Die Kritiker

«Add a Friend»

von

Wie kann jemand, der im Krankenhaus liegt, weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Über das Internet! - Dies ist die Prämisse von «Add a Friend», der ersten von einem deutschen Pay-TV-Sender eigenproduzierten Serie. Ob dieses Experiment geglückt ist, verraten wir in unserer Fernsehkritik.

Inhalt


Folge Operation Mathilda: Der Fotograf Felix liegt nach einem schweren Unfall im Krankenhaus. Damit er Kontakt zu seinen Freunden in aller Welt halten kann, schickt ihm sein bester Freund Tom, ein Investmentbanker, einen Laptop. Als Felix eine Einladung zum Klassentreffen bekommt, wird er plötzlich wieder an seine Jugendliebe Julia erinnert.

Folge Julia Rock: Tom ist spielsüchtig und immer pleite. Um an Geld zu kommen, hat er eine Scheinfirma gegründet, über die sein Chef nun alles wissen möchte. In seiner Not zieht er Felix mit in den Betrug hinein. Felix bekommt Julia nicht aus dem Kopf. Er schickt Julia eine Nachricht. Zugleich meldet sich die mysteriöse Lolita Vanessa bei Felix. Sie bittet ihn um Hilfe.
Quelle der Inhaltsangaben: TNT Serie

Darsteller


Ken Duken («Laconia», «Nachtschicht») ist Felix
Friedrich Mücke («Friendship!», «Russendisko») ist Tom
Friederike Kempter («Ladykracher», «Die Wochenshow») ist Julia
Emilia Schüle («Freche Mädchen», «Rock it!») ist Vanessa
Gisela Schneeberger («Franzi», «Eine ganz heiße Nummer») ist Gisela
Dietrich Hollinderbäumer («Pastewka», «heute-show») ist Gerd

Kritik


Wissen Sie, wie es sich anfühlt, schwerverletzt in einem Krankenhausbett aufzuwachen? Hoffentlich nicht. «Add a Friend», eigenproduziert vom Pay-TV-Sender TNT Serie, zeigt Ihnen, wie eine solche Situation erlebt wird: Die ersten Sekunden der Serie sind gefilmt aus der Ich-Perspektive eines Schwerverletzten – von Felix, dem Hauptcharakter von «Add a Friend», der nach einem schweren Autounfall wortwörtlich an das Krankenhausbett gefesselt ist und gerade von der Intensivstation verlegt wurde. Früher war man in dieser Zeit vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Aber heute gibt es das Internet: Denn jemand wie Felix, der 896 Freunde in seinen Google-Kreisen hat, muss weiter mit der Außenwelt kommunizieren. Und tut dies per Laptop, WiFi, Webcam, Chat.

Schon die Prämisse von «Add a Friend» ist vielversprechend – und sie erfüllt die Erwartungen, ein anderes Fernsehen zu zeigen als das gewohnte immergleiche. Bereits die technische Seite gefällt in dieser Hinsicht: der künstlerische Vorspann; die ungewöhnlichen Kameraeinstellungen; das anfangs beschriebene Filmen aus der Ich-Perspektive, das auf Anhieb eine diffuse Sympathie des Zuschauers mit der Figur Felix schafft; Kamera-Perspektivenwechsel, beispielsweise bei Webcam-Gesprächen teils gefilmt aus Felix‘ Sicht, teils aus der seines Gesprächspartners. Schließlich Sitcom-typische Trenner, die beispielsweise auch bei «Frasier» und «The Big Bang Theory» grafisch eine neue Szene einleiten (und bei «Add a Friend» immer aus Emoticon-Symbolen bestehen).

Verblüffend ist zudem, wie selbstverständlich die Kamera damit spielt, dass ein Großteil der Geschichte über den Bildschirm – den Laptop – erzählt wird. Schon nach kurzer Zeit, spätestens in Folge zwei, fühlt sich «Add a Friend» wie eine – im positiven Sinne – gewöhnliche Serie an, trotz der potenziellen emotionalen Distanz, die ein Internet-Videochat schafft.

Dies ist nicht nur ein Verdienst der Kamera, sondern auch des Schnitts – und der Schauspieler, die in ihren ungewöhnlichen Rollen als Internet-Chatfreunde größtenteils eine gute Figur abgeben. Darstellerisch überzeugt neben Ken Duken, der die Rolle des lethargischen und schmerzgeplagten Felix minimalistisch gut spielt, vor allem Dietrich Hollinderbäumer als Vater von Felix. Als lässiger Schauspieler mit eigenem Ruhrpott-Charme glänzt Hollinderbäumer bereits in «Pastewka» – hier spielt er sein Können ebenfalls gewohnt stark aus.

Glücklich wird der Zuschauer mit «Add a Friend» aber nur, wenn er die Serie nicht als traditionelle Comedy versteht, nicht als Sitcom mit Gags am laufenden Band. Denn herzhaft lachen kann man bei «Add a Friend» nur punktuell; das komödiantische Element ist eher permanent im Hintergrund vorhanden, weil die Situationen der digital vernetzten Freunde teils so abstrus erzählt werden. Besonders Hauptfigur Felix vermittelt wenig Comedy, sondern eher eine Tragikomik, die gern sogar ins Melancholische abdriftet, wenn zum Beispiel die Kamera in einem Schwenk das sterile, einsame Krankenzimmer mit einer Totalen einfängt. Untermalt werden solche Szenen mit passender Musik.

Problematisch gestaltet sich der dramaturgische Aufbau der Pilotepisode, die zunächst Storyentwicklung vermissen lässt, bevor in den letzten Minuten plötzlich alle Handlungsstränge Fahrt aufnehmen – dass diese (zu) zahlreich in Folge eins eingeführt werden, gerät an dieser Stelle zum Nachteil. Ambivalent zeigt sich auch ein Cliffhanger, der zwar überraschend kommt und daher Lust auf die zweite Episode macht, aber trotzdem konstruiert wirkt. Das gleiche Problem haben die nächsten Folgen auch – obwohl «Add a Friend» grundsätzlich gar keine Cliffhanger nötig hätte.

Bleibt der Zuschauer dabei, entfaltet sich das Potenzial der Story – zwar langsam, aber dafür umso besser: Dann entwickeln sich Geschichten nicht nur über Felix und seine Ex, die er per Internet zurückgewinnen will, sondern auch über seinen mysteriösen Unfall. Über den Banker Tom, der seinen besten Freund belügt, mit der Frau seines Chefs ins Bett steigt und sechsstellige Summen veruntreut; über Felix‘ Eltern, die sein Leben plötzlich in die Hand nehmen; über eine plötzliche Internetbekanntschaft, die offenbar mehr ist als nur ein Fan des photographischen Künstlers Felix. Letztlich schafft «Add a Friend» so ein sehr ungewöhnliches, innovatives Fernseherlebnis mit einer Serie, die nicht vergleichbar ist mit irgendeinem Format im Free-TV, weder dramaturgisch noch produktionstechnisch.

«Add a Friend» ist eigen, modern, mutig, ein wenig gesellschaftskritisch – und schafft es erstmals zu veranschaulichen, wie sich deutsche Pay-TV-Serienproduktionen vom formalisierten Einheitsbrei der Sendermasse abheben können. Allein deswegen lohnt sich das Einschalten.

Die Serie «Add a Friend» startet am Mittwoch, 19. September 2012, um 20.15 Uhr bei TNT Serie. Zudem ist sie auch flexibel über die Sky Services Sky Go und Sky Anytime abrufbar.

Kurz-URL: qmde.de/59234
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelChampions League: Starker Auftakt für Skynächster ArtikelGottschalk spricht mit dem Ersten über neue Show

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung