Die Kritiker

«Gotthard»

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Mit großem Aufwand soll beim ZDF kurz vor Weihnachten der große Abenteuerfilm ins deutsche Fernsehen zurückgeholt werden. Dies gelingt nur bedingt.

Cast & Crew «Gotthard»

  • Regie: Urs Egger
  • Darsteller: Maxim Mehmet, Miriam Stein, Pasquale Aleardi, Carlos Leal, Marie Bäumer, Joachim Król, Max Simonischek, Christoph Gaugier, Roland Wiesnekker
  • Drehbuch: Stefan Dähnert
  • Kamera: Lukas Strebel
  • Schnitt: Benjamin Hembus
  • Szenenbild: Knut Loew
  • Musik: Fabian Römer
Aufwendung Abenteuerfilme sieht man im deutschen Fernsehen selten. Ob die deutsch-schweizerische Großproduktion das ändern kann, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre es sicherlich und die Voraussetzungen dafür stehen eigentlich nicht schlecht. Mit internationaler Finanzierung und Unterstützung können sich offensichtlich Szenenbild und Ausstattung profitieren. Ob die Mühen auch inhaltlich überzeugen können, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Die Leute hinter der Produktion zeigen sich jedenfalls optimistisch. Geschichte, die mitreißen lautet hier das Motto, welches allerdings nur bedingt effektiv ist.

Die Eisenbahnindustrie war 1873 sowas wie das Internet für uns heute ist: Ein neuer Weg, um die Menschen miteinander zu verbinden, Handel zu betreiben, Menschen zu befördern und das Wirtschaftswachstum voran zu treiben… nur mit weniger Beleidigungen, dafür aber durchaus lebensgefährlicher, wenn es um den Ausbau geht. Das muss der angehende Ingenieur Max (Maxim Mehmet) schnell erfahren, auch wenn er zunächst noch mit einem naiven Leuchten seinen neuen Job beim Bau des Schweizer Gotthard-Basistunnels antritt.

In der naheliegenden Stadt Göschenen ist kein Zimmer mehr frei, also muss er sich mit dem aufbrausenden Minenarbeiter Tomasson (Pasquale Aleardi) aus Italien ein Zimmer bei der jungen Anna (Miriam Stein) teilen. Eine schicksalhafte Begegnung, die in eine lange Freundschaft, aber wie es das Klischee möchte, in so etwas wie eine Dreiecksbeziehung münden wird. Die interessanten Entwicklungen finden jedoch außerhalb dieses Beziehungsgeflechts statt: Die Tunnelarbeiten gestalten sich schwierig (und das ist noch milde ausgedrückt) und man versucht mit Dynamit die Arbeiten zwar schneller voranzutreiben. Diese gestalten sich aber umso gefährlicher. Auch die Beziehungen zwischen den Einheimischen und Gastarbeitern sowie Arbeitern und Financiers sich weiter anspannen, während die Arbeitsbedingungen zunehmend schlechter werden.

Schon die Titelsequenz, deren Musik so etwas wie «Game of Thrones» zu imitieren, verheißt eigentlich nicht viel Gutes: Die Protagonisten halten ihre Gesichter mit überdramatischer Mimik in die Kamera, so dass sich die Soap-Qualität des Zweiteilers schon zu Beginn verdeutlicht. Diese Elemente bleiben zwar vorhanden, werden aber spätestens im zweiten Teil zumindest etwas zurückgefahren werden und anderen, interessanteren und relevanteren Spannungen weichen.

Die Mühe, die in das Produktionsdesign gesteckt wurden, und die Liebe zum historischen Detail lassen sich zweifelsohne erkennen, auch wenn viele Häuser, Werkzeuge und Gegenstände noch zu sauber aussehen - vielmehr scheint es so, als würden sich Darsteller in einer Art historischen Freizeitpark befinden. Zum Vergleich und zum Spaß sollte man die amerikanischen Serien «Deadwood» und «Hell on Wheels» zu Rate ziehen, wo der Dreck, Matsch und Staub fast spürbar war. Das in vielerlei Hinsicht zu brav und sauber gestaltete Bild hätte selbst ein bisschen mehr Griseligkeit und weniger digitale HD-Klarheit vertragen können. Auch dies ändert sich in der zweiten Episode, wird den Gegebenheiten und womöglich seelischen Qualen angepasst, auch wenn Regisseur Urs Egger, Szenenbildner Knut Löw und Kameramann Lukas Stebel selten den Mut aufbringen, ihr Bild mehr und auf authentischere Weise zu verunstalten.

Spannungn zwischen den Nationalitäten und den Klassen, die für dieses Großprojekt wirken zunächst noch albern bis banal, dennoch schlägt dies bald in einen ernsthaften Klassenkampf um, dem es aber meistens an Dringlichkeit fehlt. Letztendlich fühlt man sich in der idyllischen und kuscheligen Bergarbeiterwelt und das Leid, das diese Menschen erfahren haben, möchte selten auf den Zuschauer überspringen, auch wenn die im Kern liegende Freundschaft zwischen Max, Tomasson und Anna ebenso im Zuge der Ereignisse in Mitleidenschaft gezogen wird.

Der Kampf zwischen Arm und Reich, die scheinbar unstillbare Gier einer sich industrialisierenden Gesellschaft sind durchaus zeitlose Themen. Eine Industrie, die hauptsächlich profitorientiert unaufhaltsam voranschreitet, ohne notwendigerweise auf die Bedürfnisse und vor allem die Gesundheit seiner ärmsten und schwächsten Arbeiter zu achten, hat sicherlich auch heute noch Zeitbezüge. Und die seltenen Szenen, in denen die Verzweiflung und Wehrlosigkeit dieser Menschen deutlich werden, gehören zu den stärksten des Zweiteilers. Oftmals regiert hier allerdings auch das Klischee, welches man aus vielen historischen Ken Follet-Romanen kennt und hier oftmals nicht minder subtil angegangen wird.

Trotz der insgesamt etwas altbacken geratenen Inszenierung, wird das Herz auf der Zunge getragen und ein nett-naives Plädoyer für Zusammenhalt und Zusammenarbeit zwischen weniger Privilegierten für ein gemeinsames Ziel beschreibt, was man als Zuschauer natürlich mit einem zynischen Grinsen beiseite wischen oder zumindest die gute Intention dahinter zu schätzen wissen kann. Bonuspunkte gibt es für Bauleiter und Industrielle, die sich in Wissenschaftsleugnung üben, um den Tunnelbau schneller voranzutreiben und ihre Profitgier zu stillen. Angesichts weltpolitischer Umwälzungen, die sich momentan abzeichnen, ist das dargestellte Vorgehen gleichzeitig lachhaft und schmerzhaft aktuell.

Fazit: «Gotthard» ist in seinem Sozialbestreben zwar gelegentlich etwas offensichtlich und naiv, aber vielleicht ist die Zeit für Subtilität einfach erst einmal für eine Weile vorbei. Das Spiel der Darsteller wirkt gelegentlich etwas zu theatralisch und dramatisch, das Drehbuch ist mit dem ein oder anderem erwartbaren Klischee gespickt. Die Ausstattung ist zwar opulent, aber insgesamt etwas zu sauber und reinlich. Ohne wirklich nennenswerten Einfall, aber mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen sowie dem Herz am richtigen Fleck ist die Großproduktion aber sicherlich kein Reinfall.

«Gotthard» ist am Montag, dem 19.12. und am Mittwoch, dem 21.12. jeweils um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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