Popcorn und Rollenwechsel: 'Schreib doch 'nen Bestseller'

Unser Kolumnist präsentiert fünf Sprüche, die sich Filmkritiker* von Branchenfremden öfters anhören müssen.

'Wieso schreibst du nur Filmkritiken? Schreib doch mal 'nen Bestseller!'


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Dieser Artikel tritt selbstredend nicht nur auf Filmkritiker zu, sondern (mit mal geringfügigen, mal mittelschweren) Anpassungen auf alle, die im Medienjournalismus zutreffen. Und ja, es gilt für Männer, wie auch für Frauen. Allerdings müssen sich Frauen im Medienjournalismus noch allerhand anderen, derberen Schwachfug anhören. Diese leichtfüßig gedachte Kolumne ist daher als Wehklagen auf hohem Niveau gedacht – und daher dominiert in ihr die männliche Form.
Ich bezweifle, dass Leute, die in der Bäckerei arbeiten, vorgeworfen bekommen: "Ey, wieso backst du noch immer Brötchen? Erfinde mal was gegen den Welthunger!" Und wer in der Werkstatt arbeitet, wird wohl selten hören: "Mach mal was aus dir, hör auf, Autos zu reparieren und erfinde ein leistungsstarkes Elektroauto, das geil aussieht und das sich jeder leisten kann! Damit wirst du reich!" Was aber vielen, die von Beruf aus schreiben, widerfahren dürfte: Ältere Verwandte und entfernt bekannte Ex-Mitschüler geben einem den gut gemeinten, liebevoll-besorgten Rat: "Schreib doch einfach mal 'nen Bestseller!" Die Antwort "Wieso arbeitest du eigentlich noch? Hab doch einfach mal 'nen Sechser im Lotto!" sorgt leider nie für fallende Groschen …

'Davon kann man leben? Pah, du hast's gut ...'


Ja, man kann davon leben. Aber wie es für viele Berufe gilt, die eher den Geist als den Körper beanspruchen, die nicht verlangen, dass man Zahlen verdreht und die einem dennoch keinen Beamtenstatus einbringen, gilt auch hier: Joah, ist nichts, was sich für Leute empfiehlt, die es auf den schnellen, leichten Euro absehen. Und das ist der nächste Punkt: So einfach ist der Job auch nicht. Wir Filmkritiker schauen nicht stundenlang Filme und rotzen dann schnell unsere Meinung in Textform raus und fertig. Gute Texte, und das ist das, was wir zumindest (fast) alle anstreben, lassen sich nicht mit einem Fingerschnippsen herbeizaubern. "Ja, aber schreiben kann doch jeder", zieht da nicht. Es kann ja auch jeder ein Schnitzel in die Pfanne hauen, doch das heißt nicht, dass er unter Zeitdruck zehn verschiedene Spitzengerichte direkt hintereinander kochen kann. Und, ja, wir haben es wohl deutlich leichter als ein Sternekoch und erreichen allesamt nicht durchweg unser qualitative Ziel, trotzdem schlaucht es, Tag ein, Tag aus rumzutexten. Da können einem am Wochenende auch mal die Wörters ausgehen tun …

'Hast du es nicht irgendwann satt, Filme zu schauen?'


Nein. Ich liebe Filme, sonst wäre ich nicht in diese Branche eingestiegen. Bis ich filmgesättigt bin, muss schon eine gigantische Flutwelle an Sehmaterial auf mich hereinbrechen. Das gilt praktisch für das komplette Kollegium. Wenn Neulinge schon früh anfangen, rumzumosern, dass das dauernde Filmgegucke und Drübergeschreibe ihnen langweilig wird, kann man davon ausgehen: Die wechseln bald das Fach.

'Ihr Kritiker wollt euch doch nur selber inszenieren, sonst würdet ihr nicht eure Meinung zum Beruf machen!'


Den Eindruck habe ich bei manchen Kollegen auch. Die würden auch Restaurantkritiken schreiben, und nur über sich faseln, wäre es so einfach, in das Fach zu kommen wie in die Filmkritik. Ich bilde mir aber ein, dass es nicht allen Filmkritikern darum geht, aller Welt einfach nur von sich zu erzählen. Wir sind halt Sommeliers, Vorkoster, die in einem Thema sehr versierten Kumpel, die wir alle fragen, wenn wir Empfehlungen und Eindrücke sammeln wollen. Es geht uns darum, jenen, die weniger Zeit haben, sich mit Film zu beschäftigen, Gedanken an die Hand zu geben, um sich im riesigen Angebot dieses Gebietes, das wir so sehr lieben, zurechtzufinden.

'Wenn du Filmkritiker bist, wieso kennst du dann nicht Film X?'


Allein 2017 kamen über 650 neue Filme heraus, von denen nicht alle der Presse vorgeführt wurden. Also selbst jemand, der alle Pressevorführungen besucht, müsste noch eine Menge nachholen. Und jede Minute, die ein Kritiker im Kino verbringt, ist eine Minute, die er nicht mit der anderen Hälfte der Arbeit verbringen kann – dem Schreiben. Darüber hinaus sind die wenigsten Filmkritiker ausschließlich Filmkritiker. Die meisten machen obendrein auch Fernsehkritiken, Theater- oder Buchkritiken und schreiben zudem weitere Artikel, wie Kolumnen oder Interviews. Wir können schlichtweg nicht alles schauen. Jedenfalls, bis jemand den 58-Stunden-Tag und die 9-Tage-Woche für uns erfindet.
30.04.2018 13:24 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/100621