Popcorn und Rollenwechsel: Wie Jerry Bruckheimer Filmauftakte für immer und ewig veränderte

Oder: Wieso beginnen so viele Filme mit so vielen Studiologos? Oder: Wie sich die Logoparade künstlerisch nutzen lässt. Oder: Wenn Marvel sein eigenes Ding macht …

Das Dämmerlicht im Kino geht aus, die Trailer sind vorbei. Kurze Zeit ist die Leinwand in ein tiefes Schwarz gehüllt. Der Film beginnt – mit dem Studiologo. Nein. Halt. Das war einmal die Norm. Mittlerweile ist es eine Ausnahme, die sich nur wenige Produktionen gestatten. Zumeist beginnt der Film mit mehreren Studiologos. Und die Existenz solcher Logoparaden haben wir unter anderem dem Mann zu verdanken, der Tom Cruise zum Actionstar gemacht, die «Pirates of the Caribbean»-Filmreihe in die Wege geleitet und das «CSI»-Franchise verantwortet hat: Jerry Bruckheimer.

Bis einschließlich in die 1980er-Jahre war es eine absolute Rarität, dass ein Film mit mehr als einem Studiologo beginnt. Etwa bei den frühen «Star Wars»-Filmen, wo Lucasfilm die Produktion und Fox den Vertrieb übernahm. Die Produktionshäuser namhafter Produzenten, die sich am Projekt beteiligten, wurden üblicherweise aber erst am Ende des Films gezeigt – auch Steven Spielbergs Amblin Entertainment hatte sich bis zum letzten Augenblick einer Kinovorführung zu gedulden. Ein Produzentenduo wollte sich damit jedoch nicht zufrieden geben: Don Simpson und Jerry Bruckheimer, deren Filme in den 80ern für Paramount Pictures über eine Milliarde Dollar weltweit generierten.

Als 1990 Simpson/Bruckheimer und Paramount Pictures einen neuen Vertrag schlossen, forderten die Erfolgsproduzenten, dass sie ihr Studiologo direkt nach dem Paramount-Logo an den Anfang von «Tage des Donners» setzen dürfen. So sollte es auch geschehen – und obwohl das Rennfahrer-Actiondrama keinen Hit darstellte, setzte es einen Präzedenzfall, was andere namhafte Produzenten nicht ignorieren wollten. Spielberg zog nach, dann Rob Reiner und dann immer mehr. Nach und nach wurde es im Filmgeschäft zu einer dieser Eitelkeiten, die man sich gönnen musste: Wer als Produzent oder Ministudio etwas auf sich hält, kann doch nicht zulassen, dass andere ihr Studio zu Filmbeginn bewerben dürfen, man selber aber nicht! Kein Wunder, dass im Branchensprech diese Logofilmchen "Vanity Plate" oder "Vanity Card" heißen – also Eitelkeitskarte.

Nicht nur der "Also, wenn die ihr Logo vorm Film zeigen dürfen, dann wir doch bitte auch!"-Gedanke trägt dazu bei, dass sich die Anzahl der Studiologos vor neuen Filmen enorm gesteigert hat, seit Simpson und Bruckheimer die Regeln neu abgesteckt haben. Sondern auch die Veränderungen im Filmgeschäft: Großproduktionen werden immer teurer, und brauchen in der Regel daher mehr Schultern, auf denen ihre Last verteilt wird – und wer viel Geld hinblättert, will sein Logo an den Anfang parken. Zumindest im Normalfall. Manchmal sticht der Verhandlungspartner die kleineren Studios dann doch aus – so eröffnet der «Die Schöne und das Biest»-Realfilm ausschließlich mit dem Disney-Schloss, obwohl auch Mandeville Films das Projekt mitgetragen hat. Doch deren Logo ist nur nach dem Abspann zu sehen.

Ähnliches gilt ironischerweise für «Star Wars – Das Erwachen der Macht»: Seit Disney Lucasfilm geschluckt hat, beginnen die Filme ausschließlich mit dem Lucasfilm-Logo – J. J. Abrams' Label Bad Robot, das die siebte «Star Wars»-Episode mitverantwortete und zu Beginn zahlreicher anderer Filme zu sehen ist, wurde in diesem Fall ganz ans Ende verlagert.

Dies sind im Blockbusterkino allerdings zwei der sehr raren Ausnahmen. Noch ärger trifft es aber kleine Produktionen. Sonst heißt es ja bei Blockbustern "Mehr, mehr, mehr!", aber da das (Semi-)Independentkino im heutigen Filmgeschäft so riskant geworden ist, weil die Riesenproduktionen alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, müssen sich bei Kleinproduktionen oft noch mehr Partner zusammentun als bei Big-Budget-Unternehmungen. So kann es auch passieren, dass ein intimes Krebsdrama mit sechs oder gar sieben animierten Kurzfilmen beginnt, die je ein Filmstudio bewerben.

Aber nicht immer sind die zahlreichen Studiologos eine Hürde, die es zu nehmen gilt, bis der eigentliche Film loslegt. In einigen Filmen wird auch kreativ mit ihnen umgegangen – und damit sind nicht nur Logospielereien gemeint, wie solche, wenn die Minions die Universal-Melodie summen. Es geht auch atmosphärischer: Der britische Horrorfilm «Ghost Stories» unterlegt seine Intro-Logoparade mit Keuchen, Seufzen und minimaler, schauriger Musikuntermalung, bevor die Titeleinblendung radikal die Stimmung ändert. Ohne den Vorlauf, den die Studiologos bieten, könnte «Ghost Stories» dies nicht so effizient umsetzen. Und Joe Kraemer, Komponist hinter «Mission: Impossible – Rogue Nation», erläuterte im Interview mit 'Slashfilmcast', dass er es genießt, durch die lange Laufzeit der anfänglichen Studiologos die Möglichkeit einer Mini-Overtüre zu haben, was im modernen Kino sonst so gut wie gar keinen Platz mehr hat.

Und dann gibt es die Marvel Studios, die es tatsächlich im heutigen filmwirtschaftlichen Klima schaffen, ihre Mammutprojekte im Alleingang zu stemmen und gelegentlich sogar darauf verzichten, ihre Leinwandspektakel mit ihrer 'Vanity Card' zu beginnen. Gut, dafür holen sie es in Filmen wie «Guardians of the Galaxy», «Ant-Man» und «The First Avenger – Civil War» nach, indem sie ihr Logo zwischen Prolog und dem ersten Filmakt packen. Ähnlich, wie es viele Fernsehserien mit ihrer Titelsequenz tun. Laut «The First Avenger – Civil War»-Ko-Regisseur Anthony Russo obliegt die Entscheidung, ob das Studiologo klassisch zu Filmbeginn erscheint oder irgendwann im Filmverlauf, im Hause Marvel ganz uneitel den Regisseuren. Und Anthony sowie sein Ko-Regisseur und Bruder Joe Russo sind der Ansicht: Das Publikum will Spektakel sehen, also sollen sie beim Kinobesuch so schnell wie möglich dort hineingeworfen werden. Das Logo kommt dann halt bei der erstbesten Gelegenheit, um einen narrativen Bruch markant zu unterstreichen.

Na, dann können Marvel-Fans jetzt ja Wetten annehmen, wie lange es in «Avengers – Infinity War» dauert, bis das Studiologo erscheint. Und die gesamte Filmfangemeinde darf sich fragen, ob das Marvel-Modell je ebenso Schule machen wird wie die "Hey, wenn Simpson und Bruckheimer ihr Logo an den Anfang stellen dürfen, dann wir aber auch!"-Methode. Dann haben wir künftig bei manchen Filmen womöglich eines Tages eine dreiminütige Pinkelpause im ersten Drittel …
17.04.2018 15:40 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/100318