Des «Martyrs»-Machers neuester Streich: «Ghostland»

Nach seinem Genre-Meilenstein «Martyrs» begibt sich der französische Filmemacher Pascal Laugier zurück ins Horrorkino für die ganz Hartgesottenen. Sein Terrorfilm «Ghostland» ist eine Hommage an das dreckige Kino der Siebzigerjahre und ein Fest für Liebhaber von Filmen, die fast ausgestorben schienen.

Filmfacts: «Ghostland»

  • Start: 5. April 2018
  • Genre: Horror
  • Laufzeit: 91 Min.
  • FSK: 16
  • Kamera: Danny Nowak
  • Buch und Regie: Pascal Laugier
  • Schauspieler: Anastasia Phillips, Crystal Reed, Emilia Jones, Mylène Farmer, Taylor Hickson
  • OT: Incident in a Ghostland (CN/CAN/USA 2017)
One-Hit-Wonder oder Dauerbrenner – bei Regisseur Pascal Laugier wusste man das lange Zeit nicht so genau, denn der Franzose ging mit seinem markerschütternden Psychodrama «Martyrs» zwar in die Genrefilmgeschichte ein, doch bis auf den weitgehend unter dem Radar gelaufenen Gruselthriller «The Tall Man» hörte man außerhalb seines Herkunftslandes nur wenig von ihm. Das hat vor allem den Grund, dass Laugier viele seiner angedachten Projekte gar nicht erst finanziert bekommt. Sonst hätte er – das sagt er selbst – schon längst eine ganze Menge anderer Horrorfilme inszeniert. So aber ist «Ghostland» sein nächstes großes Projekt, bei dem nicht bloß Pascal Laugier draufsteht, sondern auch drinsteckt. Für seine Geschichte über zwei von Gewaltverbrechern terrorisierte Mädchen begibt er sich auf die Pfade der Terrorfilme der Siebziger- und Achtzigerjahre; vor allem Anleihen an Tobe Hoopers „The Texas Chainsaw Massacre“ klingen in «Ghostland» immer wieder an. Es fühlt sich so an, als träfe das Meisterwerk des subtilen Horrorkinos auf die Exzentrik eines Eli Roth, der in «Ghostland» sogar namentlich erwähnt wird.

Diese Kombination beschreibt allerdings nicht bloß den Inszenierungsstil ganz gut, sondern auch das, was der Film beim Zuschauer auslöst: Hier verschmilzt die Faszination für die menschlichen Abgründe auf das (ganz gleich ob positive oder negative) Angewidertsein von so viel körperlicher Gewalt. Genau durch diesen Clash kreiert Laugier wieder einmal etwas ganz Eigenes, wenngleich nicht ganz so Bahnbrechendes wie noch mit «Martyrs».

Eines Nachts in einem unheilvollen Haus...


Nach dem Tod ihrer Tante bezieht Pauline (Mylène Farmer) mit ihren Töchtern Beth (Crystal Reed) und Vera (Anastasia Phillips) das alte, mit Kuriositäten vollgestopfte Haus der Verstorbenen. Gleich in der ersten Nacht im neuen Heim werden sie von brutalen Einbrechern überfallen. Das Trauma sitzt tief und prägt die Schwestern bis ins Erwachsenenalter. Beth hat ihre persönliche Bewältigungsstrategie im Schreiben gefunden und ist erfolgreiche Autorin von Horrorliteratur. Vera hingegen lebt immer noch mit ihrer Mutter in dem alten Haus, leidet unter paranoiden Wahnvorstellungen und verliert zunehmend den Verstand. 16 Jahre nach dem Vorfall kehrt Beth an den Ort des Geschehens zurück – was sich als schrecklicher Fehler erweist…

Eine Sache fällt im Zusammenhang mit Laugiers bisheriger Vita auch an «Ghostland» wieder einmal auf: Erneut stehen hier zwei weibliche Figuren im Vordergrund der Geschichte. Das ist kein Zufall, betont Laugier im Interview. Tatsächlich interessiere ihn der Blick durch weibliche Augen einfach mehr, als der durch männliche. Mit Kritik an seinen Geschlechterrollen musste sich der Regisseur bereits mehrfach befassen. In «Ghostland» vor allem deshalb, weil er eine transsexuelle Figur zu einem nihilistischen Killer macht, was in seinen Augen jedoch in keinerlei Zusammenhang steht. Tatsächlich hat das Geschlecht während des gesamten Films auch überhaupt keine Auswirkungen auf die Handlungen und Taten der Figuren. Sie sind beliebig gewählt und entbehren der absoluten Selbstverständlichkeit; und das Motiv des "Final Girls“ ist letztlich ohnehin so alt wie das Horrorgenre selbst. Worum es in «Ghostland» wirklich geht, ist die Frage, was Gewalttaten mit der menschlichen Psyche machen.

Das beantwortet Laugier, der auch das Drehbuch schrieb, auf verschiedene Weise, von Verdrängung über Hineinsteigern bis hin zu konsequenter Verarbeitung. Dabei grenzt er die einzelnen Arten der (fehlenden) Auseinandersetzung nicht gezielt voneinander ab; in «Ghostland» verschwimmen die psychischen Labilitäten seiner Hauptfiguren konsequent ineinander, was er letztlich auch benötigt, um einen von mehreren Twists glaubhaft vorzubereiten.

Eli-Roth-Groteske trifft französischen Terror


Wer Pascal Laugier kennt, der weiß, dass ein „Twist“ für den Regisseur nicht zwingend bedeutet, ähnlich Kollegen wie M. Night Shyamalan oder David Fincher irgendwann das vorher Gesehene auf den Kopf zu stellen. Stattdessen überprüft Laugier mit spontan in eine unerwartete Richtung abbiegenden Plots vor allem die Erwartungshaltung seiner Zuschauer und unterläuft sie infolge dessen. Bei «Ghostland» ist das nicht anders; selbst, wer ahnt, worauf seine Erzählung in Wirklichkeit hinausläuft, bekommt dadurch erst recht die Ausweglosigkeit der Situation zu spüren, in der sich die beiden Protagonistinnen befinden. Dies gelingt nicht zuletzt, weil es Laugier verinnerlicht hat, eine über alle Maßen unangenehme Atmosphäre aufzubauen. Die dreckigen, matschbraunen Bilder von Kameramann Danny Nowak («Coded») legen sich wie ein freudloser Schleier auf das Martyrium und beißen sich umso mehr mit der verspielten Ausstattung des altehrwürdigen Anwesens, das mit diversen Spielzeugen und Puppen ausgestattet ist.



Mit gezielter Lichtsetzung sorgen die Verantwortlichen für größtmögliche Beklemmung und Enge; lange Zeit bleiben selbst die gewalttätigen Einbrecher im Dunkeln und werden so zu einer unwirtlichen Gefahr. Überlegen sind ihnen die ganze Zeit dennoch die beiden Frauen, die sich zwar seelischen, aber doch bemerkenswert wenigen körperlichen Qualen aussetzen müssen, sind sie ihren beiden Peinigern doch während des gesamten Films überlegen.

Brutal ist «Ghostand» letztlich trotzdem, auch wenn ein Großteil der Gewalt – eine weitere Parallele zum stimmungsvoll zitierten «Texas Chainsaw Massacre» – einmal mehr in den Köpfen des Zuschauers abzuspielen hat. Die FSK-Freigabe ab 16 hat der Film ob seiner allgegenwärtigen Perfidität und einigen fiesen Splatterspitzen zwar sicher, doch «Ghostland» ist genau so wenig blutgetränktes Gorefeuerwerk wie «Martyrs». Stattdessen legt Laugier den Fokus ganz auf das Machtspiel auf psychischer Ebene und denkt sich für die seelischen Torturen einige perverse Fetische aus, die die Eindringlinge an ihren Opfern auszuleben versuchen. Das nagt an der Verfassung der beiden Hauptdarstellerinnen, die von Crystal Reed («Crazy, Stupid, Love») und Anastasia Phillips («Reign») mit vollem Körpereinsatz verkörpert werden. Zu Beginn sind noch Emilia Jones («Brimstone») und Taylor Hickson («Du neben mir») in den Teenie-Rollen der Frauen zu sehen; absolut gelungenes Typcasting!

Reed und Phillips gelingt es hervorragend, die verschiedenen charakterlichen Facetten von zerbrechlich-zart über aufbegehrend-rebellisch in sich zu vereinen, sodass der Ausgang der Handlung und die damit verbundene Frage, ob die beiden ein Happy End erwartet, bis zum Schluss offen bleibt. Und wenn man sich einmal die mehr als offensichtlichen Querverweise in Richtung H.P. Lovecraft und andere Horrorikonen anschaut, vor denen sich Laugier ganz offensichtlich verneigt, dann wird einem bewusst, dass man sich in «Ghostland» niemals etwas sicher sein kann.

Fazit


Für ein ähnlich bahnbrechendes Erlebnis wie «Martyrs» fehlt es Pascal Laugiers neuestem Film «Ghostland» an Innovation. Doch auch ohne diese ist der äußerst beklemmend inszenierte Terrorthriller ein fieses Vergnügen und eine charmante Verbeugung vor bekannten Horrorikonen.

«Ghostland» ist ab dem 5. April in den deutschen Kinos zu sehen.
06.04.2018 15:50 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/100154