.

Dennoch konnte Netflix bei «Haus des Geldes» nicht von einem über die spanischen Landesgrenzen hinaus bestehenden Hype ausgehen. Dafür ist die Geschichte eigentlich zu sehr in den Sehgewohnheiten und der Mentalität Spaniens verankert, was sich insbesondere an den häufig mit überzogener Theatralik vorgetragenen Dialogen ablesen lässt, die eher an die im spanischsprachigen Raum beliebten Telenovelas erinnern. Doch auch die Deutschen scheinen gefallen am spanischen Temperament gefunden zu haben. «Haus des Geldes», das zeigt sich erst später, will jedoch nicht nur unterhalten, sondern übt sich auch in Kapitalismuskritik, was schon am Raub selbst deutlich wird. Statt reiche Privatpersonen oder betuchte Unternehmen zu bestehlen, wird gleich das ganze Finanzwesen ausgenommen, wodurch die Gangster schon zu Beginn Vergleiche mit Robin Hood bemühen. Vom reichen Staat nehmen und es dem Volk zurückgeben - nicht umsonst sind die Overalls der Räuber knallrot. Eindeutig wird die Metapher, wenn die Notenbankräuber im Finale „Bella Ciao“ singen, das Lied, das zur Hymne der anarchistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Bewegung geworden ist.

Gefährdet Netflix das Vermächtnis von «Haus des Geldes»?


Serienschöpfer Álex Pina hat das Format von vorne bis hinten durchgedacht, wechselt zwischen spektakulären Action-Sequenzen und kammerspielartigen Szenen und ist den Gedankengängen des Zuschauers immer zwei Schritte voraus. Insbesondere letzterer Faktor ist im von Wendungen lebenden Heist-Genre von essenzieller Wichtigkeit. Pina hat den Handlungsverlauf mit chirurgischer Präzision durchorchestriert und hatte von Anfang an im Kopf, eine Geschichte zu erzählen, die im Staffelabschluss zu einem würdigen Ende kommt. Dies gelang «Haus des Geldes», einer Mini-Serie. Umso kontroverser wird dieser Tage die Netflix-Ankündigung diskutiert, das Format mit einer dritten Staffel fortsetzen zu wollen.

In der Tat muss dieses Vorhaben kritisch betrachtet werden, riecht es doch nach einer vorrangig aus Profitgründen getroffenen Entscheidung. Netflix werden die überragenden Abrufzahlen von «Haus des Geldes» schon länger vorliegen, weshalb wohl schon beim Klang der Worte „«Haus des Geldes» Staffel drei“ die Dollar-Zeichen in den Pupillen der Verantwortlichen aufploppen. Eine bereits fertig auserzählte Geschichte fortzuspinnen, klingt wenig sinnhaft und der Streaming-Dienst ist nach dieser Bekanntgabe in der Bringschuld, zu beweisen, dass es möglich ist, die Serie sehenswert weiterzuführen, ohne das Vermächtnis dieses unwahrscheinlichen Serienhits zu gefährden. Etliche Serien haben den Absprung nicht geschafft und dadurch ihren Platz im Serienolymp verspielt. Auch Netflix, das bereits einige andere Formate von TV-Stationen übernahm und eigenhändig fortsetzte, ließ Staffeln von niedrigerer Qualität folgen, so etwa bei «Arrested Development» oder – mittlerweile auch – bei «Black Mirror». Doch vielleicht ist uns Serienzuschauern „Professor Netflix“ schon zwei Schritte voraus.
30.04.2018 11:08 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/100636