First Look

Vierte Staffel «House of Cards»: So aufwühlend wie Trump

von   |  1 Kommentar

In Staffel vier wird das Epos von Frank und Claire Underwood fortgeführt, es erzählt ähnlich grandios wie in den letzten Jahren. Allerdings gehen die Macher der Serie diesmal noch einen Schritt weiter als zuvor.

Vorsicht! Dieser Artikel enthält Spoiler zum Ende der dritten Staffel.

Cast & Crew

  • Darsteller: Kevin Spacey, Robin Wright, Michael Kelly, Mahershala Ali, Jayne Atkinson, Neve Campbell u.a.
  • Regie: Tucker Gates, Robin Wright, Tom Shankland, Jakob Verbruggen u.a.
  • Autoren: Beau Williamson, Frank Pugliese, Melissa James Gibson, John Mankiewicz u.a.
  • Produktion: Media Rights Capital, Trigger Street Prod. u.a. für Netflix
  • Episoden: 13
Schon immer hat «House of Cards» damit gespielt: Was ist Realität, was reine Fiktion in dieser Polit-Serie aus dem Machtzentrum Washingtons? Da wurden Artikel geschrieben über die Authentizität des Dargestellten, da wurden Menschen zitiert aus den Zirkeln um das Weiße Haus. Netflix macht einen hervorragenden Job darin, diese Diskussionen um seinen Vorteil zu nutzen. Die PR-Kampagne zum Start der vierten Staffel präsentiert Frank Underwood als wirklichen Kandidaten: Von riesigen Werbebannern grüßt er bei Debatten der republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Und mancher uninformierter Wähler wird da bereits Fiktion und Realität nicht mehr auseinanderhalten können: Donald Trump, Marco Rubio, Frank Underwood?

Noch besser gelingt die Vermischung der Welten inhaltlich in dieser großartigen neuen Staffel von «House of Cards», in der Frank Underwood als Präsident wiedergewählt werden will. Die demokratischen Vorwahlen, bei denen er sich gegen die innerparteiliche Konkurrenz durchsetzen muss, sind das anfangs beherrschende Thema. Vieles erinnert an wirkliche US- und weltpolitische Ereignisse, mehr als in den früheren Episoden. Underwood als Vertreter des Establishments hat es schwer, gegen die Revolutionäre anzukommen, gegen die also, die keine gemachten Politiker sind. Ähnliches ereignet sich derzeit tatsächlich bei den US-Vorwahlen mit Trump und Bernie Sanders.

Die Serie ist auch eine Parabel darauf, wie schmutzig Wahlkampf geht – und dass die Außenseiter ihre Probleme haben, wenn es um die ungeschriebenen Gesetze der politischen Machterlangung geht. Stichwort Heather Dunbar, die gegen Underwood bei den Vorwahlen antritt – und über falsche Entscheidungen in der Vergangenheit stolpert. Irgendwann muss sie sich entscheiden zwischen der Integrität, die sie eigentlich gegen den skrupellosen Falschspieler Underwood vertreten will, und der Chance auf den Job als Präsidentschaftskandidatin. Solche Dilemmata sind es, die «House of Cards» auch diesmal auszeichnen.

Die Bedrohungen, denen sich Underwood stellen muss, sind zahlreicher als je zuvor. Schon in Staffel drei begeisterte der strategische Machtkampf zwischen Russlands Präsident Petrov und den Underwoods, in Staffel vier sind es wieder Russland und später ICO (Islamic Caliphate Organization), das Pendant zum IS. Und noch stärker als bisher die Terrorangst. Es warten aber nicht nur die parteilichen (Wahlkampf) und die weltpolitischen (Russland, Öl, ICO) Bedrohungen. Sondern vor allem die persönlichen Dämonen, die ihn heimsuchen. Daher wagt diese Staffel immer mehr: Diesmal gibt es nicht nur ein alle Folgen beherrschendes, übergreifendes Thema. Nein, hier laufen die Fäden zusammen. Wie bei anderen ganz großen Qualitätsserien erreichen wir derzeit mit «House of Cards» den Punkt, an dem die Geschichte zum Epos wird. Für die Serie heißt das unter anderem, dass frühere Figuren und Gegenspieler wieder zentrale Rollen spielen: Lobbyist Remy Danton, Mogul Raymond Tusk, Ex-Präsident Walker, die Reporter Hammerschmidt und Goodwin, Schriftsteller Tom Yates, selbst Peter Russo und Zoe Barnes.

Am wichtigsten aber: Claire Underwood. Die vorherige Staffel endete damit, dass Claire ihren Mann verlässt. Eine Scheidung zeichnet sich ab, und Frank weiß, dass er mit diesen Negativschlagzeilen keine Wahl gewinnen kann. Die perfekte Machtsymbiose der beiden bricht auf, und eigentlich wissen beide, dass sie ohne den anderen keine Chance im Haifischbecken Washingtons haben. Und so spielen sie gegeneinander, mit den Mitteln, mit denen sie vorher ihre Gegner bekämpft haben. Es ist ein großartiges Drama auf einer neuen persönlichen Ebene, das einen ungewohnten Ausgang nimmt. Eine wichtige Ergänzung der politischen Story ist das persönliche Schicksal von Claires Mutter, zu der sie nach der Trennung mit Frank zieht. Sie erfährt, dass die Mutter an Krebs leidet und nicht mehr lange leben wird. Es ist eine persönliche Geschichte, die «House of Cards» auf eine neue – zuvor nicht gesehene – emotionale Ebene hebt. Diese Geschichte ist der großartige Gegensatz zum sterilen, empathielosen Machtkampf in Washington. Und sie hat das Potenzial, alles in Frage zu stellen, den Sinn neu zu definieren. Sie vergrößert die Spannbreite der Staffel nochmals, die zwischen erzählerischer Langsamkeit und Action gekonnt changiert.

Robin Wright spielt ihren Charakter Claire facettenreicher als je zuvor und gibt ihm eine ungeglaubte Tiefe; Claire ist mittlerweile die eigentliche Hauptfigur. Im Übrigen wird Wrights Regiearbeit immer besser. Kunstvoll spielt sie in den Episoden mit Licht und Dunkelheit, mit bewegenden Großaufnahmen und ehrfurchtsvollen Totalen, oft im direkten Gegensatz. Die Bilder wirken so bedeutsam wie nie in «House of Cards». Eine großartige Ergänzung im Cast ist 90er-Ikone Neve Campbell («Scream»), die in Underwoods Wahlkampfteam für Stimmung sorgt.

Und Kritik? Auf den ersten Blick wirkt manche Story – Claires Mutter; die Rückkehr zu früheren Figuren wie Lucas Goodwin oder Tom Yates – im Deus-Ex-Machina-Stil konstruiert. Dieser Eindruck verfliegt allerdings schnell. Jegliche Story ist konsistent mit den bisherigen Ereignissen in «House of Cards», und die Einbindung der neuen (und alten) Charaktere ergibt Sinn. Man konterkariert mehrmals die Erwartungshaltung der Zuschauer. Einziger wirklicher Kritikpunkt: America Works. Das Jobprogramm, das Underwood in Staffel drei zum zentralen Wahlkampfthema machte, wird diesmal mit keiner Silbe erwähnt. Hier bleibt «House of Cards» – ausnahmsweise – inkonsequent. Was bedauerlich ist, da dieser Handlungsfaden perfekt auf den Charakter Frank Underwood passte.

„I just happen to be white trash living in the White House“, sagt Frank Underwood zu Beginn der neuen Staffel. Dass er das mit genauso viel Ironie wie Ernst sagt, macht die großartige Tiefe und die Ambivalenz des Charakters aus. Es ist die vielleicht beste, weil weitreichendste und emotionalste Staffel von «House of Cards», der leider gegen Ende die Luft ausgeht. Davon abgesehen erscheint sie fast realer als der echte US-Wahlkampf derzeit. Schade, dass wir diese Underwoods nicht bis zur Präsidentschaftswahl im November begleiten können.

Die vierte Staffel von «House of Cards» ist seit Freitag exklusiv bei Sky zu sehen.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
03.04.2016 18:49 Uhr 1
Wow, was für eine tolle Kritik!! Ich liebe diese Serie!!
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