360 Grad

The New Normal?

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KSL, die NBC-Affiliate in Salt Lake City, Utah weigert sich, «The New Normal» auszustrahlen. Ein Kommentar von Julian Miller.

«The New Normal», eine bald startende Serie über ein homosexuelles Paar, das sich, in den USA prinzipiell legal, von einer Leihmutter ein Kind austragen lässt, ist nicht die erste Network-Sitcom Amerikas, die eine homosexuelle Lebensweise als völlig normal darstellt. Doch sie ist die Erste von ihnen, die zumindest einen Boykott im Kleinen mit sich bringt. KSL, die NBC-Affiliate im traditionell konservativen Utah, verweigert die Ausstrahlung. Das kommt nicht sonderlich überraschend, schließlich befindet sich KSL im Eigentum der Bonneville International Corporation, die wiederum von der Mormonenkirche betrieben wird. Man möchte sich lieber nicht vorstellen, was alles passieren könnte, wenn der Vatikan nennenswerte TV-Stationen in den USA unterhalten würde.

KSL scheint ohnehin eines der Sorgenkinder bei NBC zu sein, wenn es um die Affiliate Relations geht. Schon seit Jahren lief bei dem kleinen Lokalsender keine einzige Folge des Comedy-Aushängeschilds «Saturday Night Live» mehr, eine Ausstrahlung des «Playboy Clubs» fand bei KSL ebenso wenig statt.

KSL ist kein Einzelfall. Schon häufig kam es in der Vergangenheit dazu, dass sich einzelne Lokalstationen in bestimmten Fällen weigerten, die landesweit gesendeten Programme ihres Networks auszustrahlen. Für Aufregung sorgte etwa der Ausstrahlungsverzicht einiger Lokalstationen in Arkansas, Texas, Mississippi, Tennessee und Indiana der NBC-Drama-Serie «The Book of Eli» vor einigen Jahren, während der große Unmut vieler Affiliates in einer signifikanten Weise zur Absetzung der aus Programmierungssicht kontroversen «Jay Leno Show» beigetragen hat, da die niedrigen Einschaltquoten des Late-Night-Talkers häufig die Zuschauerzahlen ihrer anschließend gesendeten Lokalnachrichten mit in den Abgrund zogen.

Das sind jedoch nur die größeren Meldungen, die entstehen, wenn mehrere Affiliates sich weigern, ein Programm zu senden. Dass einzelne Lokalstationen, von Alabama bis Kalifornien, manchmal auf einzelne Ausstrahlungen einer Networksendung verzichten, passiert deutlich häufiger.

Doch im Falle von «The New Normal» bekommt das Thema durch die politische und gesellschaftliche Relevanz der Sendung noch einmal eine neue Tragweite. „For our brand, this program feels inappropriate on several dimensions, especially during family viewing time. […] The dialogue might be excessively rude and crude. The scenes may be too explicit or the characterizations might seem offensive“, sagte KSL-Chef Jeff Simpson. Fehlt eigentlich nur noch, dass er irgendwo betonen würde, eigentlich nichts gegen Schwule zu haben.

Aber auch wenn man es in vielen Kommentaren unter entsprechenden Artikeln in deutschen Medien über die KSL-Affäre nun immer wieder liest, kann man in den USA heute mit einer offenen Homosexuellenschelte keinen Blumentopf mehr gewinnen. Die irren Mitglieder der religiösen Fanatiker-Splittergruppe der Westboro Baptist Church aus Kansas oder die sonderbaren Bemerkungen des republikanischen Senatskandidaten Todd Akin aus Missouri, der behauptet hat, Homosexualität könne dadurch „geheilt“ werden, dass man Schwulen literweise Muttermilch einflößt, sind Einzelfälle, die sich gut auf den Titelseiten machen, aber kein repräsentatives Bild der US-Bevölkerung liefern, genauso wenig wie Franz Josef Wagner ein repräsentatives Bild von Deutschland liefert (hoffentlich zumindest). Und nicht zuletzt fehlt es, wie in Amerika üblich, auch nicht an einer ebenso lauten und scharfen Gegenbewegung. Wo die Westboro Baptist Church auftritt, wird sie regelmäßig von Gegendemonstrationen niedergeschrien, während das zuständige Gremium der republikanischen Partei nun jegliche Zahlungen an Todd Akin eingestellt hat und ihn mittlerweile fast täglich dazu auffordert, seine Kandidatur unverzüglich niederzulegen.

Und weil man «The New Normal» in Utah nicht bei NBC sehen kann, kümmert sich nun die örtliche TheCW-Affiliate darum, es den Bewohnern des Bienenstock-Staates (ja, so nennen Amerikaner ihre Bundesstaaten wirklich) zur Verfügung zu stellen. Genauso, wie das im entsprechenden Teil von Utah schon seit Jahren mit «Saturday Night Live» gehandhabt wird.

Das Auftreten Simpsons ist ein Skandal. Selbstverständlich. Ein Aufschrei ist absolut gerechtfertigt. Aber es hat etwas Beruhigendes an sich, dass sich zumindest das oberflächliche Problem, eine Ausstrahlung von «The New Normal» in Salt Lake City zu gewährleisten, von selbst gelöst hat. Zyniker würden sagen, es hat etwas Einlullendes. Bis man überhaupt von einer Lösung des tiefer liegenden Problems sprechen können wird, werden wohl noch Jahrzehnte vergehen. In Amerika wie in Deutschland.

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